Sind Brustkrebspatientinnen bald von der Chemo erlöst?

  28 September 2016    Gelesen: 618
Sind Brustkrebspatientinnen bald von der Chemo erlöst?
Brustkrebs ist keine Seltenheit. Viele Frauen fürchten sich jedoch mehr vor einer Chemotherapie als der Erkrankung selbst. Forscher messen die Genaktivität des Tumors, um die Zahl unnötiger Behandlungen zu minimieren.
Viele, zumal erblich belastete Frauen treibt die Angst um, an Brustkrebs zu erkranken. Fast noch mehr als vor der Diagnose fürchten sich manche vor der Behandlung, insbesondere der Chemotherapie. Denn Berichte über die toxischen Nebenwirkungen der dabei verwendeten Mittel, der Zytostatika, gibt es zuhauf. Teilweise lebensrettend, kommen diese Mittel aber nicht allen Behandelten zugute. So erleiden einige Patientinnen trotz Chemotherapie einen Rückfall, während andere auf die Zytostatika verzichten könnten, weil das Krebsleiden auch so nicht wiederkehren würde.

Um die Zahl der unnötigen Behandlungen zu minimieren, läuft die Suche nach biologischen Markern, mit denen sich die Wahrscheinlichkeit von Rückfällen bestimmen lässt, weltweit auf Hochtouren. Ein Ansatz besteht darin, die Genaktivität des Tumors zu messen - in der Hoffnung, Hinweise auf dessen Aggressivität zu erhalten.

Große Europäische zeigt Nutzen der Gentherapie

Diesen Weg sind unter anderem Wissenschaftler des Niederländischen Krebsinstituts in Amsterdam um Laura van’t Veer gegangen und dabei auf 70 Gene gestoßen, deren Aktivität das Rückfallrisiko beeinflusst. Den Nutzen ihres Genexpressionstests, der unter dem Namen MammaPrint auf dem Markt ist, haben die Forscher nun in einer großen europäischen Studie mit dem Kürzel „MINDACT“ überprüft. Wie daraus hervorgeht, erleichtert das Verfahren zwar teilweise die Entscheidung für oder gegen eine Chemotherapie, aber es liefert ebenfalls keine absolute Sicherheit.

Die Teilnehmerinnen der Studie, knapp 6700 durchschnittlich 55 Jahre alte Frauen mit Mammakarzinom im Frühstadium, hatten sich alle einer Tumoroperation unterzogen. Das Risiko für einen Rückfall wurde dabei auf zweierlei Art gemessen: anhand der herkömmlichen Kriterien - hierzu zählen etwa die Tumorgröße, das Ausmaß der Zellentartungen und die Zahl der befallenen Lymphknoten - und mit Hilfe des Genexpressionstests.

Patientinnen, denen beide diagnostische Verfahren ein hohes oder ein geringes Wiedererkrankungsrisiko bescheinigten, erhielten die gängigen Behandlungsempfehlungen: Ersteren wurde zu einer Chemotherapie geraten und Letzteren nicht. Das besondere Interesse der Wissenschaftler galt allerdings einer anderen Gruppe - und zwar jenen 1550 Frauen, denen der Gentest eine niedrige, die herkömmliche Untersuchung hingegen eine hohe Rückfallgefahr attestierte. Um herauszufinden, welches Verfahren in dem Fall mehr Aussagekraft besitzt, behandelten sie eine Hälfte von ihnen mit Zytostatika und die andere Hälfte nicht.

Gentest erspart die Chemotherapie

Wie Frau van’t Veer und ihre Kollegen im „New England Journal of Medicine“ schreiben, erfüllte der Genexpressionstest ihre Erwartungen: Je nachdem, ob sich die betreffenden Patientinnen einer Chemotherapie unterzogen hatten oder nicht, lag ihre tumorfreie Überlebensrate nach fünf Jahren bei 95 Prozent beziehungsweise bei 96,5 Prozent. Der Genaktivitätstest konnte somit dem Gros der Frauen eine Chemotherapie ersparen. Einige Frauen, und zwar 1,5 Prozent, hätten aber möglicherweise von dieser Behandlung profitiert.

Was bedeutet dieses Ergebnis in der Praxis? Wie interpretiert eine Patientin, die wissen will, ob sie sich einer Chemotherapie unterziehen soll oder nicht, ein um 1,5 Prozent geringeres Rückfallrisiko? Laut David Hunter von der Harvard T.H. Chan School of Public Health in Boston/Massachusetts sind Wahrscheinlichkeitsangaben nicht nur für die Patienten, sondern auch für viele Ärzte schwer nachvollziehbar. Der enorme Kenntniszuwachs in der Medizin bringe es aber mit sich, schreibt der Epidemiologe in einem Kommentar, dass Erkrankungsrisiken und Therapieerfolge zunehmend in dieser Form vermittelt würden. Hunter sieht daher einen dringenden Bedarf an Methoden, die es Patienten und Ärzten erlauben, solche Informationen besser zu verstehen. Denn nur so seien diese in der Lage, die richtige Entscheidung zu treffen.

Die Entwicklung geht in eine ganz andere Richtung

Neben MammaPrint gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Genaktivitätstests, mit denen sich das Risiko für ein Wiederaufflammen von Brustkrebs erfassen lässt. „Diese Tests sollten aber nur angewandt werden, wenn alle anderen diagnostischen Kriterien keine Therapieentscheidung zulassen“, betont Jens-Uwe Blohmer, Direktor der Klinik für Gynäkologie und des Brustzentrums der Charité in Berlin, auf Anfrage. „In solchen unklaren Situationen bieten die Tests eine Chance, zusätzliche Informationen zu erhalten, die dem Patienten und dem Arzt die Entscheidung erleichtern - und das in beide Richtungen, also sowohl für als auch gegen eine Chemotherapie.“

Laut Matthias Beckmann, Direktor der Frauenklinik am Universitätsklinikum Erlangen, sind die Genaktivitätstests schon wieder überholt. „Inzwischen geht die Entwicklung in eine ganz andere Richtung. Diese besteht darin, nicht nur einzelne Gene, sondern das gesamte Genom des Tumors zu sequenzieren, um darin nach möglichen Angriffspunkten zu fahnden.“ Dabei spiele es keine Rolle mehr, ob sich die Wucherung in der weiblichen Brust, in der Lunge oder in einem anderen Gewebe befinde. Unabhängig von ihrem Ursprungsort könnten Tumore nämlich identische Schwachstellen haben.

Günstige Untersuchung
„Es gibt mittlerweile rund 70 bis 80 verschiedene Antikörper gegen krebsspezifische Moleküle“, sagt Beckmann. Diese seien nur zur Behandlung ganz bestimmter Tumorarten zugelassen, wirkten jedoch teilweise auch gegen andere. „Bei der Therapie von Patientinnen mit Brustkrebs können wir auf sechs Antikörper zurückgreifen“, erklärt der Gynäkologe. „Was aber ist, wenn die Betroffene nicht auf diese, sondern auf einen der anderen Antikörper anspricht?“

Um das herauszufinden, müsse man das Genom des Tumors analysieren. Anders als in den Vereinigten Staaten werde dieser Ansatz hierzulande aber nur selten genutzt. „Die Untersuchung kostet rund 10.000 Dollar.“ Das sei zwar teuer, aber immer noch vergleichsweise günstig. Denn eine Chemotherapie schlage mit 15.000 bis 20.000 Euro zu Buche.


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