Der weite Weg zu Xabi Alonso

  08 April 2017    Gelesen: 609
Der weite Weg zu Xabi Alonso
Für Renato Sanches hat der FC Bayern 35 Millionen Euro bezahlt. Er gilt als eines der größten Talente Europas. In München haben sie die Hoffnung, er könne Nachfolger von Xabi Alonso werden. Doch bislang geizt er hart mit seinen Qualitäten.
Ein Duell hat Borussia Dortmund vor dem Topspiel des 28. Spieltags der Fußball-Bundesliga heute Abend (18.30 Uhr im n-tv.de-Liveticker) gegen den FC Bayern München bereits für sich entschieden. Das um das derzeit wohl spektakulärste Talent in Europa. Denn beim BVB und weit über den Klub hinaus begeistert der gerade mal 19 Jahre alte Franzose Ousmane Dembélé mit seinem Tempo, seiner Technik und seinem großen Selbstvertrauen. Alles Fähigkeiten, die sie eigentlich auch dem hochgelobten Renato Sanches nachsagen. Alles Fähigkeiten, die der Münchener Transfer-Coup des vergangenen Sommers beim Deutschen Meister bisher allerdings tüchtig im Verborgen hält.

35 Millionen Euro hat der FC Bayern 2016 für den Portugiesen ausgegeben. Die Investition könnte je nach Entwicklung des Spielers noch auf bis zu 80 Millionen Euro ansteigen. Dafür allerdings müsste der Mittelfeldspieler, der sein Land bei der EM in Frankreich gemeinsam mit Superstar Cristiano Ronaldo kraftstrotzend und spielstark zum Titel führte, in München liefern. Und das ganz anders als bislang. Ganz anders als beispielsweise bei seinem ersten Startelf-Einsatz seit über einem halben Jahr in Hoffenheim am Dienstagabend. Da wurde Sanches zwar zum spielentscheidenden Mann, was in diesem Fall keine besonders positive Erwähnung ist.

Wäre der von 1899-Stürmer Andrej Kramaric abgefeuerte Schuss in der 21. Minute nicht hauchzart an der Hand von Münchens Ersatz-Keeper Sven Ulreich vorbei ins Tor gerauscht, hätte der FC Bayern nicht mit 0:1 gegen die Hoffenheimer verloren, Renato Sanches hätte sich wohl kaum länger mit diesem Moment beschäftigen müssen. Denn diese Szene wäre einfach untergegangen. Der Ball aber schlug ein, die Bayern verloren. Und Renato Sanches hatte seinen Gegenspieler, den Torschützen zuvor nicht hart genug bedrängt. Es war der Klimax einer bis dahin erneut ganz schwachen Vorstellung des 19-Jährigen.

In München werden sie langsam dünnhäutiger

Nichts, aber auch wirklich gar nichts an Sanches' Leistung bot an diesem Abend in Sinsheim - und generell auch in der ganzen Saison - ein Indiz dafür, dass der so athletische Sanches in der kommenden Saison tatsächlich die Hauptverantwortung für den Münchener Spielaufbau übernehmen könnte. Dabei ist es genauso eigentlich eingeplant, wie Klub-Boss Karl-Heinz Rummenigge erst kürzlich noch betonte. Denn Xabi Alonso, der zwar mittlerweile deutlich fußlahmer als früher, aber strategisch immer noch brillant ist, zieht sich im Sommer vom Profi-Fußball zurück. Er mag einfach nicht mehr. Das ist legitim. Schließlich ist er 35 Jahre alt und hat im Vereins- und Nationalmannschaftsfußball alle Titel gewonnen, die es zu gewinnen gibt. Für die Bayern ist das indes ziemlich blöd, weil Sanches halt einfach nicht Fuß fassen will an der Säbener Straße.

