Vor allem die ärmere Landbevölkerung hat für Le Pen gestimmt - nicht nur in den Regionen am östlichen Mittelmeer, auch im Norden. Im Département Ardennes an der Grenze zu Belgien erhielt sie 49 Prozent der Stimmen. In Aisne und Pas-de-Calais gewann sie sogar gegen Macron. Dass die Menschen dort derart empfänglich sind für die radikalen Ideen der Rechtspopulistin, hat verschiedene Gründe. Gerade in der Hafenstadt Calais fühlen sich die Menschen im Stich gelassen. Noch immer stranden dort täglich Dutzende Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Großbritannien. Der "Dschungel" von Calais wurde zum Synonym für das Scheitern des Staates in der Flüchtlingsfrage. Und François Hollande, der scheidende Präsident, tat sich schwer mit einer Lösung des Problems.
Mit der Räumung des illegalen Lagers ist nun zwar halbwegs Normalität eingekehrt in Calais, doch die Folgen der jahrelangen Verwaltung eines Missstands sind gravierend. Die Hafenstadt gilt heute als Hochburg der Rechten in Frankreich. Und Le Pens Appelle für einen Zuwanderungsstopp und die erleichterte Abschiebung von Ausländern treffen bei den Einwohnern auf fruchtbaren Boden - ganz anders als die Pro-Europa-Politik eines Emmanuel Macron. "Frankreich soll wieder den Franzosen gehören!", skandierten die Anhänger des Front National bei Wahlkampfauftritten von Le Pen. Diese fremdenfeindliche Atmosphäre hat sich nun in Zahlen niedergeschlagen.
Le Pens "patriotische Ökonomie"
In Amiens, keine 150 Kilometer südlich von Calais, stimmten knapp 46 Prozent der Wähler für die Rechtspopulistin. Und das aus völlig anderen Gründen. Sie glauben an ihre Idee einer "patriotischen Ökonomie" - einer Wirtschaft also, die sich gegen die Notwendigkeiten eines globalisierten Marktes wendet. Die Ankündigung des US-amerikanischen Haushaltsgeräteherstellers Whirlpool, ein Werk mit 290 Mitarbeitern von Amiens nach Polen auszulagern, hat die Menschen in der Stadt zutiefst verunsichert. In Le Pens protektionistischer Politik sehen sie ihre letzte Hoffnung - denn sie wissen, dass sie im Wettbewerb mit europäischen Billiglohnländern keine Chance haben.
Der wirtschaftsliberale Macron, der selbst aus Amiens stammt, wird nichts für sie tun, glauben sie. Er will den Markt nicht isolieren, sondern weiter öffnen. Bei einem Besuch im Whirlpool-Werk vor anderthalb Wochen wurde der 39-Jährige von den Arbeitern ausgebuht - während Le Pen mit ihnen Selfies machte. Die Rechtspopulistin sucht bewusst die Nähe derjenigen Franzosen, die am wenigsten von einem geeinten Europa profitieren. Und das sind nicht wenige. Im ganzen Land liegt die Arbeitslosenquote bei zehn Prozent. Fast jeder vierte junge Erwachsene ist auf Jobsuche. Auch Hollande hat es nicht geschafft, das zu ändern. "Dann soll es jetzt eben mal Le Pen versuchen", denken viele. Die rechte Ideologie des Front National wird von diesen Menschen nicht als zentral empfunden - sondern in Ermangelung einer Alternative schlichtweg mitgewählt.
Jeder Dritte unterstützt FN-Ideen
Aber es gibt natürlich - auch in Frankreich - eine latente Fremdenfeindlichkeit. Zwar sind laut einer Umfrage der Tageszeitung "Le Monde" und des Nachrichtensenders Franceinfo rund 58 Prozent der Franzosen davon überzeugt davon, dass der Front National gefährlich ist. Gleichzeitig jedoch teilt jeder Dritte die grundsätzlichen Ideen der Partei. Das liegt auch an der krachend gescheiterten Integrationspolitik der letzten Jahrzehnte. Doch um diese zu reformieren, fehlte der Politik bisher entweder das richtige Rezept oder der Willen. Emmanuel Macron war Ende 2015 - kurz nach den Anschlägen von Paris - einer der wenigen, die Frankreichs Mitverantwortung für den erstarkten Extremismus im Land ansprachen. Eine Wahrheit, die nicht allen gefiel.
Denn zu Opfern dieser verfehlten Politik wurden eben auch die Einwanderer - das ist, was Le Pen nicht erwähnt, wenn sie von kriminellen Ausländern und Sozialschmarotzern lamentiert. Zum französischen Alltag gehört auch, dass junge Leute nicht zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden, weil sie einen muslimisch klingenden Namen haben. Die Mehrheit der Franzosen spürt, dass Ausgrenzung darauf nicht die Antwort sein kann. Viele andere wollen jedoch keine Kompromisse mehr machen. Diese Menschen haben das Vertrauen in die Gemäßigten und ihre Politik der kleinen Schritte verloren. Sie sehnen sich nach einem starken Präsidenten, der nicht nur Brüssel die Stirn bietet, sondern auch im eigenen Land aufräumt. Und das schnell.
Der Konservative François Fillon bot diesen Wählern einen Hafen jenseits der extremen Rechten. Doch durch die Affäre um die Scheinbeschäftigung seiner Frau und geschenkte Maßanzüge machte er sich vor allem für diejenigen unwählbar, die der politischen Elite ohnehin misstrauen. Dass Le Pen ihrerseits EU-Gelder veruntreut haben soll, wog für sie offenbar weniger schwer. Immerhin zahlt auch Frankreich jedes Jahr rund fünf Milliarden Euro in den EU-Haushalt ein - Steuergelder, die sie lieber beim Front National sehen als beim "administrativen Monster, das die EU im Moment ist", wie ein Anhänger Le Pens am Wahlwochenende sagte. Le Pens Plan, den FN in eine "Allianz der Patrioten" zu verwandeln, die Partei also noch weiter vom rechtsextremen Image zu entfernen, das sie unter ihrem Vater Jean-Marie Le Pen eindeutig hatte, könnte ihr weitere Stimmen einbringen. Verhindern kann das nur Macron.
Quelle: n-tv.de
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