Irakische Armee nach Einnahme Ost-Mosuls erschöpft – Überlebt IS in West-Irak?

  04 Februar 2017    Gelesen: 1856
Irakische Armee nach Einnahme Ost-Mosuls erschöpft – Überlebt IS in West-Irak?
Der Kampf um Mosul ist die wohl wichtigste Schlacht im Irak seit der US-Invasion 2003 und wird die Zukunft der arabischen Republik bestimmen. Der renommierte Analyst Tallha Abdulrazaq bewertet die weiteren militärischen Aussichten der irakischen Armee angesichts der hohen Verlustzahlen gegen den „Islamischen Staat“ skeptisch.
Der Kampf um die irakische Metropole geht in die 15. Woche. Die irakischen Sicherheitskräfte sind noch immer damit beschäftigt, ihre Gewinne auf der Ostseite des Tigris-Flusses zu konsolidieren, der die Stadt entzwei teilt. Die Stadt gehört zu den letzten Hochburgen des „Islamischen Staates“ im Irak.

Es existieren noch immer Widerstandskorridore in Gebieten am Ufer des Tigris wie beispielsweise in den Vierteln von Raschidiye und Schraikhan. Inzwischen beabsichtigt Bagdad den IS aus West-Mosul herauszudrängen. Die Frage, die gestellt werden muss, ist, wie hoch werden die Kosten für dieses Unterfangen?

In vielerlei Hinsicht ähneln die Kämpfe um die zweitgrößte irakische Stadt einer Operation, die Saddam Husseins irakische Armee vor rund vier Jahrzehnten bereits führen musste.

In den ersten Tagen des iranisch-irakischen Krieges 1980 befahl Saddam Hussein seiner Armee, die Stadt Muhammara einzunehmen, die im iranischen Grenzgebiet liegt und als Chorremschahr bekannt ist. Die Kämpfe um die Stadt mündeten in blutigen Straßenschlachten, die die irakischen Spezialeinheiten schließlich erheblich dezimieren sollten und damit die Fähigkeiten Iraks im Konflikt auf lange Sicht beeinflussten. Die Sondereinsatzkommandos Husseins brauchten Jahre, um sich von diesem Schock zu erholen.

Obwohl die Einnahme von Muhammara – eine kleinere Stadt als Mosul – durch irakischen Armee nur neunundeinhalb Monate dauerte, gibt es zahlreiche Parallelen zwischen diesen Kämpfen und den laufenden Operationen in Mosul.

Im Kampf um Mosul verlässt sich die Zentralregierung in Bagdad ebenso hauptsächlich auf ihre Spezialeinheiten, der auch Anti-Terror-Dienst (CTS) genannt wird. Dieser wird von den USA ausgebildet und bewaffnet. Der CTS führt die Operationen in Mosul an und vermochte den Widerstand des IS auf der Ostseite der Stadt weitestgehend zu brechen, so die offizielle Lesart.

Bemerkenswert ist, dass jüngste Berichte und Interviews mit hochrangigen US-Militärkommandeuren hervorbrachten, dass der CTS vom „Islamischen Staat“ stark aufgerieben wurde in den vergangenen drei Monaten. Demnach verloren die Sondereinsatzkommandos „bis zu 50 Prozent“ ihrer Kameraden, was angesichts der noch anstehenden Kämpfe mit der islamistischen Miliz die Militärführung in Bagdad und den USA unruhig stimmen sollte.

Bestätigend wirkt dabei der Umstand, dass die Behörden in Bagdad ablehnen, Zahlen über Verluste in Mosul zu veröffentlichen, was wiederum Hochrechnungen aus IS-nahen Quellen zumindest ansatzweise befürwortet. Laut Angaben der Terrormiliz verlor die irakische Armee, die bei der US-unterstützten Operation 100.000 Mann nach Mosul verlegte, bis zu 6,500 Soldaten in nur wenigen Wochen.

Es gibt zwar keine objektiven Wege, die IS-Hochrechnungen zu verifizieren, die wahrscheinlich aus Propaganda-Gründen übertrieben wurden, aber in Kombination mit seriösen Stellungnahmen von US-Kommandeuren und eigenen Angaben der Vereinten Nationen verstärkt sich der Eindruck, dass die irakische Armee heftige Rückschläge gegen sich eingrabenen und aufopferungsbereiten Feind in Mosul erlitt.

Als solches macht es die Gründe wiederum verständlich, warum der irakische Premierminister Haidar al-Abadi sein Versprechen nicht realisieren könnte, den IS bis Ende 2016 aus Mosul zu vertreiben. Am 30. Dezember räumte al-Abadi schließlich ein, dass die Terrormiliz auch diesen Frühling nicht aus Mosul vertrieben werden kann.

