Die Experten waren sich schnell einig: Verschweigen geht nur bei ganz kleinen Kindern, und da ist es auch sinnvoll. Aber schon Sechsjährige werden die Nachrichten irgendwie mitbekommen. Selbst wenn der Fernseher aus bleibt, die Zeitung weggeräumt ist und die Eltern nicht darüber reden: Dass es in Berlin zu einer schrecklichen Gewalttat gekommen ist, wird das Kind wahrscheinlich erfahren haben, sei es beim Blick auf Zeitungen, bei Gesprächen im Bus oder in der Schule.
Und dann wird das Kind Fragen haben. Eltern und Lehrer dürfen Kinder damit nicht allein lassen. Denn Ängste entstehen vor allem durch Unwissenheit: Etwas Schreckliches ist passiert, die Nachrichten sind voll davon, die Erwachsenen reden darüber. Es sind, an einem Abend wie gestern, also eine Menge Informationen, die auf Kinder einprasseln. Aber für viele Kinder sind das alles nur Bruchstücke. Daraus basteln sie sich im schlimmsten Fall Horrorbilder und Ängste.
Ehrlichkeit hilft - und Einordnung
Eltern können ihre Kinder vor den Nachrichten nicht bewahren, und sie dürfen sie nicht mit Ängsten und Fantasien allein lassen. "Das ist nichts für dich", ist die falsche Antwort. Das Gefühl, die Eltern verschweigen etwas, öffnet nur den Raum für eigene, womöglich schlimmere Fantasien.
Schon Erwachsenen fällt es nicht leicht, mal gedanklich zurückzutreten und das Gesehene zu ordnen. Gerade in diesem Jahr hat es viele Attentate gegeben. Auch Erwachsene beschleicht das diffuse Gefühl: Alles wird immer schlimmer, die Welt gerät aus den Fugen. Kinder kriegen das natürlich mit. Da hilft Ehrlichkeit - und Einordnung.
Man darf also ruhig sagen: "Ja, es sind viele schreckliche Sachen passiert." Aber man sollte hinzufügen: "Nachrichten berichten immer, wenn etwas Besonderes geschieht. Nachrichten zeigen also nicht, wie die Welt ist. Sie zeigen, was in der Welt an Außergewöhnlichem passiert. An den meisten Orten der Erde passiert die meiste Zeit über nämlich: gar nichts. Das kommt dann nur nicht in den Nachrichten vor."
Ihr Kind fragt nach Details? Erzählen Sie welche!
Auch die Gewalttat von Berlin darf man Kindern ruhig schildern, natürlich ohne grausame Details, ohne Sensationslust: "Da ist jemand mit einem Lkw auf den Weihnachtsmarkt in Berlin gefahren. Der war voller Leute. Die allermeisten Menschen konnten sich retten, einige leider nicht." Damit machen Sie klar, dass tatsächlich etwas Grausames passiert ist.
Je nach Alter wird Ihr Kind Details wissen wollen. Mein Rat: Erzählen Sie welche. Denn damit können Sie einerseits die Neugierde befriedigen und das Bedürfnis, über den Fall zu sprechen. Aber sie können - andererseits - versuchen, damit die Fantasie in eine Richtung zu steuern. Zum Beispiel: Erzählen Sie, wie schnell Rettungsdienste da waren. Oder dass am Anfang noch nicht klar war, ob es ein Unfall oder ein Verbrechen war.
Ich würde zum Beispiel erzählen, dass Krankenhäuser auf solche Notlagen eingerichtet sind. Es gibt Pläne, um schnell Ärzte und Pfleger zu mobilisieren, es gibt Fachleute für alle nur denkbaren Verletzungen. Solche Pläne gibt es nicht erst, seit es Terror ein Thema ist. So etwas kann auch bei einer Massenkarambolage auf der Autobahn wichtig sein.
Warum tun Menschen so etwas?
Und erzählen Sie, dass noch am Montagabend Menschen ins Stadtzentrum kamen, die gar nicht mitgekriegt hatten, was da los war. Die wollten einfach nur nach Feierabend schnell noch was kaufen. Selbst in Berlin, zum Zeitpunkt der Tat, war die Mehrzahl der Menschen gar nicht betroffen. Das ist kein Verharmlosen. Aber Sie rücken damit das Geschehen ein wenig aus dem Zentrum: Ja, es ist schrecklich, aber es sind nicht alle überall betroffen.
Bleibt die Frage nach dem Motiv: Warum tun Menschen so etwas? Ein Amokläufer kann krank sein. Ein Terrorist will Schrecken verbreiten und glaubt, dass er ins Paradies kommt. Das ist natürlich keine befriedigende Antwort. Ich weiß auch keine. Aber ich finde, dass kann man vor Kindern ruhig zugeben.
Und noch etwas können Sie tun: Gehen Sie mit Ihrem Kind auf den Weihnachtsmarkt oder in die City. Zeigen Sie, dass der Terror nicht unseren Alltag diktiert. Ausnahme: Ihr Kind ist sehr ängstlich und würde sich die ganze Zeit ein Was-wäre-wenn ausmalen. Für so ein Kind wäre das die falsche Aktion. Für alle anderen gilt: Heute gehen wir Kinderpunsch trinken - gegen die Angst.
Quelle : spiegel.de
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