Aber so einfach ist es nicht. Trumps Brief an Comey, mit dem er den FBI-Direktor mit sofortiger Wirkung entließ, verweist auf ein Memorandum, das der stellvertretende Justizminister Rod Rosenstein geschrieben hat. Aber überzeugend ist das nicht. Im Gegenteil: "Dieses Memo von Rod Rosenstein sagt, dass James Comey gefeuert wurde, weil er zu gemein zu Hillary Clinton war", sagte der für Rechtsfragen zuständige CNN-Kommentator Jeffrey Toobin und wirkte dabei einigermaßen fassungslos. "Gibt es irgendwen, der das glaubt?"
In seinem Memorandum wirft Rosenstein Comey vor, bei der Untersuchung von Clintons E-Mail-Affäre Fehler gemacht zu haben. Bei dieser seit Jahren köchelnden Affäre geht es darum, dass Clinton als Außenministerin einen privaten Mail-Server benutzt hatte, obwohl das nicht erlaubt war. Das FBI untersuchte die Vorwürfe und kam im Sommer 2016 zu dem Schluss, keine Anklage gegen die damalige Präsidentschaftskandidatin zu erheben. Comey verkündete diese Entscheidung bei einer Pressekonferenz, mitten im Wahlkampf.
Comey sagte bei der Pressekonferenz am 5. Juli 2016, zwar habe seine Behörde keine Hinweise gefunden, dass Clinton bewusst Gesetze gebrochen habe. Es gebe jedoch Anzeichen dafür, dass Clinton "extrem nachlässig" im Umgang mit geheimen Informationen war. Diesen Teil von Comeys Erklärung griff Trump damals dankbar auf. Rosenstein – und mit ihm Trump – sieht dagegen sowohl die Pressekonferenz als auch Comeys Kritik an Clinton als Fehler.
Das ist es, was Jeffrey Toobin so fassungslos macht. "Comey wird im Mai 2017 für eine Pressekonferenz gefeuert, die er im Juli 2016 gegeben hat", sagte er. "Das ist ein absolut lächerlicher Vorwand!"
Die Gelegenheit war günstig
Damals, im Juli 2016, war Trump sauer auf Comey. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn das FBI Clinton angeklagt hätte. Aber die Geschichte ging ja noch weiter. Ende Oktober, kurz vor den Präsidentschaftswahlen, informierte Comey den Kongress, das FBI habe die Ermittlungen gegen Clinton wieder aufgenommen. Jetzt war Trump voll des Lobes. Er habe "großen Respekt" für das FBI, dass es seinen Fehler wieder gutgemacht habe, sagte er. Comey habe "das Richtige getan".
Zwei Tage vor der Wahl verkündete Comey schließlich, dass auch diese Untersuchung eingestellt worden sei. Dennoch sind viele Demokraten – darunter Clinton selbst – bis heute davon überzeugt, dass Comey eine Mitverantwortung dafür trägt, dass Trump überhaupt im Weißen Haus sitzt.
Wenn Trump also heute Comeys Umgang mit Clintons E-Mail-Affäre heranzieht, um den Rauswurf zu begründen, dann ist das in der Tat mehr als unglaubwürdig. Möglicherweise wollte der Präsident die Gunst der Stunde nutzen: Nach Ansicht der "Washington Post" wurde Rosensteins Memorandum eilig zusammengeschustert, nachdem Comey Anfang Mai bei einer Anhörung vor dem Kongress fälschlicherweise gesagt hatte, dass Clintons Mitarbeiterin Huma Abedin "Hunderttausende" Mails von Clintons Server an den Laptop ihres Mannes Anthony Weiner – das ist der mit den Sexting-Affären – geschickt hatte. Am Dienstag musste das FBI korrigieren: So viele waren es nicht.
Demnach hätte Trump eine Gelegenheit beim Schopf ergriffen, Comey endlich loszuwerden. Tatsächlich trägt das Memorandum das Datum vom Dienstag, dem 9. Mai 2017. Dazu kommt, dass das Weiße Haus nicht wirklich erklären konnte, warum Comey ausgerechnet jetzt entlassen wurde. Trumps Sprecherin Sarah Sanders nannte als Grund das Memorandum. Aber das hatte ihr Chef ja selbst bestellt. Wenn die von Trump genannten Gründe also vorgeschoben sind – warum hat er ihn dann wirklich gefeuert?
Immer wieder Russland
Die Ansicht, Comey habe "das Richtige getan", hielt bei Trump nicht lange an. Im April sagte er dem Sender Fox Business auf die Frage, ob es mittlerweile zu spät sei, Comey zu feuern: "Wir werden sehen, was passiert. Wissen Sie, es wird interessant werden." Und er fügte hinzu: "Vergessen Sie nicht, als Jim Comey sich öffentlich äußerte, rettete er Hillary Clinton. Die Leute verstehen das nicht." Trump zufolge hätte Comey für eine Anklage gegen Clinton plädieren müssen. Das tat er nicht.