Noch haben sie in München Geduld. Auch wenn diese zunehmend in verbale Dünnhäutigkeit mündet. Und in schräge Vergleiche. Zum Beispiel in diesen von Coach Carlo Ancelotti: "Als der Brasilianer Falcao 1980 zum AS Rom kam, schien er in den ersten sechs Monaten nicht Falcao, sondern sein Bruder zu sein. Auch Michel Platini hatte in den ersten sechs Monaten große Probleme." Der Franzose war damals von Saint-Etienne zu Juventus Turin gewechselt. Anders als Renato Sanches heute waren sowohl Falcao als auch Platini damals - in für Fußballer gänzlich anderen Zeiten mit gänzlich anderen Bedingungen - schon gereifte 27, als sie erstmals in Ausland wechselten.

Warum sich der "Golden Boy", also der beste U21-Spieler Europas des vergangenen Jahres, so schwer in seiner neuen Heimat tut, dafür gibt's kaum nachvollziehbare Gründe. Denn bei all dem Murks, den er sich im Bayern-Trikot zusammenkickt, gibt's in Fachkreisen keine Zweifel an den herausragenden Fähigkeiten des Mittelfeld-Mannes. "Ich habe noch nie in meiner Karriere einen Spieler mit so viel Power, mit so viel Kraft gesehen", sagt Ancelotti. Und Deco, einst Gehirn der goldenen portugiesischen Generation um Luis Figo und Rui Costa, schwärmte während der Europameisterschaft 2016 in der "Süddeutschen Zeitung": "Renato ist sehr agil, körperlich stark, hat viel Persönlichkeit, ist völlig angstfrei. Man könnte meinen, er sei ein Veteran."

Kaum englisch, noch weniger deutsch

Dennoch macht Sanches die Anpassung an das neue Umfeld auch nach einen Dreivierteljahr noch schwer zu schaffen - auf dem Platz und offenbar auch abseits davon. In der Mannschaft soll sich der 19-Jährige vor allem mit den Spielern umgeben, mit denen es keine sprachlichen Hindernisse gibt. In einem Interview mit dem portugiesischen Fernsehsender "Sport TV+" Ende Februar bekannte er: "Englisch spreche ich nicht so gut und Deutsch noch weniger." Aber Sanches will kämpfen für sich und den Erfolg in München. So sagte er im gleichen Interview: "Es ist eine Frage der Zeit, bis die Fans den wahren Renato Sanches erleben werden."

Und der ist ein Kämpfer. Von jeher. Mit insgesamt sieben Schwestern und Brüdern ist er groß geworden, im armen Viertel Musgueira hinter dem Flughafen der portugiesischen Hauptstadt. Fußball war immer sein Hobby, sein Ventil gegen den Frust. Der Weg nach oben war indes eher einem Zufall zu verdanken, wie es in einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" heißt.

Entdeckt wurde er demnach nämlich vom Präsidenten des örtlichen Fußballklubs "Aguias de Musgueira" - beim Bälleklauen. Der kleine Renato und sein Kumpel "Chibi" warteten auf Bälle, die die Spieler der ersten Mannschaft während ihrer Übungseinheiten über die Fangzäune pfefferten. Mit neun Jahren wechselte er dann von dem Stadtteilklub zum nahegelegenen Jugendzentrum von Benfica. Der Legende nach für schmale 750 Euro Ablöse, wie die "Süddeutsche Zeitung" schreibt. Bei den Adlern hat Sanches dann alle Nachwuchsteams durchlaufen, auch alle Junioren-Nationalmannschaften. Er war für den Klub das, was sie München gerne selbst öfter herausbringen würden, ein Eigengewächs mit internationaler Strahlkraft.

"Benfica zu verlassen hat mich nicht traurig gestimmt", erklärte Sanches im Februar bei "Sport TV+". "Ich habe getan, was ich tun musste. Ich wäre gern geblieben, weil ich Benfica-Fan bin, aber ich ging weg, weil ich andere Dinge wollte." Die will er in München finden. Sie lauten Erfolg auf allen Ebenen, vor allem aber international. Und das gerne schnell. Spätestens aber im Sommer, wenn der Platz auf der von Sanches bevorzugten "Sechs" von Alonso geräumt wird. Noch aber ist es nicht soweit. Noch ist der 19-Jährige eher überforderter Ergänzungsspieler denn Transfer-Sensation. Noch gehört anderen die große Bühne. Zum Beispiel dem Dortmunder Ousmane Dembélé.

Quelle: n-tv.de

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