Flynn geht, die Krise bleibt

  15 Februar 2017    Gelesen: 364
Flynn geht, die Krise bleibt
Mit Michael Flynn verliert Donald Trump sein erstes Regierungsmitglied. Die Affäre um die Russlandpolitik des US-Präsidenten ist damit aber längst nicht beendet. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Bis zum Ende bleibt Michael Flynn loyal und pathetisch. Während seiner gesamten Karriere habe er Wert auf Ehrbarkeit und Aufrichtigkeit gelegt. Es sei ihm eine große Ehre gewesen, mit US-Präsident Donald Trump zusammenzuarbeiten, ja, seine Regierung werde in die Geschichte eingehen. Nur - wie konnte es da passieren, dass er dessen Vize Mike Pence belog?

Ein Versehen, der hohen Geschwindigkeit der Ereignisse geschuldet, schreibt Flynn in seinem Rücktrittsbrief. Statt von Lügen spricht er davon, Pence und andere "unbeabsichtigt mit unvollständigen Informationen über meine Telefongespräche mit dem russischen Botschafter" unterrichtet zu haben.

Eine Entschuldigung, ein Rücktritt - ist damit die Krise abgewendet? Wohl kaum. Manche halten die Flynn-Affäre nur für den Anfang eines viel größeren Skandals. Alle wichtigen Fragen und Antworten im Überblick:

Warum ist Flynn zurückgetreten?

Hintergrund der Flynn-Affäre sind Telefongespräche, die der General mit dem russischen Botschafter Sergej Kisljak im Dezember geführt hat - also noch bevor er ein offizielles Amt innehatte. Etwa zur gleichen Zeit hatte der scheidende Präsident Barack Obama neue Sanktionen gegen Russland verhängt. Moskau kündigte wenig später an, darauf nicht zu reagieren - ein ungewöhnlicher Schritt für die Regierung von Wladimir Putin.

Trumps Sprecher Sean Spicer und sein Vize Pence bestätigten später Kontakte zwischen Flynn und dem Botschafter, bestritten allerdings, dass dabei über Sanktionen gesprochen worden sei. Die "Washington Post" enthüllte jedoch, dass Flynn und Kisljak sehr wohl auch über die Sanktionen gesprochen hatten.

Laut "New York Times" befragten FBI-Agenten Flynn schon in den Anfangstagen von Trumps Präsidentschaft zu dessen Gesprächen mit dem russischen Botschafter. Über den Inhalt der Befragung ist nichts bekannt, die Agenten glauben jedoch, Flynn sei nicht ganz offen gewesen. Sollten die Ermittler zu dem Schluss kommen, er habe wissentlich gelogen, wäre das eine schwere Straftat.

Am Montag dann ging alles sehr schnell: Nachmittags teilte Trumps Beraterin Kellyanne Conway noch mit, der Präsident habe vollstes Vertrauen in Flynn. Erneut war es die "Washington Post", die kurz darauf berichtete, dass das Justizministerium das Weiße Haus gewarnt habe, Flynn habe sich erpressbar gemacht, als er mit Pence über den Vorfall gesprochen und ihm nicht die Wahrheit gesagt habe. Trump und Pence berieten sich - am Ende erklärte Flynn seinen Rücktritt.

Was wusste Trump - und wann?

Nach Informationen der "Washington Post" wusste das Weiße Haus schon seit einem Monat über den Inhalt der fraglichen Flynn-Telefonate Bescheid. "Wir arbeiten seit Wochen daran", zitierte die "Post" einen hochrangigen Regierungsvertreter. Die damals amtierende Justizministerin Sally Yates habe Trumps Chefjustiziar Donald McGahn gewarnt, dass Flynn ein potenzielles Sicherheitsrisiko darstelle, da er sich erpressbar gemacht habe.

Die inzwischen zurückgetretenen Geheimdienstchefs John Brennan und James Clapper hätten diese Warnung sekundiert: Flynn sei "kompromittiert". Es geschah jedoch nichts - stattdessen feuerte Trump kurz darauf die Justizministerin Yates im Streit um sein später gerichtlich blockiertes Einreiseverbot.

