Airbus-Luftwirbel brachten anderes Flugzeug fast zum Absturz

  17 Mai 2017    Gelesen: 860
Airbus-Luftwirbel brachten anderes Flugzeug fast zum Absturz
Ein Gutachten dokumentiert einen beunruhigenden Unfall, der Folgen für den Luftverkehr haben dürfte: Ein Airbus A380 hat einen deutschen Businessjet fast in den Absturz geschleudert.
7. Januar, Malé auf den Malediven. Nach einem Neujahrsurlaub besteigen sechs Passagiere einen deutschen Privatjet vom Typ "Challenger 604". Sie wollen zurück nach Berlin. Empfangen werden sie von einer 28-jährigen Flugbegleiterin und zwei Mann im Cockpit, einem 39-jährigen Kapitän und einem 41-jährigen Co-Piloten. Kurz vor Mittag Ortszeit hebt die in München stationierte 20-Tonnen-Maschine ab.

Drei Minuten später startet weit weg in Dubai ein fabrikneuer Airbus A380, das größte Verkehrsflugzeug der Welt. Das Ziel von Emirates-Flug EK 412 lautet Sydney in Australien. Sein Gesamtgewicht: Mehr als 520 Tonnen.

Von beiden Jets hat nur einer sein Ziel erreicht. Welches Drama sich hoch oben über dem Arabischen Meer ereignet hat, das hat die Braunschweiger Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) in einem am Dienstag erschienenen Bulletin erhoben. Die Lektüre eignet sich kaum für Menschen mit latenter Flugangst.

300 Meter Höhenabstand müssen genügen

Beide Passagiermaschinen sind noch keine zwei Stunden in der Luft, als der Kapitän des kleinen Challenger-Jets den heranfliegenden A380 sieht - zunächst auf einem Warngerät im Cockpit, wenig später leibhaftig und deutlich vor und über sich. Der A380 donnert in entgegengesetztem Kurs über den Business-Flieger hinweg.

Zwischen beiden Flugzeugen liegen 300 Meter Höhenabstand. Das mag nach wenig klingen, entspricht jedoch exakt den Vorschriften: Beide Maschinen hatten ihre jeweiligen Flughöhen von der Flugsicherung zugewiesen bekommen.

Nach dem Zusammentreffen bleibt es ruhig - genau 48 Sekunden lang. Dann bricht die Hölle los, zumindest für den Privatjet: Er rüttelt und schüttelt, dann dreht er sich mindestens dreimal linksherum um die eigene Längsachse, der Autopilot fällt aus, wichtige Cockpit-Bildschirme werden schlagartig dunkel.

Das Flugzeug rast in die Tiefe

Der Kapitän verliert sein Headset, das zur Maschine gehörende Handbuch flattert in Fetzen durch die Pilotenkanzel. Rasch verliert die Maschine an Höhe, in kaum 30 Sekunden rast sie mehr als 2700 Meter in die Tiefe.

Vier der sechs Passagiere hatten ihre Gurte schon gelöst, die Flugbegleiterin bereitete gerade den Service vor. Plötzlich schlägt der linke Flügel nach unten weg, alles fliegt umher, panisch versuchen die Passagiere sich festzuhalten, es gelingt nicht, sie schlagen an die Decke und auf die Sitze, viele schreien, Blut fließt, Möbel gehen zu Bruch.

Im Cockpit versucht der Kapitän, die Kontrolle wiederzuerlangen. Er orientiert sich an den Wolken, um ein Gefühl für die Fluglage zu bekommen. Endlich gelingt es ihm, die Maschine abzufangen. Momente später der nächste Alarm: Eines der beiden Triebwerke ist gefährlich heißgelaufen. Der Kapitän stellt es ab.

Schwere Verletzungen

Die nur leicht verletzte Flugbegleiterin holt den Erste-Hilfe-Kasten und kümmert sich um die Verletzten. Wie sich später herausstellt, hat ein Passagier einen Rippenbruch erlitten, dazu Kopfverletzungen, ein anderer hat sich einen Wirbel gebrochen.

Die Piloten entscheiden, das überhitzte Triebwerk wieder in Betrieb zu nehmen. Und sie entscheiden, die Luftnotlage zu erklären und nach Muscat in Oman auszuweichen. Mehr als zwei Stunden nach dem Ereignis landet die gebeutelte Maschine, die Verletzten werden ins Krankenhaus gebracht.

Was geschehen ist, steht für die Gutachter der BFU fest: Der Challenger-Jet ist durch die Wirbelschleppe des A380 geflogen, also durch eine kompakte Turbulenzzone im Gefolge der Maschine. Sie bestätigen damit einen SPIEGEL-Bericht aus dem Frühjahr.

Bekanntes Phänomen

Jedes Flugzeug verursacht solche Wirbelschleppen; sie sind ein physikalisch unvermeidbarer Begleiter des aerodynamischen Auftriebs. Kleine Flugzeuge ziehen kleine Wirbelschleppen hinter sich her - und große Maschinen große.

Aus Studien ist zudem bekannt, dass Jets mit sehr großer Spannweite bei ungünstigen meteorologischen Umständen Wirbelschleppen erzeugen können, die bis in die Flugbahn des direkt darunter fliegenden Verkehrs reichen können. Der A380 hat mit 80 Metern mehr Spannweite als jedes andere zivile Flugzeug.

Schon bevor der A380 vor fast zehn Jahren in Dienst ging, haben Experten unter anderem von Airbus untersucht, ob seine Wirbelschleppen oder auch die anderer großer Verkehrsflugzeuge wie zum Beispiel der Boeing 747-400 im Reiseflug zu einer Gefahr werden könnten.

Die BFU-Gutachter haben diese Studien nun wieder hervorgeholt und ihrem Bulletin, einer Mahnung gleich, angehängt. Dort heißt es: "Das mit Wirbelschleppen verbundene Risiko wird derzeit für akzeptabel erachtet; allerdings wird empfohlen, dass diese Problematik weiterhin untersucht wird."

Muss es Konsequenzen geben?

In der Fliegerei wird für gewöhnlich jeder Vorfall tiefgehend aufgeklärt; das Ziel lautet, neu entdeckte Gefahren für die Zukunft auszuschließen. Was also folgt aus dem gefährlichen Rendezvous des A380 und des Challenger-Jets hoch über dem Arabischen Meer? Muss der vertikale Abstand zwischen allen Flugzeugen erhöht werden?

Das würde den Luftraum empfindlich verkleinern und für die Fluggesellschaften höhere Kosten bedeuten. Reicht es, wenn große Flugzeuge auf der einen Seite der Luftstraße fliegen, kleinere auf der anderen? Die BFU wird in den kommenden Monaten einen Abschlussbericht erarbeiten, dem in der Branche weltweite Aufmerksamkeit sicher sein dürfte.

Der aus München stammende Privatjet wird nie wieder fliegen. Äußerlich unbeschadet, doch innen verwüstet: Wie Techniker ermittelt haben, ist das Flugzeug bei seinem Beinahe-Crash über alle Grenzen beansprucht worden. Der Betreiber MHS Aviation aus Oberhaching musste den 17 Jahre alten Flieger abschreiben.

Quelle : spiegel.de

Tags:


Newsticker