Pädophile Experimente in Berlin: die Opfer vom Bahnhof Zoo

  16 Dezember 2016    Gelesen: 338
Pädophile Experimente in Berlin: die Opfer vom Bahnhof Zoo
Der Skandal um Jugendliche, die vom Berliner Senat zu pädophilen Pflegevätern gegeben wurden, schlägt hohe Wellen. Eine Studie des Instituts für Demokratieforschung der Universität Göttingen soll nun zur Aufklärung des Skandals beitragen. Sputnik sprach mit Theresa Nentwig, die die Untersuchung geleitet hat.
Der Forschungsbericht mit dem Titel: „Die Unterstützung pädosexueller bzw. päderastischer Interessen durch die Berliner Senatsverwaltung am Beispiel eines Experiments von Helmut Kentler“ gibt Einblicke in die Zeit der 70er und 80er Jahre, sowie den Umgang mit den reformpädagogischen Bemühungen dieser Zeit.

Theresa Nentwig beschriebt das Vorgehen des Senats: „Die Berliner Senatsverwaltung hat bei Männern, die wegen sexuellen Kontakten mit minderjährigen Vorbestraft waren, Pflegestellen eingerichtet. Für Kinder und Jugendliche, die zuvor auf der Straße gelebt hatten — die Gegenleistung für ein warmes Bett, eine warme Mahlzeit oder auch gewaschene Wäsche war ein sexuelles Verhältnis, das die Minderjährigen zu ihren Pflegevätern eingingen.“ Helmut Kentler, Psychologe und Pädagogik-Professor von der Universität Hannover, war der Initiator des Projekts. Er ging davon aus, dass sich die sexuellen Kontakte der Jungen positiv auf ihre Persönlichkeitsentwicklung auswirken würden. Es handelte sich hier um Jungen, die aus dem Umfeld der sogenannten „Kinder vom Bahnhof Zoo“ standen — also aus dem Drogen- und Strichermilieu Berlins. Die Stadt Berlin war in dieser Zeit völlig ratlos, wie man mit den Jugendlichen umgehen sollte und daher wohl auch offen für „Experimente“.

Diese Experimentierfreudigkeit des Senats lässt sich auch aus dem zeitgeschichtlichen Kontext erklären. Theresa Nentwig sagt dazu:

„Es gibt viele Punkte, die in einem größeren Zusammenhang zu sehen sind. Die 60er Jahre waren eine Zeit der sexuellen Liberalisierung, es war auch die Zeit der pädagogischen Aufbrüche, das kommt zum Beispiel in den Kinderläden zum Ausdruck, die in dieser Zeit gegründet worden sind. Es gab auch Bestrebungen für eine vollständige Legalisierung von sexuellen Beziehungen zwischen Kindern bzw. Jugendlichen und Erwachsenen und dafür hat sich Helmut Kentler sogar in einem Sonderausschuss des Deutschen Bundestages eingesetzt.“ 2013 nahm der Senat seine Ermittlungen um die pädophilen Pflegeväter in Angriff genommen. Es gab auch schon Bestrebungen, hier Aufklärungsarbeit zu leisten, so Nentwig. Nachdem das Forschungsprojekt zu Helmut Kentler an der Universität Göttingen gestartet wurde, fragte dann der Berliner Senat, ob man die Untersuchung des Experiments von Helmut Kentler übernehmen könne.

Allerdings konnte es zu keiner vollständigen Aufarbeitung kommen, da im Berliner Landesarchiv nicht alle Akten freigegeben sind. Theresa Nentwig erklärt: „Das Problem war tatsächlich das Landesarchiv und die dortigen Schutzfristen. Es ist ja so, dass Akten erst nach einer bestimmten Schutzfrist eingesehen werden können, wenn eine bestimmte Zeit abgelaufen ist. Es gab Anträge auf Verkürzung dieser Schutzfrist, die dann aber aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen abgelehnt worden sind. Ein weiteres Problem ist, dass im Landesarchiv noch relativ viel Material unbearbeitet herumliegt. Solange das von den Archivmitarbeitern nicht erfasst ist, können Wissenschaftler dazu keinen Zugang bekommen.“

Mit den Betroffenen selber zu sprechen gestaltete sich auch recht schwierig. Die Betroffenen selber möchten oft nicht über das Erlebte reden, so Nentwig. Sie sagt: „Ich hatte lediglich die Möglichkeit, mit einem Bekannten von einem Jungen zu sprechen, der damals bei einem Pflegevater untergebracht worden ist, aber es konnte leider kein Kontakt zu diesem heute erwachsenen Mann hergestellt werden. Und auch zu anderen konnte ich leider keinen Kontakt herstellen.“

Häufig sei es so, dass die Opfer keine Kraft hätten, über ihre Erfahrungen zu berichten — aus Angst, dass zu viele Dinge von früher wieder an die Oberfläche geholt würden.

Doch Theresa Nentwig betont, dass man weiterforschen müsse. Es gebe außerdem auch einen Bezug zur Odenwaldschule, die ja in den letzten Jahren auch in die Schlagzeilen wegen sexuellen Kindesmissbrauchs geriet. Hierhin sandte der Senat Jugendliche aus Jugendhilfeeinrichtungen. Ob diese dann Opfer sexualisierter Gewalt wurden, ist noch nicht erforscht. Theresa Nentwig: „Ich habe die Hoffnung, dass die Berliner Senatsverwaltung auch gerade zu den möglichen Verbindungen zur Odenwaldschule ein weiteres Forschungsprojekt ausschreiben wird und darauf aufbauend dann weiterrecherchiert werden kann.“ Außerdem wünscht sich Nentwig, dass sich vielleicht doch noch Opfer bei ihr melden, um zu verstehen, was damals wirklich geschah.

Quelle : sputnik.de

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