Krieg im Donbass geht ins vierte Jahr

  14 April 2017    Gelesen: 696
Krieg im Donbass geht ins vierte Jahr
In vielen Städten in der Ostukraine ist der Krieg zum Alltag geworden. Dennoch gelingt mancherorts der Wiederaufbau. Die Menschen arrangieren sich mit der immerwährenden Gefahr um Leib und Leben.

Die Schule Nr. 2 in der ostukrainischen Kreisstadt Marjinka ist verbarrikadiert und abgeriegelt. Sandsäcke hinter den Fenstern schützen vor Glassplittern. Klebestreifen an den Innenwänden weisen auf gefährliche Zonen hin - Grün für sichere, dicke Wände; Rot für dünne Wände, die es zu meiden gilt, denn sie halten Beschuss nicht stand.

Den Keller hat Schulleiterin Ljudmila Pantschenko zu einem Schutzraum umbauen lassen. Schlafsäcke, Wasservorräte, Kerzen und Biotoiletten stehen für den Notfall bereit. Bei einem Angriff finden nicht nur die rund 159 Schüler und 20 Lehrer Schutz, sondern auch Anwohner aus der Nachbarschaft. "Im Notfall informieren wir die Eltern über eine Telefonkette", sagt Pantschenko. "Wir sind alle Patrioten dieser Stadt, wir wollen nicht weg."

Die Ukraine geht ins vierte Kriegsjahr. Am 14. April 2014 hatte die Regierung in Kiew einen "Anti-Terror-Einsatz" gegen moskautreue Separatisten in den Gebieten Donezk und Luhansk an der Grenze zu Russland ausgerufen. Schwerbewaffnete Kämpfer hatten zuvor Verwaltungsgebäude in der Industrieregion besetzt.

Tausende Tote, Hunderttausende auf der Flucht

Damals rechnete keiner in der Ex-Sowjetrepublik mit langen Kämpfen. Frieden in kurzer Zeit versprach der später gewählte Präsident Petro Poroschenko. Drei Jahre später zählen die Vereinten Nationen rund 10.000 Tote. Hunderttausende Ukrainer sind im eigenen Land auf der Flucht. Ein unter großen diplomatischen Kraftanstrengungen mit deutscher und französischer Vermittlung vereinbarter Friedensplan wird jedoch von den Konfliktparteien ignoriert.

Die Ukraine ist gespalten. Sichtbar wird dies in Orten wie Marjinka mit seinen knapp 10.000 Einwohnern. Mitten durch die Siedlung verläuft die Front. Eine der wenigen Passierstellen zwischen Regierungs- und Rebellengebiet liegt am Stadtrand.

In der Schule von Ljudmila Pantschenko lernen die Kinder nicht nur lesen und schreiben, sondern auch zu überleben. Denn nicht nur bei gelegentlichem Artilleriebeschuss ist es gefährlich. Blindgänger und vor allem Minen bedrohen Leib und Leben.

Auf einer Leinwand zeigt Rot-Kreuz-Mitarbeiter Dmitri den Schülern Waffen - Handgranaten, Raketen, Artilleriegeschosse. Aufgeregt springt ein kleiner Junge auf und ruft: "Das darf man nicht anfassen. Das kann explodieren." Dmitri zeigt eine Landmine, die unter Schneeresten hervorschaut und fragt: "Was denkt ihr, kann man hier langlaufen?" - "Nein", rufen laut Schüler aus der einzigen ersten Klasse dieses Jahrgangs. Das Thema ist ernst, doch der Lerneifer der Kleinen bringt die Lehrer trotzdem zum Schmunzeln.

Verwandte beköstigen Patienten

Die Stadt Switlodarsk mit ihrem Kohlekraftwerk ist 75 Kilometer entfernt. Ganz in der Nähe liegt der Verkehrsknotenpunkt Debalzewe. Als im Winter 2015 dort eine der heftigsten Schlachten des Ukraine-Konflikts gefochten wurde, geriet auch Switlodarsk in Mitleidenschaft. Einschläge von Artilleriegeschossen ließen sämtliche Fenster bersten.

Zeitweise diente das Krankenhaus des Ortes als Erstaufnahmepunkt für verwundete Soldaten. Heute kommen verletzte Kämpfer woanders hin, denn die Front ist zu nah. Am anderen Ufer eines Kraftwerks-Stausees stehen schon die Separatisten.

Chefarzt Gennadi Gurschi ist dennoch optimistisch. "Die Fenster wurden repariert. Die Fernwärmeversorgung funktioniert", sagt er. 21 von ehemals 37 Ärzten seien noch da. Bis heute hat das Krankenhaus jedoch keine funktionierende Küche. Patienten müssen sich von Verwandten beköstigen lassen.

Die Familie von Krankenschwester Tatjana Latwajtis hatte 2015 Glück im Unglück. Als ein Volltreffer ihre Zweizimmerwohnung im fünften Stock zerstörte, war niemand zu Hause. "Zum Glück wartete meine Tochter bei mir im Krankenhaus auf das Ende meiner Schicht", erzählt sie. Aus ihr spricht heute noch die Erleichterung.

Vorübergehend fand die Kleinfamilie Unterschlupf bei Verwandten und Nachbarn. Zwei Jahre später steht die resolute Enddreißigerin Latwajtis in ihren wieder hergerichteten vier Wänden. Die Stadt und das Internationale Rote Kreuz haben den Wiederaufbau finanziert. "Fehlen nur noch ein paar Möbel, und wir ziehen wieder ein", sagt sie und blickt in die völlig leeren Räume. Mit dem Frühling zieht bei der Familie Latwajtis in Switlodarsk die Hoffnung wieder ein.

Quelle: n-tv.de , Andreas Stein, dpa

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