Das könnte ein Grund für die Entlassung gewesen sein. Vielleicht war es auch ein Auftritt von Comey bei einer Kongressanhörung im März. Damals verkündete der FBI-Chef erstens, dass seine Behörde die Kontakte aus Trumps Umfeld nach Russland untersucht. Und zweitens, dass er keinerlei Anhaltspunkte dafür habe, dass Trump – wie von diesem behauptet – von der Obama-Regierung abgehört worden sei. Schon allein diese beiden Punkte waren für Trump hochnotpeinlich. Noch schlimmer wurde es, als der demokratische Senator Jim Himes in dieser Anhörung vorlas, was Trump gerade getwittert hatte. "Die NSA und das FBI sagen dem Kongress, dass Russland die Wahl nicht beeinflusst hat", heißt es in einem der Tweets, die der Präsident geschrieben hatte. Comey widersprach noch in derselben Anhörung: "Es war mit Sicherheit nicht unsere Absicht, das zu sagen. Wir haben zu diesem Thema keine Informationen."
Comeys zweiter Auftritt im Kongress Anfang Mai könnte der letzte Tropfen gewesen sein, der das Fass zum Überlaufen brachte. Nicht, weil Comey die Zahl der E-Mails an Anthony Weiner dramatisch übertrieb. Sondern weil er sagte, er fühle sich "leicht angewidert" bei der Vorstellung, dass sein Vorgehen die Präsidentschaftswahlen beeinflusst haben könnte. CNN zufolge benutzte Trump Schimpfwörter, als er über diesen Auftritt wütete.
Laut "Washington Post" ärgerte sich Trump darüber, dass Comey seine noch immer unbewiesenen Abhör-Behauptungen nicht stützte. Und er habe geschäumt, weil Comey sich stärker den Russland-Ermittlungen widmete als den undichten Stellen im Regierungsapparat, aus denen seit Trumps Amtsantritt in ungekannter Häufigkeit Informationen an Journalisten durchsickern. Für Trump sind diese Leaks das eigentliche Problem – nicht die Frage, ob Russland den Wahlausgang im November beeinflusst hat.
Diese Russland-Ermittlungen sind ein weiterer möglicher Grund für Comeys Entlassung. Denn so viel dürfte sicher sein: Eine unabhängige Untersuchung der Kontakte aus Trumps Umfeld nach Russland sowie zu der Frage, ob Russland die Präsidentschaftswahlen beeinflusst hat, wird es nun nicht mehr geben. Zwar gibt es entsprechende Untersuchungen in beiden Kammern des Kongresses. Aber bislang scheinen die Republikaner eher an einer Blockade als an Aufklärung interessiert zu sein. Die Einrichtung eines unabhängigen Ermittlers, wie ihn die Demokraten fordern, lehnen sie ab.
"Ich könnte mitten auf der Fifth Avenue jemanden erschießen"
Viele Medien, die in den USA unter dem Label "Mainstream" zusammengefasst werden, reagierten ähnlich auf den Rauswurf wie Jeffrey Toobin bei CNN. Nicht nur die "New York Times" sah in Trumps Vorgehen Parallelen zu dem von Präsident Richard Nixon in der Watergate-Affäre – dem großen politischen Trauma der USA. Und doch darf als sicher gelten, dass die Sache Trump nicht schaden wird. Vor mehr als einem Jahr, im Januar 2016, sagte Trump einen Satz, der seinen Wahlkampf auf den Punkt bringt und auch als Beschreibung seiner Präsidentschaft funktioniert. Er könne mitten auf der Fifth Avenue in New York stehen und jemanden erschießen, so Trump, "und ich würde keine Wähler verlieren".
Das gilt bis heute. Bei den Medien, die man in den USA "konservativ" nennt, wird die Realität ganz anders interpretiert als bei CNN und Co. Comeys Entlassung sei überfällig gewesen, sagte beispielsweise Fox-News-Moderator Tucker Carlson. Der FBI-Chef sei so mächtig gewesen, dass Senatoren und Abgeordnete beider Parteien "Angst davor hatten, ihn öffentlich zu kritisieren". Niemand habe eine solche Angst vor dem amtierenden Präsidenten, "und das sagt Ihnen alles, was Sie über James Comey wissen müssen".
Viele Wähler teilen solche dahingeraunten Ansichten. Klar, Trumps Zustimmungswerte sind eine Katastrophe. Im Schnitt der Umfragen halten ihn aktuell 53 Prozent der Amerikaner für einen schlechten Präsidenten. Aber seine Zustimmungswerte liegen trotz allem fast durchgehend stabil über 40 Prozent. Nur für diese 40 Prozent macht Trump Politik. Für sie ist Comeys Entlassung nur ein weiterer Schuss auf der Fifth Avenue.
Quelle: n-tv.de
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