Wolfsburger Scheidung

  18 Oktober 2016    Gelesen: 450
Wolfsburger Scheidung
Spieltaktische Stagnation, keine neuen Impulse: Trotz hoher Investitionen hinkt der VfL seinen Zielen weit hinterher – Trainer Dieter Hecking muss deshalb nun gehen.
Sein bitterer Abgang hätte nicht viel undankbarer ausfallen können. Am Vormittag noch als Trainer einer formschwachen Mannschaft erwünscht, am Nachmittag entlassen: Dieter Hecking bekam am Montag die Quittung dafür ausgestellt, was am Sonntagabend im Stadion des VfL Wolfsburg passiert war. Nach der 0:1-Heimniederlage gegen Aufsteiger RB Leipzig hatte der gereizte Geschäftsführer Klaus Allofs seinem früheren Wunschtrainer erstmals die Rückendeckung verweigert.

Nach einer Abstimmung mit dem Aufsichtsrat der VfL Wolfsburg Fußball GmbH stand am Tag danach fest, dass Hecking sofort gehen muss. „Menschlich tut mir dieser Schritt sehr leid“, ließ Allofs die Öffentlichkeit wissen. Vor einem Jahr noch war Hecking zum deutschen Trainer des Jahres gekürt worden. Jetzt ist er ohne Beschäftigung und hat einen ziemlich prominenten Posten eingebüßt.

Das übliche Spielchen war nicht mehr aufzuhalten. Aber vielleicht mochte es Allofs nach sechs Partien ohne Sieg nacheinander auch gar nicht mehr aufhalten. Er hatte in mehreren Interviews eingeräumt, dass man sich intern beraten werde und sich geweigert, einen abermaligen Treueschwur zum Trainer abzugeben. Der Kredit jenes Übungsleiter, den Allofs selbst für den VfL Wolfsburg ausgewählt hatte, war bereits aufgebraucht. Nach einer gründlich missratenen Saison 2015/16 hatte sich Hecking vor allem deshalb noch im Job halten können, weil dem VfL in der Champions League im Frühjahr diesen Jahres der Einzug bis in das Viertelfinale gelungen war.

Harmloser Start der Niedersachsen in die Saison

Dieser sportliche Erfolg konnte überdecken, dass das nächste Schritt nach vorne unter der Regie von Hecking nicht gelingen wollte. Zur mehrheitlich schlechten Stimmung im Stadion und den schwachen Ergebnissen hatte sich eine spieltaktische Stagnation gesellt. Den Entscheidern des VfL Wolfsburg war insgesamt die Hoffnung abhanden gekommen, dass ihr Trainer noch neue Impulse setzen kann, um den hohen Erwartungen auf Dauer gerecht zu werden.

Wer am modernen Profifußball und seinen Sonderbarkeiten herumnörgelt, vergleicht ihn gerne mit von Athletik geprägtem Schach. Eine solide Variante davon gibt es in Wolfsburg seit Monaten zu sehen. Sie wirkte nicht erst an den ersten sieben Spieltagen der aktuellen Saison wie ein überholungsbedürftiges Modell. Im normalen Trainingsbetrieb hatte Hecking immer wieder gerne üben lassen, wie der Ball wie an der Schnur gezogen durch die eigenen Reihen wandert und dann lange Diagonalpässe für eine plötzliche Verlagerung plus Tempowechsel sorgen. Wie diese Methode funktionieren soll, hatte sich bei der Konkurrenz längst herumgesprochen. „Wir wussten, wie die spielen und dass wir viel laufen müssen“, sagte am Sonntag der kecke Leipziger Kapitän Willi Orban. Wer die jüngste Wolfsburger Spieltaktik aus der Feder von Hecking erst einmal zu verinnerlichen wusste, hatte damit leichtes Spiel. Entsprechend harmlos war der Start der Niedersachsen in eine Saison ausgefallen, in der man als Ziel die Rückkehr in die Champions League ausgegeben hatte.

Nicht einmal mehr Mittelmaß

Eigentlich war das ein schöner und lobenswerter Ansatz. Als oberster Entscheider beim VfL Wolfsburg hatte sich Allofs vorgenommen, nicht ständig den üblichen Mechanismen der Branche Profifußball zu gehorchen. Ohnehin darf der erfahrene Manager für sich in Anspruch nehmen, noch nie einen Trainer entlassen zu haben. Von Hecking soll es jetzt eine einvernehmliche Trennung gegeben haben. Mit seiner Einstellung Ende 2012 hatte sich Allofs fest vorgenommen, seinen neuen Klub gründlich rundzuerneuern und Schritt für Schritt weiterzuentwickeln. Manches hat dabei so gut geklappt, dass es vielleicht auch für den Trainer eine Nummer zu schnell gegangen ist.

2015 waren die Wolfsburger Deutschlands zweitbeste Mannschaft hinter dem FC Bayern München und sind auch noch Pokalsieger geworden. Was für Hecking bis dahin eine äußerst reizvolle Aufgabe war, ließ sich in der Folge trotz millionenschwerer Investitionen nur schwer steigern oder abermals erreichen. Die aktuelle Tabelle der Bundesliga behauptet nach sieben Spieltagen, dass der VfL Wolfsburg nicht einmal mehr zum Mittelmaß der Liga zählt. Damit war die Geduld von Allofs und die der VW-Manager im Aufsichtsrat des Erstligaklubs aufgebraucht.

Als Mann für den Übergang kommt ab heute Valérien Ismaël zum Einsatz kommen. Der bisherige Trainer der Wolfsburger U 23-Mannschaft rückt vorerst zum Übungsleiter der Profis auf. Eine echte Chance auf eine Dauerbeschäftigung wird dem Franzosen nicht eingeräumt. Nach der Ära Hecking scheinen die Entscheidungsträger beim VfL Wolfsburg mit Verpflichtung eines möglichst erfahrenen und zugleich prominenten Trainers zu liebäugeln. Am Samstag im Auswärtsspiel bei Darmstadt 98 darf Ismael versuchen, eine zuletzt sehr rat- und willenlose Mannschaft wieder wettbewerbstauglich zu präsentieren.

Selbst die erfahrenen Spieler im Kader des VfL wie Christian Träsch, Vieirinha und Luiz Gustavo wissen auf dem Platz nicht mehr so ganz zielscharf, was zu tun ist. „Offensiver Spektakel-Fußball ist bei uns im Moment nicht drin“, gesteht Stürmer Mario Gomez. Der Neuzugang für das Sturmzentrum agiert bisher wie ein Fremdkörper in einem Team, das seinen neuen Star nicht einzubinden weiß. Ob das Hecking allein anzulasten ist oder die Mannschaft auch ihren Beitrag zu der Misere geleistet hat, wird ab heute zweitrangig sein. Denn der Trainer, der über eine erstaunliche lange Zeit so viel Gutes in Wolfsburg bewirkt hat, ist mit Blick in die Zukunft nicht mehr gut genug.


Tags:


Newsticker