Das ist echt zum Kichern

  22 November 2016    Gelesen: 714
Das ist echt zum Kichern
Warum sind wir eigentlich kitzlig? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Zwei Forscher haben es immerhin versucht.
Als Laborratte an der Humboldt-Universität Berlin hat man offenbar eine Menge Spaß. Jedenfalls legt das ein Videofilm nahe, den zwei dort tätige Neurobiologen vor einer Woche auf Youtube veröffentlicht haben. Darin ist zu sehen, wie Ratten gekitzelt werden und dabei vor Freude quieken und in die Luft springen. Lustig. Aber viel mehr als das: Ein zweitausend Jahre altes Geheimnis.

Schon Aristoteles grübelte über den Sinn und Unsinn des Kitzelns. Auch andere große Denker haben sich in der Folge den Kopf zerbrochen. Denn so trivial der Vorgang als solcher auch ist – er wirft einige überhaupt nicht triviale Fragen auf. In der Fachsprache wird das Kitzeln seit 1897 mit zwei imposanten Namen belegt: Knismesis (von griechisch knizein für „kratzen, reizen“) und Gargalesis (gargalizein für „kitzeln“). Ersteres meint das leichte Kribbeln auf der Haut, wenn sie nur sanft gestreift wird. Diese Form des Kitzelns ist im Tierreich weit verbreitet. Jeder Hund, der einen Floh auf sich krabbeln spürt, kennt es. Vermutlich ist genau das auch der Sinn der Knismesis: Die Reaktion auf feinste Berührungen soll dabei helfen, den Körper vor fremden Einflüssen zu schützen.

Die Gargalesis hingegen gibt Rätsel auf. Als solche wird das spielerische Kitzeln bezeichnet, das durch etwas mehr Druck meistens Kichern auslöst. Ehe man auch Ratten auf diese Weise eine freudige Reaktion entlocken konnte, hatte man Gargalesis nur bei Menschen und Primaten beobachten können. Charles Darwin sah in ihr sogar den Ursprung des Humors.

Dabei empfinden viele Menschen, die gekitzelt werden, gar keine Freude. Sie lachen zwar; doch wer daraus auf Fröhlichkeit schließt, müsste auch hinter jeder Träne beim Zwiebelschneiden tiefe Trauer vermuten. Einer These zufolge könnte das Kitzeln bei Kindern Abwehrbewegungen schulen. Der fröhliche Gesichtsausdruck der Gekitzelten animiert zum Weitermachen. Bei gequälter Miene wäre das Spiel und damit die sinnvolle Abwehrübung vermutlich rasch beendet.

Manche Psychologen sehen im Kitzeln eine Möglichkeit zum Aufbau von Bindungen. Eltern könnten auf diese Weise früh Berührungsängste bei ihren Kindern abbauen. Geschwister kitzeln häufig gegenseitig, um einem handfesten Streit aus dem Weg zu gehen. Bindungsfördernd scheint sich die mal mehr, mal weniger zärtliche Kabbelei auch bei Liebenden auszuwirken.

Auch Maschinen können kitzeln

Ein rein zwischenmenschliches Phänomen ist Kitzeln aber wahrscheinlich nicht. Die Psychologen Christine Harris und Nicholas Christenfeld von der University of California vermuteten dahinter vielmehr eine Art Reflex. Um diese Annahme zu überprüfen, ließen sie ihre Assistentin Meg Notman einen Apparat bauen, den sie „Mechanic Meg“ tauften. Aus „Mechanic Meg“ ragte ein Roboterarm, der 21 Versuchsteilnehmer im Wechsel mit den Forschern kitzeln sollte.

So erzählte man es den Probanden zumindest. Tatsächlich war „Mechanic Meg“ nur eine aufwendige Attrappe. Der Apparat vibrierte laut, wenn man ihn einschaltete. Außerdem verließen die Forscher demonstrativ den Raum, um den mit einer Augenbinde versehenen Teilnehmern das Gefühl zu geben, ganz allein mit dem Roboter zu sein. Tatsächlich jedoch hielt sich während der gesamten Zeit die echte Meg unter einem Tischtuch versteckt, unter dem sie einmal für das menschliche Kitzeln und einmal für das vermeintlich mechanische hervor gekrabbelt kam.

