Streit um hohe Kartengebühren hat Folgen

  10 Januar 2017    Gelesen: 593
Streit um hohe Kartengebühren hat Folgen
Der Streit um die hohe Gebühren bei Kartenzahlung droht zu eskalieren. Angekündigte Klagen gegen Finanzhäuser belasten Bankaktien. Anwälte prüfen nun, ob Verbraucher auch klagen können.
Die lange Zeit hohen Gebühren für die Kartenzahlung im Handel sorgen für Streit – und zwar nicht nur die für die Girocard (früher: EC-Karte), auch um Kreditkartenentgelte wird gerungen. Die Vorgänge belasteten am Montag die Börse. Die Kurse von Deutscher Bank (minus 2,1 Prozent) und Commerzbank (minus 2,3 Prozent) gaben nach. Am Wochenende hatte die amerikanische Kanzlei Hausfeld angekündigt, im Auftrag von Mandanten aus Handel und Mineralölwirtschaft gegen deutsche Kreditinstitute wegen möglicher Absprachen über Kartengebühren vorzugehen. Man strebe zwar eine außergerichtliche Einigung an, das schließe aber nicht aus, dass parallel eine Schadensersatzklage wegen verbotener Kartellabsprachen vorbereitet werde, kündigte der deutsche Vertreter der Kanzlei, Christopher Rother, an.

Am Montag sagte Klaus Nieding, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht in Frankfurt, dieser Zeitung: Seine Kanzlei prüfe derzeit Möglichkeiten, ob auch geschädigte Verbraucher in Deutschland wegen der hohen Kartengebühren, die der Handel zum Teil weitergegeben hat, rechtliche Schritte ergreifen könnten: „Dieser Frage gehen wir nach. Aus meiner Sicht spricht viel dafür“, sagte Nieding.

Es geht um viel: Das Bezahlen mit Karte hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Entsprechend sind die Gebühreneinnahmen der Banken gestiegen. Nach Berechnungen der EHI, einer Forschungseinrichtung des Handels, hatten Karten im Jahr 2015 einen Anteil am Umsatz im deutschen Einzelhandel von 44,5 Prozent. Das waren 178 Milliarden Euro. Mit Abstand am wichtigsten sind die Zahlungen über Debitkarten wie EC- oder Girocard, die allein einen Anteil von 38 Prozent haben. Dabei liegen die Electronic-Cash-Verfahren, die nun im Mittelpunkt der Klage stehen, mit 23 Prozent oder 92,6 Milliarden Euro vor den auf Unterschriften beruhenden EC-Lastschriftverfahren, die auf 14 Prozent oder 56,8 Milliarden Euro kommen. Kreditkarten erreichen mit 23 Milliarden Euro einen Anteil von 5,7 Prozent.

Erst im Jahr 2007 hatten die Pin-basierten Zahlungen die EC-Lastschriftverfahren vom Umsatz her übertroffen. Dadurch sei auch die Gebührenbelastung für den Handel von Jahr zu Jahr gestiegen, schreibt das EHI in seiner Studie. In der Spitze hätten die Gebühren, die an Banken und Sparkassen gegangen sind, mehr als 270 Millionen Euro im Jahr ausgemacht. Seit dem 1. November 2014 aber sind die Entgelte zwischen Händlern und Banken individuell zu verhandeln, was auf eine Entscheidung des Bundeskartellamtes zurückzuführen ist. Darüber hinaus wurden die Gebühren infolge einer EU-Verordnung gedeckelt, so dass der Handel im Jahr 2015 an Gebühren 60 Millionen Euro gespart hat. Für das Jahr 2016 schätzt das EHI die Einsparungen auf 125,5 Millionen Euro. Die Verdopplung gegenüber dem Vorjahr führt das Institut auf die EU-Verordnung zurück, die erst 2016 ihre volle Wirkung entfaltet hat.

