Wie Lukasz U. seinem Mörder begegnete

  22 Dezember 2016    Gelesen: 657
Wie Lukasz U. seinem Mörder begegnete
Nach dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt gehen die Ermittler davon aus, dass der polnische Lkw-Fahrer Lukasz U. ein Zufallsopfer wurde. Der Familienvater wollte die Tat wohl noch verhindern. Doch die Entführung seines Lkw wirft auch Fragen auf.
In seiner Firma hatte Lukasz Robert U. den Spitznamen "Inspektor" - "weil er immer alle Regeln befolgt hat", sagt sein Chef, der polnische Speditionsunternehmer Ariel Zurawski, nach dem Anschlag in Berlin. "Wenn er am Samstag zwei Bier getrunken hat, ist er am Sonntag nicht in den Wagen gestiegen." Der Lkw-Fahrer galt als gewissenhaft. Am Tag seines Todes telefoniert U. gegen 15 Uhr mit seiner Frau. Er verspricht, sich später noch einmal bei ihr zu melden - nachdem er die Ladung seines Sattelschleppers abgeladen hat. Doch es ist das letzte Mal, dass die Frau etwas von dem 37-Jährigen hört. Wenige Stunden später wird Lukasz U. erschossen im Führerhaus seines Lkw gefunden.

Tage vor dem Attentat auf einen Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz belädt U. im italienischen Turin seinen 25-Tonner mit Stahlrohren. Sie sind für die ThyssenKrupp Schulte GmbH in Berlin bestimmt - sollen dort allerdings erst am Dienstag ankommen. Doch schon am Montagmorgen erreicht U. sein Ziel. Die Firma sitzt direkt am Spreeufer. Ganz in der Nähe vom Sprengelkiez im Berliner Ortsteil Wedding. Der polnische Fahrer will seine Ladung loswerden. Doch weil er zu früh dran ist, vertröstet ihn die Firma auf einen späteren Zeitpunkt. Sprecher Gerhard Sperling erzählt der Zeitung "Die Welt", dass U. seinen Lkw daraufhin in der Nähe abgestellt habe.

Auf Facebook schreibt der Vater eines 17-jährigen Sohnes, dass er sich um die Ecke einen Döner holen will. Noch einmal telefoniert er kurz mit seinem Chef in Polen. "Er sagte, abgesehen von den Büroangestellten sehe er um sich herum nur Muslime", erinnert sich Zurawski. Tatsächlich befindet sich ganz in der Nähe der ThyssenKrupp-Niederlassung eine Abteilung der Berliner Ausländerbehörde. Wenige Stunden später ist U. nicht mehr zu erreichen. Wo genau er auf seinen Mörder traf, ist nicht sicher. Fakt ist, dass der Lkw gegen 15.45 Uhr außerplanmäßig gestartet und einige Meter bewegt wurde. Das belegen einem Speditionsmitarbeiter zufolge die GPS-Daten aus dem entführten Sattelschlepper. "Es ist, als hätte jemand geübt, ihn zu fahren", sagte Lukasz Wasik.

Möglicher Kampf hinterm Lenkrad

Um 19.34 Uhr wird der Lkw ein weiteres Mal gestartet. Was in den zwei Stunden dazwischen passiert ist, bleibt ein Rätsel. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Attentäter im Besitz einer kleinkalibrigen Waffe war - jener Waffe, mit der er später den polnischen Fahrer auf dem Beifahrersitz erschießt. Unklar ist, ob der Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz von Anfang an das Ziel des Täters war. Denn normalerweise dauert die Fahrt von Moabit zum Kürfürstendamm nur rund 15 Minuten. Wahrscheinlich ist demnach, dass der Attentäter nicht den kürzesten Weg genommen hat. Unklar ist auch, ob es Notbremssysteme im Scania-Lkw gegeben hat - und wenn ja, warum sie nicht funktioniert haben. Sie können zwar vom Fahrer lahmgelegt werden. Allerdings muss dieser auch wissen, wie das geht.

Die Obduktion des Leichnams von U. soll nach "Bild"-Informationen ergeben haben, dass er zum Zeitpunkt des Anschlags noch lebte. Womöglich griff der 37-Jährige ins Lenkrad, als er merkte, was der Attentäter vorhatte. Doch dann bleibt die Frage: Warum hat der Täter U. überhaupt im Lastwagen mitgenommen? Immerhin musste er befürchten, dass der polnische Fahrer versuchen würde, die geplante Tat zu verhindern. Aus welchem Grund ging er dieses Risiko ein? Zurawski berichtet polnischen Medien, er habe seinen Fahrer noch am Abend des Attentats identifiziert. Man habe ihm auf der Wache ein Polizeifoto gezeigt. "Es war mit Sicherheit zu sehen, dass er gekämpft hatte", beschreibt Zurawski den Anblick der Leiche. "Es waren Stichwunden zu sehen."

Spediteur macht Deutschen Vorwürfe

Gestorben ist U. nach Medienberichten allerdings an einem Kopfschuss mit einer Kleinkaliberwaffe. Womöglich befindet sie sich noch im Besitz des Attentäters, nach dem seit Mittwochmorgen erneut gefahndet wird. Zurawski ist nach wie vor erschüttert über den Tod seines Fahrers - und er macht der ThyssenKrupp-Niederlassung in der polnischen Zeitung "Gazeta Wyborcza" schwere Vorwürfe. "Wenn die Deutschen etwas guten Willen gezeigt hätten, dann wäre das alles nicht passiert", sagt Zurawski.

Aber auch die Behörden tragen für ihn eine Mitverantwortung. "Er wurde nicht entführt, man hat ihm das nicht auf irgendeinem Parkplatz angetan, sondern praktisch im Zentrum von Berlin", sagte Zurawski weiter. "Dass so etwas am helllichten Tag in einer Straße der deutschen Hauptstadt geschehen kann, ist für mich unvorstellbar", fügte er hinzu. Dann erzählt er noch, der Vater des Toten sei am Abend des Attentats nach einem Zusammenbruch ins Krankenhaus eingeliefert worden. Er bekomme starke Beruhigungsmittel.

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