Iraks militärische Optionen

Die Erkenntnis, dass die Speerspitze der irakischen Armee maßgeblich geschwächt wurde, führt zur Frage, wie will Irak die westliche Seite der nordirakischen Millionenstadt einnehmen? Es ist davon auszugehen, dass die Altstadt im Westen stärker vom IS befestigt wurde als der Osten, der entgegen von Regierungsaussagen nicht ganz von der Armee kontrolliert wird.

Das Erreichen des Tigris-Flusses sollte auch nicht als „halber Meilenstein“ gefeiert werden. Krieg ist in der Regel keine lineare Angelegenheit. Der Westteil Mosuls wird alleine schon wegen seiner Unzugänglichkeit schwieriger als der Osten.

Um den IS daran zu hindern, Verstärkung in den Osten der Stadt zu verlegen, bombardierten US-Kampfflugzeuge bereits zu Beginn der Operationen die insgesamt fünf Brücken, die die Stadt miteinander verbinden. Sie alle wurden zerstört. Das führt zu dem Problem, dass Pioniere der vorübergehende Brücken errichten müssten, um die Verlegung von Soldaten und Kriegsmaterial über den Fluss zu gewährleisten.

Um wiederum ein solches Szenario möglich werden zu lassen, müssten die irakischen Sicherheitskräfte das Artilleriefeuer, Scharfschützen, Bombenangriffe und Bodenoffensiven des IS in Schach halten, während in der Zwischenzeit andere Truppen einen Brückenkopf herstellen.

Jeder Versuch, der dieses Vorhaben ins Auge fasst, sieht einen schnellen Truppentransfer von mehreren tausend Soldaten vor, um den IS zahlenmäßig zu überwältigen. Dieser muss daran gehindert werden, eine Gegenoffensive zu starten, die übersetzenden irakischen Truppen der Gefahr aussetzen, in den Tigris gespült zu werden.

Die irakische Armee könnte außerdem erwägen, Marinesoldaten auf Schnellbooten zu entsenden, die neuralgische Punkte am westlichen Ufer halten. Auch könnten Fallschirmspringer die IS-Verteidigung stören, während ein Brückenkopf errichtet wird. Unterm Strich werden beide Erwägungen der irakischen Armee zahlreiche Leben kosten.

Eine weitere Option wäre es, den IS in Mosul in die Enge zu treiben. Dafür müsste Bagdad die Tel Afar-Front wiederbeleben. Die Turkmenen-Stadt liegt rund 60 Kilometer weiter westlich von Mosul und ist das letzte verbliebene Nadelöhr des IS nach Syrien. Von Tel Afar könnten die föderalen irakischen Truppen Druck auf Mosul ausüben und den IS dazu zwingen, seine Verteidigung zu teilen, was ein Übersetzen von Ost-Mosul vereinfachen würde.

Eine solche Entwicklung sieht die enge militärische Koordinierung mit der pro-iranischen „Volksmobilmachung“ vor, eine mehrheitlich schiitisch geprägte paramilitärische Organisation, der von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International Kriegsverbrechen gegen die sunnitisch-arabische Bevölkerung vorgeworfen wird. Die politischen Kosten für eine Involvierung der „Volksmobilmachung“ in der sunnitisch-arabisch dominierten Stadt könnten größer als ihr militärischer Gewinn werden. Der IS wird seine Kriegsrhetorik gegen die schiitische Konfession „als Gehilfin des US-amerikanischen Imperialismus im Irak“ intensivieren und die sunnitische Bevölkerung weiter in die eigenen Arme treiben, was den Widerstand gegen Bagdad erhöht und konfessionelle Gräben vertieftSollten die irakischen Einheiten West-Mosul erst einmal betreten haben, wird es in der Stadt primär einen Kampf von Mann zu Mann und Tür zu Tür geben. Die Altstadt von Mosul ist geradezu gespickt mit engen Straßen, die gepanzerten Fahrzeugen die Durchfahrt verwehren. Dieser Umstand und der Tigris-Fluss machen West-Mosul zu einer kaum durchdringbaren Bastion. Die Kämpfe werden zu weiteren schweren Verlusten aufseiten der irakischen Armee führen und die Befreiung der Stadt nochmals verlängern. Eine Beendigung der Kämpfe im Frühling erscheint nicht realistisch.

Der „Islamische Staat“ bereitet sich seit Jahren auf die Kämpfe mit der irakischen Armee in Mosul vor. Die Miliz verwandelte die Stadt in eine Todeszone. Den IS aus Mosul zu vertreiben und das barbarische selbsternannte Kalifat zu beenden, muss Bagdad teuer erstehen. Die Schlacht um Mosul ist in seiner Intensität seit der US-Invasion 2003 beispiellos und entscheidend für die Zukunft des politisch zerstrittenen Iraks.

Tallha Abdulrazaq ist Politik- und Militärwissenschaftler am Institut für Strategie und Sicherheit der britischen Universität von Exeter.

Erschienen auf eurasianews

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