Müllabfuhr im Menschen – Forschung von Yoshinori Ohsumi

  07 Oktober 2016    Gelesen: 651
Müllabfuhr im Menschen – Forschung von Yoshinori Ohsumi
Mit 43 Jahren kehrte Yoshinori Ohsumi als mäßig erfolgreicher Forscher aus den USA nach Japan zurück. Dann enträtselte er, was bis dahin alle unwichtig fanden: die Müllabfuhr der Zellen. Ohne sie wäre unser Leben unmöglich.
Mit 43 Jahren kehrte Yoshinori Ohsumi als mäßig erfolgreicher Forscher aus den USA nach Japan zurück. Dann enträtselte er, was bis dahin alle unwichtig fanden: die Müllabfuhr der Zellen. Ohne sie wäre unser Leben unmöglich.

Um sich von kaputten Proteinen oder auch Krankheitserregern zu befreien, besitzt jede Zelle eine ausgefeilte Abfallwirtschaft. Dabei zerlegt sie den Müll nicht nur, sie gewinnt auch Energie und Bausteine, um Neues zu erschaffen.

Schon Anfang der Sechzigerjahre entdeckten Forscher, dass es eine ausgeklügelte Recyclingwirtschaft in den Zellen geben muss. Wie diese funktioniert und welche Bedeutung sie besitzt, enträtselte ein Team um den japanischen Forscher Yoshinori Ohsumi allerdings erst rund dreißig Jahre später. Dafür wurde der 71-Jährige jetzt mit dem höchsten Preis in der Wissenschaft, dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin, geehrt. Auf dem Weg dahin lernte er in seiner Karriere, was Rückschläge bedeuten.

Erst zur Müllabfuhr, dann auf den Recyclinghof - Yoshinori Ohsumi wurde 1945 in Fukuoka geboren. Durch seinen Vater, der als Professor für Ingenieurwissenschaften arbeitete, bekam er schon als kleiner Junge einen Einblick in die Wissenschaftswelt. Während die Arbeit seines Vaters jedoch industriell geprägt war, zog es Ohsumi zu den Naturwissenschaften, erzählte er 2012 in einem Interview.

Nach seinem Schulabschluss begann er, Chemie zu studieren, eine erste Enttäuschung. Schnell stellte der Japaner fest, dass in der Wissenschaft schon viel ergründet war. Gleichzeitig begann die Goldene Zeit der Molekularen Biologie. Ohsumi wechselte. Nachdem er 1974 seinen Doktor an der University of Tokyo gemacht hatte, fand er in Japan jedoch keine Stelle. Ohsumi ging an die Rockefeller University in New York - dort begann die, wie er es in dem Interview sagt, härteste Zeit seines Lebens.

Für seine Doktorarbeit hatte sich der Japaner noch mit dem Darmbakterium E. coli auseinandergesetzt, jetzt sollte er an Mäusen die künstliche Befruchtung erforschen. Es war frustrierend. Nach eineinhalb Jahren begann Ohsumi stattdessen, die DNA-Verdopplung in Hefezellen zu untersuchen. Es war sein erster Kontakt mit Hefezellen, die ihn und seine Forschung anschließend nicht mehr loslassen sollten.

"Damals war ich 43 Jahre alt - und nicht sehr erfolgreich" - Nach drei Jahren in den USA bekam Ohsumi schließlich das Angebot, an seine Heimatuniversität in Tokio zurückzukehren. Dort fällte er, nach einem Irrgang durch verschiedene Bereiche, eine der wichtigsten Entscheidungen seines Lebens: Er beschloss, kleine Transportbläschen in den Zellen zu erforschen. Diese galten in jener Zeit nur als Müllbehälter, kaum jemand interessierte sich für sie. Dann, so dachte der Japaner, habe er weniger Konkurrenz.

