Burnout bei Kindern- Schon Neunjährige verzweifeln am Leistungsdruck

  21 September 2015    Gelesen: 756
Burnout bei Kindern- Schon Neunjährige verzweifeln am Leistungsdruck
Schulstress, Hausaufgaben, Nachhilfe und schließlich noch Sporttraining. Immer mehr Kinder fühlen sich durch allgegenwärtigen Leistungsdruck überlastet. Die Folge sind oft Erschöpfungsdepressionen. Psychiater Michael Schulte-Markwort geht den Ursachen dieses Phänomens auf den Grund und zeigt Lösungswege auf.
Burnout, was nichts anders als eine Erschöpfungsdepression ist, galt jahrelang als Krankheitsbild gestresster Erwachsener. Aber auch Kinder und Jugendliche fühlen sich immer öfter ausgebrannt und überfordert. "Wenn die Diskrepanz zwischen Leistungsvermögen und Ansprüchen hoch genug ist, wird jeder Mensch irgendwann depressiv", erklärt der Ärztliche Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Hamburger Universitätsklinikums, MichaelSchulte-Markwort.

Symptome für Burnout bei Kindern

Die Depression beginnt bei Kindern häufig mit einem Leistungsknick in der Schule. Weitere Symptome sind schlechter Schlaf, Bauchschmerzen, Lustlosigkeit, Antriebslosigkeit und Appetitlosigkeit. Später kann sich das psychische Tief dadurch bemerkbar machen, dass Kinder traurig oder sogar verzweifelt sind. Manchmal sagen sie, dass sie nicht mehr können.

20 bis 30 Prozent der deutschen Kinder zwischen elf und 17 Jahren fühlen sich oft erschöpft. Das ist das Ergebnis der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) initiierten Studie "Health Behaviour in School-aged Children". In den zurückliegenden fünf Jahren habe sich das Problem verstärkt, sagt Schulte-Markwort. In seinem aktuellen Buch "Burnout-Kids - Wie das Prinzip Leistung unsere Kinder überfordert" schildert er anhand von Fallbeispielen aus seiner Praxis, warum junge Menschen, die so behütet und materiell abgesichert aufwachsen wie noch nie, vor ihrem Leben kapitulieren.

Familien sind straff organisiert wie Kleinunternehmen

Auf den ersten Blick scheinen die Ursachen für ein Burnout auf der Hand zu liegen: Volle Stundenpläne, Hausaufgaben, Nachhilfe und Musikunterricht, außerdem noch sportliche Hobbys. So kommt schnelle eine stramme 50-Stunden-Woche zusammen.

Allein die Fülle des Alltagsprogramms sei aber nicht der Grund für die Überforderung. Es sei ein Puzzle aus unterschiedlichen Ursachen, betont der Kinder- und Jugendpsychiater. Insbesondere das Prinzip Leistung trage zur Überlastung bei. "Hier spiegeln sich gesamtgesellschaftliche Realitäten wider. Ich nenne das `durchdringende Ökonomisierung`, die in allen Bereichen des Lebens wirkt. Familien, wo sich die Eltern zwischen Beruf, Partnerschaft, Haushalt und Erziehung aufreiben, funktionieren heute wie Kleinunternehmen und Kinder wachsen mit dem Renditedenken heran. Es zählt nur, was einen Mehrwert bringt. Die Kinder verinnerlichen das."

Schon Neunjährige denken: ohne Abi keine Zukunft

Diese leistungsorientierte Haltung zeigt sich vor allem in der Schule. Mittlerweile ist es nicht ungewöhnlich, dass Neunjährige sagen: "Wenn ich nicht aufs Gymnasium komme, ist meine Zukunft gelaufen." Oder dass Oberstufenschüler überzeugt sind, nur mit einem Abiturschnitt von mindestens 1,5 glücklich zu werden, weil sie sonst nicht ihr Wunschfach studieren können. Ein Abschluss mit schlechteren Noten ist deshalb für sie wertlos.

So ehrgeizige Ziele setzen sich die Kinder häufig selbst und geraten in die Burnout-Spirale. "Es sind nicht unbedingt die überfürsorglichen Eltern, die diese hohe Erwartungshaltung haben", weiß Schulte-Markwort. "Im Gegenteil. Immer öfter sitzen auch Mütter und Väter vor mir, die beteuern, sie verlangten von ihrem Nachwuchs gar keine überdurchschnittlichen Leistungen. Die Kinder empfinden solche Äußerungen häufig als zynisch. `Ihr müsst ja nicht mehr studieren`, argumentieren sie dann."

Keine Wertschätzung in der Schule

Doch nicht nur die eigenen Ansprüche der Kinder erzeugen Druck. Das Klima in deutschen Klassenzimmern trägt ebenfalls zu Stress bei. "Schule ist hierzulande kein Ort, wo Kinder und Jugendliche das Gefühl haben, Wertschätzung zu erfahren", kommentiert der Psychiater. "Hier wird eher ein defizitorientiertes System gepflegt, wo immer darauf geachtet wird, was nicht funktioniert - nicht selten eingebettet in eine sanktionierende Pädagogik des Mittelalters." Diese demotivierende Lernkultur zeige sich anschaulich in Schülerjahrbüchern. Darin seien Lehrerzitate zu lesen, die vor allem beleidigten, abwerteten und verletzten. "Die Pädagogen müssten vor Scham im Boden versinken."

Mit Psychotherapie aus der seelischen Krise

Eine Psychotherapie für Kinder und Jugendliche mit einer Erschöpfungsdepression dauert in der Regel ein halbes Jahr. Schulte-Markwort und sein Team entwickeln für jeden Patienten ein individuell zugeschnittenes Behandlungskonzept, oft begleitet von Physiotherapie und Sport. Ist das Krankheitsbild schwerwiegender, sind manchmal auch Medikamente notwendig.

"Wir versuchen gezielt, die Kinder fit zu machen, ihnen Strategien an die Hand zu geben, so dass sie den Anforderungen der heutigen Zeit widerstehen können. Das hat oft den Charakter von Coaching und Lerntherapie. Dabei trainieren die Patienten unter anderem, ihren Selbstwert anders zu definieren und sich Fragen zu stellen, wie etwa `Wo sind meine Ressourcen?` oder `Wie kann ich auf mich vertrauen, dass auch etwas aus mir wird, wenn ich kein Abitur mit 1,5 mache?`"

Bei der Behandlung sollten die Eltern mit ins Boot genommen werden. Denn nur wenn die gesamte Familiensituation analysiert wird, kann das Leistungsprinzip aufgebrochen werden. So lässt sich bereits mit wenigen praktischen Maßnahmen Alltagsdruck abfedern. Schulte-Markwort empfiehlt zum Beispiel, sich die Kalender aller Familienmitglieder vorzunehmen, um zu schauen, wer an welchem Tag Zeit hat. So könne man Inseln mit gemeinsamer Zeit für Spaß und Erholung schaffen.

Der Mediziner wünscht sich erhöhte Sensibilität und Aufmerksamkeit von Müttern und Vätern. "Eltern sollten ihr Kind so begleiten, dass sie immer merken, wenn sich deren Verhalten auffällig verändert. Das darf man nicht abtun, sondern sollte möglichst frühzeitig zur Diagnostik kommen. Sonst riskiert man, dass sich eine Depression manifestiert."

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