Niederländisch-türkischer Streit

  13 März 2017    Gelesen: 834
Niederländisch-türkischer Streit
Eine Ministerin wird des Landes verwiesen, ein Präsident spricht von Nazi-Methoden: Was ist da los zwischen der Türkei und den Niederlanden? Eine Rekonstruktion der Ereignisse.
Der heftige Streit zwischen der Türkei und den Niederlanden hat am Wochenende die europäische Politik bestimmt. Alles fing damit an, dass der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu in Rotterdam für das umstrittene Referendum zur Verfassungsreform in der Türkei werben wollte. Doch binnen Stunden eskalierten die Ereignisse.

Da in den Niederlanden am Mittwoch Parlamentswahlen stattfinden, bekam der geplante Auftritt des türkischen Ministers eine zusätzliche Tragweite.

Der Wahlkampf türkischer Regierungsmitglieder in Europa ist ohnehin ein heikles Thema zwischen den EU-Staaten und der Türkei. Die Dimension, die der Streit zwischen den Niederlanden und der Türkei am Wochenende erreichte, ist allerdings beispiellos.

Was genau passiert ist - eine Chronologie der Ereignisse:

Vorgeplänkel: Alles begann damit, dass am Mittwochabend eine für Samstag geplante Veranstaltung des türkischen Außenministers Cavusoglu in Rotterdam abgesagt wurde. Bürgermeister Ahmed Aboutaleb teilte in einem Schreiben an den Stadtrat mit, der Eigentümer stelle den Veranstaltungsort nicht länger zur Verfügung. Am nächsten Tag bezeichnete dann der niederländische Außenminister Bert Koenders einen Auftritt Cavusoglus in Rotterdam als unerwünscht.

Der türkische Außenminister hielt jedoch an seiner Reise nach Rotterdam fest - auch nach einem Telefonat mit Koenders. Und obwohl der niederländische Premier Mark Rutte deutlich machte, dass man keine Wahlkampfauftritte türkischer Minister dulde. Am Freitagabend meldete sich dann erneut Rotterdams Bürgermeister Aboutaleb zu Wort, man werde einen Wahlkampfauftritt Cavusoglus unterbinden, sollte dieser tatsächlich nach Rotterdam reisen, auch wenn ein Einreiseverbot nicht zur Debatte stehe.

Samstagmorgen - Eskalation: Am Samstagmorgen verschärfte Cavusoglu dann den Ton. Sollten die Behörden seinen Besuch behindern, werde die Türkei "schwere Strafmaßnahmen" gegen die Niederlande verhängen. Er bekräftige seine Reisepläne: "Ich fahre heute nach Rotterdam." Cavusoglu wollte nun auf dem Konsulatsgelände vor geladenen Gästen sprechen. Ähnlich war er schon in Hamburg vorgegangen; Auftritte in diplomatischen Vertretungen können kaum verhindert werden.

Landeerlaubnis entzogen: Nach den Drohungen aus der Türkei begann die Eskalation. Die Niederlande verweigerten dem türkischen Außenminister die Einreise. Die öffentliche Androhung von Sanktionen mache die weitere Suche nach einer "vernünftigen Lösung" unmöglich. Den Haag begründete den Schritt nun außerdem damit, dass ein Aufruf an Türken zur massenhaften Teilnahme an dem geplanten Auftritt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde.

Samstagnachmittag - Nazi-Vorwürfe von Erdogan: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan reagierte mit wütenden Beschimpfungen auf das Landeverbot für seinen Außenminister. Die Niederlande seien "Nazi-Nachfahren", sagte er bei einer Veranstaltung am Samstag. "Sie sind so befangen, so ängstlich", sagte Erdogan nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. "Das sind Nachfahren der Nazis, das sind Faschisten."

Das wiederum wollte der niederländische Premier Rutte so nicht stehen lassen. "Ich verstehe, dass sie sauer sind, aber das geht viel zu weit", sagte er dem öffentlich-rechtlichen Rundfunksender NPO Radio 2 zu Erdogans Angriff. "Es geht um einen Nato-Bündnispartner, doch unter Drohungen und Erpressungen können wir natürlich keine Gespräche führen."

Samstagabend - Türkische Ministerin wird ausgewiesen: Am Samstagabend stoppte dann die Polizei in Rotterdam einen Konvoi mit der türkischen Familien- und Sozialministerin Fatma Betül Sayan Kaya, die aus Düsseldorf kam, und verweigerte ihr den Zugang zum türkischen Konsulat. Der Konvoi wurde schließlich über die Grenze zurück nach Deutschland eskortiert. Zuvor hatte die Ministerin angekündigt, über den Landweg nach Rotterdam zu reisen und dort zu einem "Ja" für das Referendum aufzurufen.

Vor dem Konsulat demonstrierten rund tausend Menschen mit türkischen Flaggen. In der Nacht trieb die Polizei die Menge mit Wasserwerfern und berittenen Beamten auseinander. Bürgermeister Aboutaleb hatte noch in der Nacht das gesamte Stadtgebiet von Rotterdam zur Sonderzone erklärt, in der Ansammlungen nicht gestattet sind.

Die Türkei reagierte prompt und riegelte die niederländische Botschaft in Ankara und das Konsulat in Istanbul ab. Außerdem erklärte das türkische Außenministerium, eine Rückkehr des niederländischen Botschafters, der sich gegenwärtig nicht in der Türkei befinde, sei im Moment nicht erwünscht.

Sonntagmorgen - Gegenseitige Drohungen und Vorwürfe: Die Antwort auf die Ausweisung von Kaya werde in der "schwersten Art und Weise" ausfallen, drohte der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim. Erdogan sagte: "Sie werden den Preis dafür bezahlen." Und Außenminister Cavusoglu forderte eine Entschuldigung von den Niederlanden, nannte die Niederlande außerdem "Hauptstadt des Faschismus".

Der niederländische Premier Rutte verteidigte das Vorgehen: "Was gestern passiert ist, ist total inakzeptabel." Er versicherte zugleich, seine Regierung werde "alles, was wir können, tun, um die Lage zu deeskalieren". "Wir müssen hier die vernünftige Partei sein", fügte er hinzu. Eine Entschuldigung schloss Rutte jedoch aus: "Es steht außer Frage, dass es eine Entschuldigung gibt, sie sollten sich dafür entschuldigen, was sie gestern getan haben."

Reaktionen aus dem Ausland: Dänemark zog eigene Konsequenzen und bat den türkischen Premierminister Yildirim, einen für diese Woche geplanten Besuch zu verschieben.

Von deutschen Politikern gab es weitreichende Forderungen: Der Vizepräsident des Europaparlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), sprach sich für ein Verbot von Wahlkampfauftritten türkischer Minister in der EU aus. Und der CDU-Europapolitiker Elmar Brok plädierte für ein generelles EU-Verbot für Wahlkampfauftritte ausländischer Politiker.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) warnte die Türkei davor, den Streit über Wahlkampfauftritte in Europa weiter zu eskalieren. Und Finanzminister Wolfgang Schäuble (ebenfalls CDU) erteilte dem türkischen Wunsch nach engeren Wirtschaftskontakten vorerst eine Absage. Zur Begründung verwies er auf den Streit über die Wahlkampfauftritte und den inhaftierten Journalisten Deniz Yücel.

Insgesamt verfolgt die Bundesregierung die Strategie, sich im Streit mit der Türkei möglichst nicht provozieren zu lassen. Zum Dilemma von Kanzlerin Angela Merkel lesen hier eine ausführliche Analyse.

Quelle : spiegel.de

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