In seinem Rücktrittsschreiben gab Flynn zu, er habe außer Pence auch andere "unvollständig informiert". Wer damit gemeint ist, ließ er offen. Trump hatte bis zuletzt bestritten, überhaupt etwas gewusst zu haben. Auch wer im Weißen Haus sonst noch informiert war und womöglich öffentlich darüber gelogen hat, ist unklar.

"Was wusste der Präsident, und wann wusste er es?", fragte der Stratege der Demokraten, David Axelrod, am Montag im TV-Sender CNN - eine Formulierung, die während des Watergate-Skandals berühmt geworden ist, der 1974 zum Rücktritt von US-Präsident Richard Nixon führte.

Erste Antworten lieferte Trumps Sprecher Spicer am Dienstag - und warf zugleich neue Fragen auf: Trump habe seit mehreren Wochen gewusst, dass Flynn gegenüber Pence nicht die Wahrheit gesagt habe, teilte Spicer mit. Der Präsident habe dies untersuchen lassen. Aus Trumps Sicht habe es sich nicht um ein rechtliches Problem gehandelt, sondern um eine Frage des Vertrauens. Und noch ein interessantes Detail ist nach Darstellung von Spicer anders: Demnach trat Flynn nicht eigenständig zurück, sondern wurde von Trump entlassen.

Während Trump davon wusste, dass Flynn Pence belogen hatte, blieb der Vizepräsident laut eines seiner Sprecher darüber lange im Dunkeln. Er soll erst am 9. Februar - und damit 15 Tage nach Trump - informiert worden sein. Stimmt die Aussage des Pence-Sprechers, würde das eine ganz neue Ebene im Durcheinander im Weißen Haus bedeuten.

Wer wird neuer Sicherheitsberater? Löst das die Probleme?

Mit Flynn verliert der außenpolitische Laie Trump seinen wichtigsten Mann in sicherheitspolitischen Fragen - und das ausgerechnet, während etliche globale Krisen brodeln. Der Sicherheitsberater ist die zentrale Schalt- und Entscheidungsstelle zwischen Weißem Haus, Außenministerium und Pentagon. Armeegeneral a.D. Keith Kellogg, der den Posten nun erst einmal kommissarisch übernimmt, gilt als nicht erfahren genug.

Als Kandidaten wurden Ex-Admiral Bob Harward sowie Ex-General David Petraeus genannt, der frühere CIA-Chef. Petraeus ist freilich selbst vorbelastet: Er wurde 2015 zu zwei Jahren Bewährung verurteilt, weil er Staatsgeheimnisse an seine Geliebte ausgeplaudert hatte; die Strafe ist erst im April abgedient.

Doch mit einer Personalie dürfte es sowieso nicht getan sein. Der Nationale Sicherheitsrat (NSC), dem auch die Top-Minister sowie neuerdings Trumps Chefberater Stephen Bannon angehören, stützt sich auf einen großen Apparat aus Hunderten Beamten. Dort herrscht nach Recherchen der "New York Times" schon länger Chaos - und nicht nur wegen Flynn: Viele langjährige NSC-Experten weigerten sich, für Trump zu arbeiten, andere hätten Probleme, Trumps konfuse Twitter-Diplomatie umzusetzen.

Viele der aktuellen Leaks kommen offenbar auch aus dem NSC, der teils gegen Trump zu agieren scheint. Zumal Bannon im Weißen Haus parallele Entscheidungsstrukturen eingerichtet hat, am NSC vorbei. Die Konsequenzen dieser Desorganisation zeigten sich am Wochenende, als Trump und Flynn in aller Öffentlichkeit über einen nordkoreanischen Raketentest berieten, und zwar in Trumps Residenz in Florida - vor privaten Dinnergästen, die das Ganze danach auf Facebook posteten.

Wie reagiert der Kreml auf die Flynn-Affäre?

Äußerst schmallippig. Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow erklärte am Dienstag lediglich, es handele sich um eine "inneramerikanische Angelegenheit", und diese wolle man "überhaupt nicht kommentieren". Nachfragen bügelte er ab. Dabei hatte Peskow noch am Montag Flynn verteidigt und erklärt, dass es keine Gespräche mit dem russischen Botschafter Kisljak über Sanktionen gegeben habe. Geholfen hat das nicht.

