Angesichts niedriger Strompreise und der Konkurrenz durch die anderen Energieträger habe es sich für die Kohlekraftwerksbetreiber schlicht nicht rentiert, ihre riesigen Anlagen aufwendig hochzufahren, sagte ein Sprecher von National Grid zu Spiegel Online. "Dies ist ein symbolischer Tag. Er zeigt, dass sich das Ende der Kohleverstromung in diesem Land nähert."
Die konservativ-liberale Regierung in London hat angekündigt, bis 2025 alle verbliebenen Kohlekraftwerke zu schließen: aus Umweltschutzgründen, vor allem aber, weil die jahrzehntealten Meiler oft nicht mehr wettbewerbsfähig sind. "Sie wären wohl sowieso geschlossen worden", sagt der Ökonom Dieter Helm, Professor für Energiepolitik an der Universität Oxford.
Die Kohle machte Großbritannien im viktorianischen Zeitalter zur führenden Industrienation der Welt. Millionen Kumpel arbeiteten in den Gruben, Tausende verloren ihr Leben. Noch 1990 gewann das Land zwei Drittel seiner Elektrizität aus Kohle, 2013 waren die fossilen Brocken noch die wichtigste Stromquelle. Doch die britische Energiewende geht rasant voran. 2016 hatte der Klimakiller Kohle nur noch 9,2 Prozent Anteil an der Stromerzeugung; in Deutschland indes waren es mehr als 40 Prozent. Und während die letzte britische Grube schon vor anderthalb Jahren dichtgemacht hat, wollen hierzulande Konzerne neue Braunkohle-Tagebaue erschließen. Die Große Koalition hat sich noch immer nicht auf ein Datum für den Kohleausstieg festgelegt.
In Deutschland wird weiter mit Kohle geplant
Den Briten fällt es leicht, ihre Kohlekraftwerke zu schließen: Die jüngste der verbliebenen neun aktiven Anlagen stammt aus dem Jahr 1987. In Deutschland hingegen wurden nach der Jahrtausendwende noch mehrere nagelneue Verfeuerungsanlagen gebaut. Erst im Januar erteilte die Bezirksregierung Münster dem Konzern Uniper die Erlaubnis, den Steinkohlemeiler Datteln IV fertig zu bauen.
"Anders als in Deutschland unterstützt unsere Politik die Kohle nicht mehr", sagt der Oxforder Energieexperte Helm. Im Gegenteil: 2013 führte London einen gesetzlichen Mindestpreis für den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) ein, weil die Zertifikate aus dem EU-Emissionshandel so billig sind. Kraftwerksbetreiber müssen seither mindestens 18 Pfund (rund 21,50 Euro) je Tonne CO2 bezahlen - und obendrauf auch noch die EU-Emissionszertifikate vorweisen. Dadurch wurde es viel teurer, Strom aus der besonders CO2-intensiven Kohleverfeuerung zu erzeugen. Davon profitierten die Betreiber von emissionsärmeren Gaskraftwerken, aber auch Wind- und Solarparks.
Im Gegenzug fördert die britische Regierung seit Jahren den Ausbau von Stromerzeugung aus Erdgas - etwa durch die Unterstützung riesiger Flüssiggasterminals für Importe aus dem Nahen Osten - aber auch die Atomkraft. Unter anderem stellt London dem Stromkonzern EDF und dessen chinesischem Partner auf Jahrzehnte hinaus milliardenschwere Beihilfen für den Bau des neuen Kernkraftwerks Hinkley Point in Aussicht. Ebenso zahlt Großbritannien anders als Deutschland Kraftwerksbetreibern Prämien für die Bereitschaft, auf Abruf einzuspringen, falls etwa Wind- und Solaranlagen zu bestimmten Zeitpunkten nicht genug Strom produzieren (Kapazitätsmarkt).
"Das britische Beispiel zeigt: Die Kohle ist verzichtbar", sagt Claudia Kemfert, Abteilungsleiterin Energie, Verkehr und Umwelt beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. "Aber die Briten erkaufen sich das mit mehr Erdgas und hohen Subventionen für Atomenergie." Ein Komplettumbau hin zu erneuerbaren Energien wäre auch "ökonomisch klüger", behauptet Kemfert. Regenerative Techniken würden immer wettbewerbsfähiger - wie gerade der Fall EnBW zeige. Der Baden-Württemberger Stromriese will in der Nordsee einen Offshore-Windpark ganz ohne Subventionen bauen.
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