Andernfalls hätte man das Versuchsergebnis auch auf eine schlechte Kitzelleistung des Roboters zurückführen können. So jedoch erlebten die Teilnehmer das Kitzeln jedes Mal mit der gleichen Qualität. Das Ergebnis schien die Forscher zu bestätigen: Gleich, ob Mensch oder „Maschine“ sich an den Fußsohlen der Probanden zu schaffen machte, sie wanden und krümmten sich vor Lachen. Stimmungsunabhängig sei das Kitzeln trotzdem nicht, meinten Harris und Christenfeld, als sie ihre Ergebnisse 1999 im „Psychonomic Bulletin & Review“ vorstellten.

Nicht immer ein Grund zum Lachen

Diese Vermutung bestätigt nun der aktuelle Versuch der Berliner Biologen Michael Brecht und Shimpei Ishiyama. Nur Ratten, die sich wohlfühlten, reagierten freudequiekend auf das Kitzeln. Setzten die Forscher die Tiere hingegen auf eine erhöhte Plattform oder unter helle Beleuchtung, waren sie ängstlich und zeigten keine Anzeichen von Freude. Schon Charles Darwin hatte gute Laune als Voraussetzung dafür angesehen, durch Kitzeln überhaupt zum Lachen gebracht werden zu können.

Ein anderer großer Naturforscher, der Engländer Francis Bacon, der im 17. Jahrhundert Grundlagen für die moderne Naturwissenschaft legte, war vom Gegenteil überzeugt. Er glaubte, selbst bei schlechter Laune müssten Gekitzelte unfreiwillig lachen. Wie schmerzhaft das werden kann, zeigen verschiedene überlieferte Foltermethoden. Im Dreißigjährigen Krieg zum Beispiel soll das sogenannte Ziegenlecken als Tortur angewendet worden sein. Die Füße der Opfer wurden dabei in Salzwasser getaucht und anschließend fixiert, damit Ziegen das Salz ablecken konnten. Manches Opfer wurde angeblich sogar zu Tode gekitzelt. Ob Kitzeln tatsächlich tödlich sein kann, ist unklar. Sicher ist nur eines: Sich selbst kitzeln kann man nicht – zumindest nicht im Sinne der Lachen auslösenden Gargalesis.

Auf die Überraschung kommt es an

Nur an Schizophrenie erkrankte Menschen können sich manchmal durch Kitzeln selbst zum Lachen bringen. Bei gesunden Menschen fehlt wahrscheinlich das Überraschungsmoment. Das Kleinhirn scheint in dem Moment zwischen dem Entschluss, sich zu kitzeln, und der eigentlichen Aktion eine Information an den somatosensorischen Cortex weiterzuleiten. Dort werden Tastempfindungen verarbeitet. Wird dieser Bereich des Hirns vorgewarnt, kann die Wahrnehmung des Kitzelns einfach ausgeblendet werden. Auf diese Weise wird einer Reizüberflutung vorgebeugt.

Eine andere Spezies aber kann man mit einer Kitzelattacke völlig aus der Bahn werfen: Bei Haien reicht es offenbar, ihre Schnauze zu kitzeln, um sie in Trance zu versetzen. Selbsternannte Haiflüsterer wenden diese Technik an und stellen so selbst große Exemplare des Weißen Hais ruhig. Vermutlich fallen die Tiere deshalb in eine Starre, weil in ihrer Schnauze besonders viele Nerven zusammenlaufen und sie den Reiz nicht eindeutig zuordnen können.

Wo es im Hirn kitzelt

Weniger verwirrt reagierten die Berliner Laborratten. Wenn man ihnen über den Rücken oder den Bauch strich, quiekten sie im Bereich von Ultraschallfrequenzen. Entfernte sich die kitzelnde Hand, hüpften die Tiere ihr sogar freudig hinterher. Im somatosensorischen Cortex wurden währenddessen dieselben Zellen aktiviert, die auch beim Spielen angeregt werden. Die Reaktion ließ sich auch ohne Kitzeln durch elektrische Stimulation der entsprechenden Zellen hervorrufen.

„Es sieht so aus, als hätten wir die kitzlige Stelle im Gehirn gefunden“, schreibt Brecht. „Die Ähnlichkeit von Zellantworten beim Kitzeln und Spielen ist bemerkenswert. Vielleicht dient Kitzeln dazu, Individuen zum gemeinsamen Spielen zu bringen und gewinnt dadurch für das soziale Miteinander an Bedeutung.“

Die Wissenschaftler wollen die neuen Erkenntnisse nutzen, um weiteren Fragen zur neuronalen Verarbeitung des Kitzelns auf den Grund zu gehen. Auch nach mehr als zweitausend Jahren sind längst nicht alle Rätsel um diese eigenartige Empfindung gelöst.


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