Harsch reagierten russische Abgeordnete denn auch auf Flynns Rückzug: Der Vorsitzende im Außenausschuss des Föderationsrates, Konstantin Kossatschow, sprach von "nicht nur Paranoia, sondern etwas viel Schlimmerem"; der Senator und Außenexperte Alexej Puschkow von einer "aggressiven Kampagne" und "Hexenjagd".

Flynn - das Opfer antirussischer Stimmung, so sieht man das in Moskau. Dort galt der einstige Drei-Sterne-General bislang als Hoffnungsträger in Trumps Mannschaft. Er hatte sich immer wieder für eine Verbesserung der Beziehungen mit dem Kreml ausgesprochen, und das hört man in Moskau gern. Russische Medien beschrieben ihn als "wahrscheinlich wichtigste Verbindung Trumps mit Putin". Im Dezember 2015 saß Flynn bei der Jubiläumsgala zum zehnten Geburtstag des staatlichen Auslandskanals Russia Today neben dem Präsidenten.

Was bedeutet das Debakel für die Beziehungen zu Moskau insgesamt?

Es ist der erste große Dämpfer für die Beziehung zwischen Trump und Putin. Moskaus Hoffnung auf ein Abmildern oder gar Aufheben der Sanktionen ist mit Flynns Abgang gesunken. Dass dieser nun gehen musste, zeigt dem Kreml, unter welchem Druck Trump steht: Der US-Präsident kann nicht unbedingt so agieren, wie er möchte.

Doch was will Trump überhaupt von Putin? Rätselraten in Moskau. Seit Wochen betont die russische Führung, man sei zu einem baldigen Treffen bereit, zuletzt hatte Putin für eine Zusammenkunft in Slowenien geworben, der Heimat von Trumps Frau Melania. Bisher gab es nur ein Telefonat der Staatsoberhäupter - das war`s. Die große Trump-Euphorie in den staatsnahen russischen Medien hat bereits nachgelassen, es sind inzwischen auch kritische Zwischentöne zu lesen, etwa über den "unkontrollierbaren" Präsidenten Trump. Die russische Führung schafft deshalb Fakten, etwa im Syrienkrieg, nach dem Motto: Es ist Moskau, das die Friedensverhandlungen vorantreibt.

Wie geht es weiter mit Flynn - und der Russland-Thematik?

Die Flynn-Affäre könnte der Anfang eines viel größeren Skandals sein, glauben manche in Washington. Denn die Telefonate mit dem russischen Botschafter Kisljak sind angeblich nicht die einzigen Kontakte Flynns mit Moskau. Auch während des von Russlands Cyberattacken beeinflussten Wahlkampfes habe er schon mit Flynn gesprochen, bestätigte Kisljak der "Washington Post". Flynn steht außerdem schon wegen älterer Russland-Verbindungen im Visier: So ließ er sich 2015 von Moskau für eine Rede bezahlen.

In manchen US-Medien tauchte zudem die Frage auf, welche weiteren Informationen Flynn - der an allen sicherheitsrelevanten Sitzungen des Weißen Hauses teilnahm - an die Russen weitergegeben haben könnte. Seit Trumps Amtsantritt "gehen wir davon aus, dass der Kreml im Situation Room mithört", zitierte der "New York Observer" einen Pentagon-Beamten.

Hinzukommt, dass Details des berüchtigten Russland-Dossiers über Trump und seine angeblichen Beziehungen zu Moskau, das im Januar Wirbel machte, nach Informationen von CNN inzwischen teilweise bestätigt wurden. Vier Ausschüsse im Kongress ermitteln zurzeit in dieser Sache; schon werden Rufe laut, Flynn und andere Akteure darüber unter Eid zu verhören. Die demokratischen Abgeordneten John Coyers und Elijah Cummings fordern: "Wir müssen wissen, wer sonst im Weißen Haus ein aktuelles und fortdauerndes Sicherheitsrisiko ist."

Quelle : spiegel.de

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