Anschläge in Paris überschatten Fußball-Länderspiel

  14 November 2015    Gelesen: 599
Anschläge in Paris überschatten Fußball-Länderspiel
An einem gespenstischen Freitag hat Fußball-Weltmeister Deutschland ein sportlich frustrierendes Ende einer turbulenten Woche erlebt - doch der Sport war bei der 0:2-Niederlage gegen EURO-Gastgeber Frankreich angesichts der Anschläge in Paris nur Nebensache.
Nach einer Evakuierung am Freitagmorgen des DFB-Hotels wegen einer Bombendrohung wurde auch das Spiel im EM-Finalstadion von Paris von schlimmen Zwischenfällen überschattet: Bei mehreren Anschlägen in Paris wurden mehr als hundert Menschen getötet. Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande, der im Stadion war, rief kurz vor Mitternacht den Notstand aus und sagte den Attentätern den erbitterten Kampf an. Die Grenzen des Landes wurden geschlossen.

Bundestrainer Joachim Löw zeigte sich tief betroffen. "Wir sind alle erschüttert und schockiert", sagte Löw in der ARD: "Für mich treten der Sport, das Spiel und die Gegentore völlig den Hintergrund. Darüber gibt es nichts zu sagen." Als er während des Spiels zweimal einen Knall hörte, fühlte sich Löw nach eigener Aussage "natürlich an die Bombendrohung erinnert", die es am Morgen im deutschen Teamhotel gegeben hat: "Wir alle auf der Bank haben daran gedacht, weil wir heute Mittag schon in Schrecken versetzt wurden. Wenn ich das gehört habe, konnte ich mir in etwa ausmalen, was das sein wird."

Zum Zeitpunkt nach dem Schlusspfiff war war noch offen, wie der DFB reagieren würde, ob und wann er Paris verlassen werde. "Wir sind etwas ratlos, müssen beraten, was wir tun", sagte Löw. Die Pressekonferenz und Spieler-Interviews wurden komplett abgesagt.

Teammanager Oliver Bierhoff berichtete über "große Unsicherheit, große Angst und eine komische Stimmung in der Kabine. Man hat gemerkt, wie geschockt die Spieler sind. Sie haben sofort nach ihren Telefonen ergriffen, um sich zu informieren oder zu Hause anrufen." Auch der kommissarische DFB-Präsident Reinhard Rauball war tief bewegt: "Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier saß neben mir. Die Nachrichten, die er bekommen hat, waren von Minute zu Minute tragischer", sagte er in der ARD: "Da war schnell klar, dass an einem solchen Tag der Sport eindeutig in den Hintergrund tritt." Rauball dachte auch sofort an die EM im kommenden Jahr in Frankreich: "Ich hoffe, dass die richtigen Schlüsse gezogen und Einfluss genommen werden kann, gerade im Hinblick auf das große Fest, das nächsten Sommer in Frankreich stattfinden soll."

Die dritte Niederlage im neunten Spiel des Jahres 2015 besiegelten Stürmer Olivier Giroud vom FC Arsenal (45.+1) und Andre-Pierre Gignac vom mexikanischen Topklub UANL Tigres (86.). Zwei Minuten vor dem 0:1 hatte Rückkehrer Mario Gomez in seinem ersten Länderspiel nach 436 Tagen die große Chance zur Führung vergeben. Durch die Niederlage ging auch das Debüt des EM-Trikots daneben, das der Weltmeister am Freitag erstmals trug. Am Dienstag (20.45/ZDF) in Hannover gegen die nicht für die EM qualifizierten Niederlande strebt Löws Team nun zumindest einen sportlich versöhnlichen Jahresabschluss an.

Doch das Spiel war am Freitag nur Nebensache: Nach Polizei-Angaben gab es in der Nähe des Stadions Explosionen, in der Stadt Schießereien. Zudem kam es in der Konzerthalle Bataclan zu einer Geiselnahme. Während des ersten Halbzeit war ein lauter Knall zu hören gewesen, der zunächst nicht zuzuordnen war. François Hollande verließ zur Halbzeit das Stadion und begab sich ins Innenministerium und rief einen Krisenstab ein. Die Arena wurde zwischenzeitlich abgeriegelt, niemand durfte sie betreten oder verlassen, über dem Stadion kreisten Hubschrauber. Nach dem Spielende rannten zahlreiche Zuschauer von den Tribünen panikartig zurück auf das Spielfeld.

Sportlich hatte Löw im Stade de France einmal mehr überrascht. Dass Gomez als Mittelstürmer nach 14-monatiger Abstinenz sein Comeback in der DFB-Auswahl gab, war zwar zu erwarten, dafür verblüffte Löw mit seiner taktischen Ausrichtung. Gegen die Franzosen setzte der 55-Jährige auf ein 3-4-2-1-System. Letztmals hatte Deutschland zuvor im Juni mit einer Dreierkette beim 7:0 gegen Gibraltar agiert.
In der ersten halben Stunde kam das DFB-Team nur ganz selten in die gegnerische Hälfte. Eine Chance von Thomas Müller nach Vorarbeit des bei seinem Comeback nach 13 Monaten ebenfalls lange schwachen Julian Draxler wirkte als Weckschuss (34.). Es folgte eine erste kleine Chance für Gomez (38./Außennetz) und die größere nach Vorlage von Müller (43.), bei der der Stürmer von Besiktas Istanbul den Ball über das Tor drosch. Ausgerechnet in die deutsche Drangphase fiel das Tor der Franzosen, als Giroud nach sensationeller Vorlage von Manchester Uniteds Jungstar Anthony Martial aus vier Metern unhaltbar für Manuel Neuer vollstreckte.

Nach der Pause gönnte Löw Boateng eine Pause, für ihn kam Shkodran Mustafi. Die Stimmung im Stadion war nach der Nachricht der Anschläge in der Stadt ausgesprochen seltsam, das sportliche Geschehen hatte plötzlich nur noch eine Nebenrolle. Frankreich erzielte noch ein zweites Tor durch Antoine Griezman, das wegen vorheriger Abseitsposition von Giroud zurecht nicht anerkannt wurde (53.). Deutschland hatte bei einem Pfostenschuss von Thomas Müller aus 22 Metern noch eine große Chance (77.), ehe Gignac alles klar machte.

In der letzten halben Stunde kam es noch zu Debüts zweier 19-Jährige: Beim DFB-Team kam in der 61. Minute der Schalker Leroy Sané, bei den Franzosen acht Minuten später Kingsley Coman von Bayern München.

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