1988 gründete Ohsumi an der University of Tokyo schließlich die Forschergruppe, mit der er Wissenschaftsgeschichte schreiben sollte. "Damals war ich 43 Jahre alt", sagt er im Interview mit dem "Journal of Cell Biology". "Ich würde nicht sagen, dass ich bis dahin eine sehr erfolgreiche Karriere hatte. Ich hatte viele Schwierigkeiten. Die meisten davon hatte ich aber selbst verursacht."

Dann kam der Wendepunkt: 1992 veröffentlichte Ohsumi ein erstes Paper, in dem er nachwies, dass Hefezellen über eine ausgefeilte Abfallwirtschaft verfügen. 1993 hatte er die 15 Gene entschlüsselt, die dafür zuständig sind. Anschließend ergründete er nach und nach die Mechanismen, die an der Recyclingwirtschaft in den Zellen beteiligt sind, an der sogenannten Autophagie.

Wie wertvoll seine Arbeit war, zeigte sich schließlich Jahre nach dem Beginn seines Projektes: Die Vorgänge, die Ohsumi in der Hefe ergründet hatte, ließen sich auf menschliche Zellen übertragen. Er hatte die Voraussetzung geschaffen, um die Rolle der Autophagie bei Krankheiten wie Krebs, Parkinson und Diabetes zu erforschen - und neue Medikamente zu entwickeln.

Von der Müllabfuhr zum Recyclinghof - Grob gesagt lässt sich die Recyclingwirtschaft in zwei einfache Schritte unterteilen:

1. In einem ersten wird der Müll der Zelle, kaputte Proteine oder auch Krankheitserreger, in Bläschen eingeschlossen. Diese sogenannten Autophagosomen sind vergleichbar mit der Müllabfuhr.

2. Anschließend verwandeln sie sich in einen Recyclinghof. Dafür verschmelzen die mit Müll gefüllten Autophagosomen mit einer zweiten Sorte Bläschen, den Lysosomen. Diese enthalten spezielle Enzyme, die inmitten der Zelle Proteine, Fette und Kohlenhydrate in kleine Bausteine zerlegen und neues Baumaterial liefern. Der Kreislauf kann von vorne beginnen.

Nachdem Ohsumi die Prozesse entdeckt hatte, wurde immer klarer, wie wichtig sie fürs Leben und Überleben sind. Sie produzieren Energie in hungernden Zellen, indem sie überflüssige Zellbestandteile zersetzen. Sie schützen den Körper vor Krankheitserregern, indem sie eingedrungene Viren und Bakterien eliminieren. Und wirken dem Altern entgegen, indem sie defekte Proteine und Organellen entsorgen.

"Ich bin nicht sehr auf Wettbewerb aus" - "Autophagie war mehr als 50 Jahre lang bekannt", begründet das Nobelpreiskomitee seine Entscheidung. "Ihre fundamentale Bedeutung für Physiologie und Medizin wurde aber erst erkannt, nachdem Ohsumi durch seine Forschung in den Neunzigerjahren einen Paradigmenwechsel herbeigeführt hatte."

Seit 2009 arbeitet Ohsumi als Professor am Tokyo Institute of Technology, er beschäftigt sich noch immer mit den Prozessen der Zellmüllabfuhr. Dass er für seine Arbeit mal den Nobelpreis bekommen würde, hätte er wohl lange Zeit seiner Karriere nicht vermutet.

Für andere junge Wissenschaftler formulierte er aber schon 2012 eine eindeutige Botschaft: "Die meisten Menschen entscheiden sich, in den populärsten Bereichen zu arbeiten, weil sie denken, dass sie dann einfach Studien veröffentlichen können. Ich habe genau das Gegenteil davon getan. Ich bin nicht sehr auf Wettbewerb aus, deshalb habe ich mir immer neue Bereiche gesucht, um zu forschen." Wenn man mit neuer Grundlagenforschung beginne, bedeute dies eine Menge Arbeit, aber man könne auch viel Neues ergründen. Bei ihm hat es sich ausgezahlt.

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