Weltmeere stehen unter Dauerstress

  10 Mai 2017    Gelesen: 758
Weltmeere stehen unter Dauerstress
Die Ozeane sind nicht nur vermüllt, sie sind auch überfischt, versauert und überhitzt. Das Ökosystem verändert sich rasant. Lässt sich das Meer, so wie wir es kennen, bewahren? Der Meeresatlas 2017 gibt Auskunft.
Rund acht Millionen Tonnen Plastikmüll gelangen Jahr für Jahr ins Meer – doch nur ein Prozent davon ist auffindbar. Salzwasser, Wind und Wellen zerreiben die größeren Teile nach und nach, bis sie schließlich so winzig sind, dass sie sich mit bloßem Auge nicht mehr von Sandkörnern unterscheiden lassen. Schadstoffe und Umweltgifte, die im Meer sind, bleiben am Mikroplastik hängen. Fische fressen es. Die wiederum landen beim Menschen auf dem Teller.

Die meisten Partikel aber dürften in die Tiefsee hinabsinken. Auf dem Meeresboden soll die Plastikkonzentration um das Tausendfache höher sein als an der Wasseroberfläche. Forscher rechnen damit, dass künftige Generationen bizarre Fossilien in der Tiefsee finden werden. Eine neue geologische Schicht hat sich dann dort auf dem Grund gebildet – aus Plastik.

Mikroplastik ist nur eines von vielen Problemen, mit denen der Mensch die Weltmeere belastet. Die Ozeane sind nicht nur vermüllt, sie sind auch überfischt, versauert und überhitzt. Auf verschiedenste Weise setzt der Mensch den riesigen Wasserflächen auf dem Planeten Erde zu. Wie sehr, das zeigt der Meeresatlas 2017, der heute von der Heinrich-Böll-Stiftung und Kieler Ozeanforschern in Berlin vorgestellt wurde.

Todeszonen in der Ostsee

So sind in der Ostsee zum Beispiel dem Atlas zufolge nur 11 von 189 Gebieten in einem guten ökologischen Zustand. In den meisten Regionen ist der Ostseeboden durch Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft überdüngt. Die Folge: Es bilden sich sauerstofffreie Todeszonen. Hier können nur noch bestimmte Bakterien überleben. Andere Meeresbewohner sind geflohen oder gestorben.

Neben Nitraten und Phosphaten finden sich noch viele andere schädliche Stoffe in den Ozeanen: 100.000 unterschiedliche chemische Substanzen sollen es laut Meeresatlas sein. Blei und Quecksilber gehören dazu, aber auch giftige organische Verbindungen, die von der Natur nur sehr langsam abgebaut werden. Auch Radioaktivität spielt eine Rolle. Denn während die Verklappung von Atommüll seit fast 25 Jahren verboten ist, dürfen nach wie vor radioaktive Abwässer in die Ozeane eingeleitet werden.

Nachhaltig zerstört

Die Liste der Wechselwirkungen zwischen Mensch und Ozean ist lang: Kreuzfahrtschiffe und ihr Schadstoffausstoß kommen als Bedrohung im Meeresatlas 2017 ebenso zur Sprache wie die Jagd auf Rohstoffe im Meeresboden, die in nicht allzu ferner Zukunft starten wird. Allein in einem Smartphone stecken 30 verschiedene Metalle, so der Hinweis im Meeresatlas – darunter Kobalt und Mangan. Beides gibt es auch im Meer. Aber wie der Atlas betont, sind die Spuren der Geräte, mit denen man in den 1980er Jahren zum ersten Mal auf dem Meeresboden nach Manganknollen suchte, noch heute zu sehen. "Manganknollen, die begehrten Metall-Nuggets am Meeresgrund, brauchen eine Million Jahre, um nur fünf bis zwanzig Millimeter zu wachsen", heißt es im Meeresatlas. "Ökologinnen und Ökologen warnen daher: Was hier zerstört wird, regeneriert sich lange nicht."

Das gilt im Übrigen auch für manche Fischbestände. 90 Prozent der genutzten Fischbestände sind bereits überlastet, ein Drittel davon gilt als überfischt oder zusammengebrochen, zwei Drittel sind gefährdet. Und nicht jede Fischsorte kann sich von Überfischung erholen: Für Haie, Schwertfische und Kabeljau sieht es besonders schlecht aus. Warum Fisch aus Aquakultur keine Alternative ist, auch darauf geht der Meeresatlas ein.

Wie schlecht es um die Meere und ihre Bewohner bestellt ist, wird am australischen Great Barrier Reef besonders deutlich sichtbar: Es ist fast komplett von der Korallenbleiche erfasst. Wird sich das Riff regenerieren können? Forscher sind pessimistisch.

"Die Meere stehen unter einem beispiellosen Druck menschlicher Eingriffe", sagt Barbara Unmüßig von der Heinrich-Böll-Stiftung. Zusammen mit Wissenschaftlern und Umweltorganisationen fordern die Herausgeber des Meeresatlas ein umfassendes internationales Kontroll- und Schutzsystem für die Ozeane. Bislang sind nur 4,3 Prozent der Weltmeere geschützt, und nur für 1,9 Prozent besteht ein Nutzungsverbot. Da wäre mehr möglich – und nötig. Martin Visbeck, Professor am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, kommt mit Blick auf das Ökosystem Meer zu dem Schluss: "Die gute Nachricht ist: Es liegt in unserer Hand, katastrophale Entwicklungen zu verhindern."

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