Um den US-Angriff auf einen syrischen Luftwaffenstützpunkt zu begründen, sagte Spicer in seiner Pressekonferenz am Dienstag in Washington D.C. über Syriens Machthaber Baschar al-Assad: „Nicht einmal jemand so verabscheuungswürdiges wie Hitler ist so weit gesunken, chemische Waffen einzusetzen.“
Schon das war doppelt falsch. Denn Spicer unterschlug so erstens die rund drei Millionen überwiegend jüdischen Opfer aus fast ganz Europa, die 1941 bis 1944 mit Zyanid-Gas und mit Kohlenmonoxid ermordet wurden – jedes zweite Opfer des Holocausts. Rund eine Million davon starben im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau mit dem eigentlich als Schädlingsbekämpfungsmittel hergestellten Präparat Zyklon B und etwa zwei Millionen in den Mordfabriken der „Aktion Reinhard“ Belzec, Sobibor und Treblinka sowie in der kleineren Anlage in Chlemno im damals deutsch besetzten Westpolen an Autoabgasen.
Zweitens vergaß Spicer die etwa 70.000 Opfer des systematischen Krankenmordes der Nazis 1940/41, der als „Euthanasie“ verharmlost wurde. Auch sie wurden mit Kohlenmonoxid umgebracht, allerdings in diesem Fall mit industriell für die chemische Industrie hergestelltem Gas aus Druckflaschen.
Wie Spicer versucht, sich herauszureden
Als Spicer durch Nachfragen von Journalisten darauf aufmerksam wurde, dass sein Hitler-Vergleich zumindest unglücklich war, schob er nach, Hitler habe „Gas nicht auf dieselbe Art und Weise gegen sein eigenes Volk eingesetzt, wie es Assad tut.“ Um aus dem missratenden Vergleich herauszukommen, sagte der Sprecher weiter: „Er hat es in die Holocaust-Zentren gebracht, das ist mir klar. Aber was ich zum Ausdruck bringen will, ist die Art, wie Assad es eingesetzt hat, indem er in die Städte geht und es über den Stadtzentren abwirft.“
Mit „Holocaust-Zentren“, einem auch im Englischen ungebräuchlichen Begriff, meinte der Trump-Sprecher vermutlich die Vernichtungslager, englisch Extermination Camps. In einem rein technischen Sinne hat Spicer damit sogar recht, auch wenn das eher Zufall sein dürfte: Im Falle des Holocaust wurde nicht das tödliche Gas in Städte gebracht, sondern die Opfer aus den Städten in die Mordfabriken. Was daran besser sein soll als an Assads selbstverständlich verwerflichem Vorgehen, bleibt wohl Spicers Geheimnis.
In einer nach der Pressekonferenz nachgeschobenen Erklärung versuchte Spicer klarzustellen, was er hatte sagen wollen – für einen professionellen Sprecher und noch dazu den wohl wichtigsten der gesamten Weltpolitik eine zumindest fragwürdige Vorgehensweise: „Ich habe in keiner Weise versucht, die Abscheulichkeit des Holocausts zu schmälern.“ Man mag ihm das in aller Unbeholfenheit sogar glauben – nur ändert das nichts an seiner Fehlleistung. Noch einmal später entschuldigte er sich in einem Interview mit dem US-Sender CNN für seinen „unsensiblen“ und „unangemessenen“ Vergleich. „Es war ein Fehler das zu tun, es war mein Fehler“, sagte er.
Erster Einsatz von Gas als Waffe im Ersten Weltkrieg
Sean Spicers Fehlleistung kann und sollte jedoch Anlass sein, sich zumindest kurz über historische Beispiele für den Einsatz von tödlichen Gasen als Waffe klar zu werden. Allgemein bekannt ist, dass solche vom Wind verbreiteten Gifte zum ersten Mal in großem Umfang im Ersten Weltkrieg eingesetzt wurden, und zwar 1915 auf Initiative des deutschen Chemikers (und späteren Nobelpreisträgers) Fritz Haber.