Auch bei Kreditkarten sorgen die Gebühren für Ärger. In Großbritannien reichten Walter Merricks, der bis zum Jahr 2009 als Ombudsmann der britischen Finanzbranche Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Instituten geschlichtet hat, und die Kanzlei Quinn Emanuel im September eine Sammelklage gegen die amerikanische Kreditkartengesellschaft Mastercard ein. Die Kläger verlangen einen Schadensersatz wegen überhöhter Gebühren von 14 Milliarden Pfund. Merricks und die Kanzlei fordern den Schadensersatz im Namen von 46 Millionen britischen Verbrauchern für den Zeitraum von 1992 bis 2008 zurück. Sie stützen sich auf eine Entscheidung der EU-Kommission, die gegen Mastercard und Visa wegen überhöhter Gebührenforderungen gegenüber Händlern Bußgelder verhängt hatte. Auch deutsche Unternehmen haben gegen Mastercard geklagt. Ende 2012 haben die Deutsche Bahn, Metro, die spanische Textilhandelsgruppe Inditex („Zara“) und die Autovermietung Hertz in London eine Klage gegen Mastercard eingereicht.

Paydirekt ist nicht betroffen

Nicht betroffen von den Klagen ist nach Unternehmensangaben Paydirekt, das Online-Bezahlverfahren der deutschen Banken und Sparkassen. Ein Online-Händler könne sich entweder direkt oder über sogenannte Händlerkonzentratoren dort anbinden, sagte eine Sprecherin. In beiden Fällen erfolge die Verhandlung der Entgelte – in Abstimmung mit dem Kartellamt – individuell mit den jeweiligen Banken: „Entsprechend ist der im Raum stehende Aspekt für Paydirekt nicht relevant.“

Für deutsche Verhältnisse ist der forsche Auftritt von Michael Hausfeld und seinen Anwaltskollegen äußerst ungewöhnlich. Das hat vor allem mit der amerikanischen Herkunft der Kanzlei zu tun. Bei Rechts- und Compliance-Verstößen von Unternehmen ist dort ein Schadensersatz in astronomischer Höhe („punitive damage“), möglich. Auch haben Verbraucherorganisationen mehr Möglichkeiten, juristischen Druck auf Kartellanten aufzubauen. Ein gängiges Mittel ist die Sammelklage, also alle Kunden und Verbraucher mit den gleichen Klagekriterien werden für ein Verfahren zusammengefasst – zusammen streitet es sich besser. Davon profitieren die Anwälte: Auf Verbraucherschutz spezialisierte Kanzleien wie Hausfeld erhalten im Fall einer erfolgreichen Klage oder eines außergerichtlichen Vergleichs Erfolgshonorare – laut Dow Jones zahlte Volkswagen in der Abgasaffäre anlässlich der Einigung für seine Fahrzeuge mit Zwei-Liter-Motoren 175 Millionen Dollar an die Klägeranwälte.

Das Einsammeln von Mandanten, Auswerten von Daten und Verklagen von Unternehmen wird dadurch industrialisiert; daher ist das Bild von der Klageindustrie in Amerika richtig. Die droht VW, diversen Nutzfahrzeugherstellern und den nun im Fokus stehenden Banken auch in Deutschland: Auch wenn es hierzulande keine Sammelklage nach amerikanischem Vorbild gibt, hat die deutsche Hausfeld-Filiale diverse milliardenschwere Klagen für Verbraucher und von illegalen Preisabsprachen geschädigte Unternehmen eingereicht. Oder sie bereitet eine solche wie im Fall der EC-Gebühren gerade vor.

In Christoph Rother hat Michael Hausfeld einen erklärten Anhänger dieser Geschäftsidee gefunden: Bevor Rother Anfang 2015 zu der Kanzlei stieß, leitete er die Abteilung für Regulierungs-, Wettbewerbs- und Kartellrecht bei der Deutschen Bahn. Der Konzern sah sich immer wieder durch Preisabsprachen von Zulieferern im Nachteil, von 2010 an baute Rother eine interne Abteilung auf, die Schadensersatzansprüche gegen Kartellanten geltend machte. Mehr als 20 Juristen machten in deutschen und britischen Gerichten hohe Schadensersatzforderungen geltend; der bekannteste Fall ist das sogenannte Luftfrachtkartellverfahren. Dafür hat die Bahn sogar ein eigenes Klagevehikel namens Barnsdale gegründet. Zahlreiche Unternehmen haben ihre Ansprüche an Barnsdale abgetreten; diese Gesellschaft hat 2014 elf Fluggesellschaften, darunter auch die Lufthansa, vor dem Landgericht Köln auf Schadensersatz von 1,2 Milliarden Euro verklagt. Federführend damals auf Bahn-Seite: Christoph Rother. Mit großen Streitwerten kennt sich der Anwalt von Hausfeld also aus.


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