Merkel und Kaczynski suchten Annäherung

  25 April 2017    Gelesen: 867
Merkel und Kaczynski suchten Annäherung
Offiziell herrscht dicke Luft zwischen der deutschen Kanzlerin und der grauen Eminenz der polnischen Politik, Kaczynski. Trotzdem treffen sich die beiden in aller Stille im Juli 2016. Der Besuch ist Ausdruck eines Umdenkens in der polnischen Politik.
Kanzlerin Angela Merkel und Jaroslaw Kaczynski, der Chef der polnischen Regierungspartei PiS, haben sich im vergangenen Sommer unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet nach eigenen Recherchen nun erstmals über den Geheimbesuch am 12. Juli 2016 im Gästehaus der Bundesregierung in Meseberg. Demnach handelt es sich dabei um den Versuch eines Neustarts der schwierigen deutsch-polnischen Beziehungen. Zugleich offenbare die Visite eine Kluft zwischen Annäherungsversuchen hinter den Kulissen und öffentlich ausgetragenen Konflikten. Kaczynski, die graue Eminenz der polnischen Politik, profiliert sich in der Öffentlichkeit seit Jahren als einer der schärfsten Russland- und Deutschland-Kritiker.

Dabei erfolgte Kaczynskis Besuch in Meseberg bei näherer Betrachtung zu einem passenden Zeitpunkt. Der Brexit "löste in Polen Schockwellen aus - und brachte die national-konservative Regierung zum Umdenken", sagt ein deutscher Diplomat. Bis Juni 2016 hatte sich die Regierung in Warschau stets hinter dem Integrationsbremser Großbritannien verstecken können. Nach der Brexit-Entscheidung droht der national-konservativen PiS-Regierung plötzlich die Isolation innerhalb der EU. Als Reaktion darauf habe Kaczynski das Treffen mit Merkel initiiert und ein sehr persönliches Geschenk für die Kanzlerin im Gepäck gehabt: Ein Gemälde des Hauses im heutigen Polen, in dem Merkels Mutter geboren wurde.

Einen persönlichen Draht zur Kanzlerin hat Polen zu diesem Zeitpunkt bitter nötig. Denn seit dem Amtsantritt der PiS-Regierung 2015 wurde viel Porzellan im bilateralen Verhältnis zerschlagen. Während Merkel und der frühere Ministerpräsidenten Donald Tusk sich hervorragend verstanden, sorgte die von den Nationalkonservativen eingeleitete Justiz- und Medienreform für eine Erliegen vieler bilateraler Kooperationen.

Kluft zwischen Innen- und Außenpolitik

Der direkte Kontakt in Meseberg soll nun zumindest die vergiftete Atmosphäre gelockert haben. Der ebenfalls anwesende polnische PiS-Politiker Zdzisław Krasnodebski beschreibt das Treffen später sogar als "warm". Denn Polen will - und braucht - den Ausgleich mit Deutschland. Die Zukunft der EU hänge in hohem Maße "von der guten Verständigung zwischen Warschau und Berlin ab", so Ministerpräsidentin Beata Szydlo. Zudem ist Deutschland längst der mit Abstand größte Handelspartner des Landes."

Außerdem sorgen sich die Polen mit Blick auf Russland zunehmend um ihre Sicherheit", meint Nicolai von Ondarza, Europa-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Selbst die national-konservative Führung habe Zweifel, wie verlässlich die neue US-Regierung unter Donald Trump als Schutzmacht sei. Also versuche Warschau eine Doppelstrategie, nämlich sich als Musterschüler der Nato abzusichern und eine verstärkte EU-Sicherheitspolitik zu unterstützen. Das bringt Warschau plötzlich wieder an die Seite Deutschlands.

Die Folge ist eine absurd anmutende Kluft: Innenpolitisch pflegt die PiS-Regierung weiter fleißig anti-europäische und auch anti-deutsche Ressentiments. Aber auf EU-Ebene macht sich der Stimmungsumschwung durchaus bemerkbar. Bereits als Merkel im August 2016 nach der Brexit-Entscheidung auf ihrer Osteuropatour nach Warschau kommt, ist dies an kleinen Gesten abzulesen, etwa an den EU-Flaggen, die bei der Pressekonferenz mit Szydlo plötzlich wieder im Hintergrund zu sehen sind.

Zu beobachten ist diese Kluft aber auch inhaltlich: Polnische Diplomaten räumen ein, dass Merkel eigentlich die bevorzugte deutsche und europäische Partnerin selbst für die Nationalkonservativen ist, spätestens seit der Ukraine-Russland-Krise. Denn dort engagierte sich die Kanzlerin nicht nur energisch für Frieden, sondern pochte trotz des Schadens für die deutsche Wirtschaft auf EU-Sanktionen gegen Russland. Auch Kaczynski selbst plädierte trotz aller Kritik für die Wiederwahl der Kanzlerin im September 2017.

Allerdings ist die versuchte Annäherung an Berlin auch für den PiS-Chef persönlich ein innenpolitischer Drahtseilakt und ein Risiko. "Wir arbeiten an besseren Beziehungen mit Deutschland, aber wir brauchen eine strikte Kontrolle darüber, was öffentlich wird und was nicht", beschreibt ein polnischer Offizieller das Dilemma. Denn über Jahre hat die PiS die antideutschen Gefühle älterer Polen bedient und genährt. Deshalb wird in polnischen Regierungskreisen auch kritisch gesehen, dass die politische Führungsfigur Kaczynski im Februar selbst sein mysteriöses Treffen mit Merkel angedeutet hatte - ohne Details zu nennen. "Man kann nicht einfach sagen, es ist passiert, aber es war geheim – vor allem nicht bei einer sehr konservativen Anhängerschaft, die Deutschland misstraut und deren Unterstützung man teilweise nur bekam, weil man sich von Deutschland distanziert hat", warnt eine PiS-nahe Quelle.

Quelle: n-tv.de , lou/rts

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