Anfangs wurde relativ einfaches Chlorgas verwendet, doch innerhalb kurzer Zeit ersannen die Wissenschaftler beider Seiten immer neue, giftigere Substanzen, die auch kombiniert verwendet wurden. Trotzdem war Giftgas im Stellungskrieg gemessen an der Zahl der Opfer eine mehr psychologische Waffe: Es kamen zwar rund 100.000 Soldaten dadurch direkt ums Leben; 1,2 Millionen weitere wurden verletzt. Eine schreckliche Bilanz – und dennoch nur ein Prozent aller Toten der Kämpfe sowie sechs Prozent der Verwundeten.
Allerdings kann niemand schätzen, wie viele Soldaten durch Gas und die dadurch ausgelöste Angst aus ihren Stellungen getrieben und dann durch Splittergeschosse und Maschinengewehrfeuer getötet wurden. Als Konsequenz wurde 1925 das Genfer Protokoll beschlossen, dass den Ersteinsatz von chemischen Waffen verbot, allerdings weder Erforschung noch Produktion von Kampfgasen. Deutschland trat dem Protokoll formal 1930 bei.
Hitler und die Allierten bereiteten Einsatz von Giftgas vor
Im Zweiten Weltkrieg setzte keine Kriegspartei in Europa (anders als die japanische Armee in China) chemische Waffen auf den Schlachtfeldern oder gegen die Städte des Gegners ein. Allerdings bereiteten sowohl Hitler-Deutschland wie die Alliierten solche Waffen vor, um im Falle eines feindlichen Erstschlages mit dem gleichen Mittel reagieren zu können.
Dabei kam es zu mehreren versehentlichen Freisetzungen von Giftstoffen, unter anderem 1939 im Polen-Feldzug durch polnische Soldaten und 1943 durch einen deutschen Angriff auf US-Munitionstransportschiffe im Hafen von Bari, wobei etwa 1200 Menschen getötet wurden.
Deutsche Chemiker entwickelten parallel die besonders perfiden Nervengase Tabun, Sarin und Soman. Die USA produzierten zehntausende Bombenhüllen für verschiedene Kampfgase, die ab 1944 – als klar war, dass Hitler im Kampf wohl nicht auf Gift zurückgreifen würde – mit dem Brandstoff Napalm gefüllt und meist über Japan abgeworfen wurden.
In einem rein technischen und ganz eng verstandenen Sinne hatte Sean Spicer zufälligerweise sogar Recht: Nicht einmal Hitler setzte Giftgas als Waffe im Kampf ein – aus Sorge vor entsprechenden Gegenschlägen der Alliierten. Die nachgeschobenen Erklärungen des Präsidentensprechers machen aber klar, dass er das nicht gemeint hat, als er seinen Vergleich machte.
Assad wäre nicht der erste Diktator der Giftgas einsetzte
Allerdings ist Assad, wenn er denn den Angriff auf Chan Scheichun tatsächlich befohlen hat, wovon die westlichen Geheimdienste ausgehen, keineswegs der erste Diktator, der die perfide Waffe Giftgas gegen wehrlose Zivilisten verwendet hat.
Solche Angriffe ordnete Italiens Diktator Benito Mussolini zwischen 1924 und 1936 während der Eroberungskriege in Libyen und Äthiopien an. Lenin und Trotzki autorisierten 1921 den Einsatz von Kampfgasen im Russischen Bürgerkrieg. Sogar Winston Churchill rechtfertigte 1920 den Einsatz solcher Waffen gegen „unzivilisierte Stämme“, auch wenn er vom Einsatz nichttödlicher Gift ausging.
Nach 1945 ließ unter anderem Saddam Hussein 1980 bis 1988 in großem Umfang solche Waffen einsetzen, gegen iranische Soldaten wie gegen aufständische Kurden. Auch in Nordjemen, Thailand und dem damaligen Rhodesien wurden wahrscheinlich Kampfgasen in Bürgerkriegen eingesetzt, vor allem als Terrorwaffe.
Quelle : welt.de
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