So sieht es im Jet nach der A380-Wirbelschleppe aus

  18 Mai 2017    Gelesen: 1080
So sieht es im Jet nach der A380-Wirbelschleppe aus
Todesangst über dem Indischen Ozean: Nachdem ein A380 einen deutschen Jet passierte, ist dieser so ins Trudeln geraten, dass er 3000 Meter in die Tiefe stürzte. Ein Bericht gibt Einblick, was an Bord passierte.
Diese Lektüre ist nichts für Menschen mit Flugangst: Der neueste Bericht der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) in Braunschweig protokolliert den Beinahe-Absturz eines deutschen Privatjets über dem Indischen Ozean. Neun Menschen verloren dabei beinahe ihr Leben – wegen eines bekannten, aber lange ignorierten Phänomens.

Der 7. Januar war ein sonniger Tag. Zur Mittagszeit startete der Privatjet der Charterflug-Gesellschaft MHS von Malé auf den Malediven in Richtung Vereinigte Arabische Emirate. Sechs Passagiere, zwei Piloten, eine Stewardess. Nun flog die zweistrahlige Bombardier vom Typ Challenger 604 in Richtung Arabische Halbinsel. Der Himmel fast wolkenlos, das Meer eine blaue Scheibe. Die Flugbegleiterin machte sich bereit, Erfrischungen in gut elf Kilometer Höhe zu servieren.

Der Airbus 380 tauchte zuerst auf den Monitoren auf. Dann wurde ein weißer Fleck am Horizont sichtbar. Wuchs und wuchs – bis die Emirates-Großraummaschine im Abstand von 300 Metern etwas links versetzt über den Privatjet hinweg flog.

47 Sekunden später traf die Wirbelschleppe des Airbus’ die dreimal kleinere Challenger. Und die Hölle brach los.

3000 Meter in 30 Sekunden

Die Challenger schüttelte sich. Dann rollte sie nach links. Die Piloten legten das Querruder rechts, um die Drehung zu stoppen. Doch das Flugzeug rollte weiter – mindestens drei Mal um die eigene Längsachse.

Die Welt jenseits der Windschutzscheibe wurde ein einziges Blau. Wo oben und unten war, konnte der Pilot nur anhand der Wolken über dem Meer unterscheiden, sagte er später den BFU-Gutachtern. Ihm rutschte das Headset vom Kopf, das Handbuch schleuderte in Fetzen durch das Cockpit.

Das Flugzeug stürzte in die Tiefe. Fast 3000 Meter in 30 Sekunden.

Hinten in der Passagierkabine brach Chaos aus. Flugbegleiterin und Passagiere schleuderten gegen die Kabinendecke, prallten gegen die Sitze. Armlehnen brachen. Sauerstoffmasken fielen herab. Blut floss.

Im Cockpit arbeiteten die Piloten fieberhaft. Die Spoiler fuhren aus, die Temperatur im linken Triebwerk schnellte auf 850 Grad hoch. Schließlich konnten die Piloten das betroffene Triebwerk ausschalten, das Flugzeug stabilisieren. Sie funkten den Lotsen in Mumbai in Indien an, erklärten ihre Notlage, gaben ihre Position durch. Und die Entscheidung, weiter nach Maskat im Oman fliegen zu wollen.

Knapp 20 Minuten später konnte das zweite Triebwerk wieder angeschaltet werden. Zwei Stunden später landete die Challenger auf dem Flughafen.

Fünf Monate nach dem Beinahe-Absturz veröffentliche das BFU nun den Zwischenbericht. Das Ergebnis wurde mit Spannung erwartet – schon lange gibt es Diskussionen über die Gefährlichkeit der Wirbelschleppen von Flugzeugen, die sich während des Fluges hinter den Maschinen bilden. Je größer, schwerer und schneller das Flugzeug, umso stärker die Wirbel. Speziell bei Starts und Landungen sind die Verwirbelungen ein Problem, hier müssen daher Abstandszeiten von zwei bis drei Minuten eingehalten werden.

In der Vergangenheit kam es trotzdem zu Unfällen: 2001 stürzte ein Airbus 300 kurz nach dem Start vom John F. Kennedy-Flughafen in New York ab, weil er in die Wirbelschleppe einer Boeing 747 geraten war. Alle 265 Personen an Bord starben. 2009 verunglückte ein Learjet 45 kurz nach dem Start in Mexiko-Stadt. Neun Menschen kamen ums Leben. 2012 wiederum starben drei Menschen bei einem Unglück während eines Fliegerfests auf dem Flughafen Backnang-Heiningen nahe Stuttgart.

Die BFU hält sich bedeckt

Die Gefahren aufgrund der Verwirbelungen durch zu geringe vertikale Abstände zwischen Flugzeugen in großen Höhen wurde dagegen offensichtlich lange unterschätzt. Bisher ist der Mindestabstand auf 300 Meter festgelegt, wie er auch bei dem Vorfall im Januar vom A380 eingehalten wurden.

Die BFU hält sich nach ihren Statuten in ihrer Wertung bedeckt, weil sie nicht die Verschuldensfrage zu klären hat. Sie macht aber einen wichtigen Hinweis: „Das mit Wirbelschleppen verbundene Risiko wird derzeit als akzeptabel eingestuft; allerdings wird empfohlen, dass diese Problematik weiterhin untersucht wird“, heißt es lediglich in dem Bericht.

Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) hat im März angekündigt, die Gefahren durch Wirbelschleppen großer Flugzeuge genauer unter die Lupe zu nehmen. Schon im letzten Quartal 2016, also noch vor dem Zwischenfall mit dem Geschäftsreisejet, seien dazu Diskussionen mit der europäischen Flugaufsicht Eurocontrol aufgenommen worden. Geplant seien neue Sicherheitshinweise über die Mindestflugabstände bei großen Flugzeugen, aber nicht speziell für das A380-Modell.

Zwar sollten die neuen Hinweise bereits im April veröffentlicht sein, doch offensichtlich dauern die Abstimmungen länger. Aus Kreisen der Fluglosten ist zu hören, dass die Begegnung von einem Großraumraumjet mit einem kleineren Flugzeug, das nur 300 Meter niedriger unten durchfliegen soll, inzwischen vermieden wird. Die Piloten sind inzwischen ohnehin gewarnt. Der Zwischenfall hat sich schnell herumgesprochen.

Quelle : welt.de

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