Als der Journalist Hammerstein in Munster eintraf, fragte der Presseoffizier, ob er mit dem berühmten General verwandt sei. Im Offizierskasino hänge ein Bild von Kurt von Hammerstein, das würde er ihm gerne zeigen. Die beiden traten vor das Foto. Leider war an der Wand nur noch ein heller Fleck, wo das Foto gehangen hatte. Jemand hatte es im Zuge der Durchsuchung deutscher Kasernen auf Wehrmachts-Memorabilia abgehängt.
So geht es zu in Ursula von der Leyens neuer, gesäuberter Bundeswehr. Nicht nur Helmut-Schmidt-Bilder verschwinden von den Wänden, weil der darauf Dargestellte die falsche Uniform trägt, auch Widerstandshelden werden ausgemustert. Die einzige Traditionslinie, die für die Bundeswehr noch gültig sein könne, sei die zum 20. Juli, hat die Ministerin verfügt. Unglückseligerweise trugen die Offiziere um Stauffenberg ausnahmslos die Kragenspiegel der Wehrmacht. Das macht sie für die bildliche Präsentation ungeeignet.
Wir sind in Woche drei der "Säuberungen" angelangt, die von der Leyen der Truppe verordnet hat. Die wehrpolitische Vergangenheitsbewältigung ist aus den Schlagzeilen verschwunden, verdrängt von Trump und dem Leidensgang des SPD-Kanzlerkandidaten. Aber das heißt nicht, dass die Durchsuchungskommandos ihre Arbeit nicht weiter mit unerbittlicher Gründlichkeit verrichten.
Jedes Koppel und jeder Helm wird zur Anzeige gebracht. Dass die Soldaten des Wachbataillons beim Besuch des französischen Präsidenten mit dem Karabiner K98 aufliefen, wie zu lesen war, der Standardwaffe der Wehrmacht, wird sicher entsprechende Konsequenzen haben.
Schwarz-Weiß-Denken der Gesellschaft
In dem Bildersturm tritt ein eigenartiger Geschichtshochmut zu Tage, der glaubt, mit einem Federstrich die Bundeswehr von ihrer Gründungsgeschichte und damit auch von historischer Verantwortung befreien zu können. Der Satz "Die Wehrmacht hat nichts mit der Bundeswehr gemein" ist nicht nur töricht, er ist schlicht falsch, wie ein Blick auf das Offizierskorps der ersten Jahre zeigt.
Viele der Gründerfiguren der Bundeswehr haben Hitler in herausragender Position gedient. Schon Helmut Schmidt hat einmal geseufzt, dass es im Grunde keinen Sinn mache, mit Leuten über den Krieg zu diskutieren, die nicht dabei gewesen seien, weil sie nur Schwarz oder Weiß kennen würden.
Es ist kein Zufall, dass alles zusammen geworfen wird: die mörderischen Fantasien des Oberleutnants Franco A., die pubertäre Begeisterung für Wehrmachtsartikel, die schrägen Initiationsrituale in manchen Kasernen. Von "Sex-Nazis" hat Jakob Augstein vor zwei Wochen in einer Kolumne gesprochen, eine geniale Wortschöpfung, die alles enthält, was man in dem Teil der Öffentlichkeit, die der Bundeswehr immer schon misstraute, beim Wort "Soldat" denkt.
In dem Verdacht, dass die Bundeswehr besonders anfällig für rechte Gesinnung sei, offenbart sich das Unwohlsein einer durch und durch pazifizierten Gesellschaft mit einem Restbestand, die diese Pazifizierung von Berufs wegen unterläuft. Dass die Bundeswehr in ihren kämpfenden Einheiten nach wie vor weitgehend Männersache ist, trotz aller Versuche, die Truppe zu feminisieren, macht sie per se suspekt. Was sind das für Menschen, die sich zu Uniformen, Waffen und Kameradschaft hingezogen fühlen? Mit denen kann doch etwas nicht stimmen!
Krieg bleibt ein blutiges Handwerk
In der Außendarstellung wird alles unternommen, das Bild der Truppe mit den Erwartungen der Öffentlichkeit zu harmonisieren. Der erste Auftritt der Verteidigungsministerin nach ihrer Amtsübernahme diente dazu, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu betonen. Ständig ist von der Bundeswehr als attraktivem Arbeitgeber die Rede, vom "Staatsbürger in Uniform" und der "Inneren Führung", so als handele es sich beim Militär heute um eine Art Öffentlicher Dienst mit angeschlossener Schießausbildung.
Aber alles sanitäre Gerede kann nicht darüber hinweghelfen, dass in den Kasernen Menschen zum Töten ausgebildet werden. Das ist nicht so leicht wie man denkt. Es braucht große Überwindung, die Waffe gegen einen anderen Menschen zu richten und dann auch abzudrücken. Aus der militärhistorischen Forschung weiß man, dass im Zweiten Weltkrieg etwa 90 Prozent der amerikanischen GI am Feind vorbeigeschossen haben.
Bis heute ist Krieg ein blutiges Handwerk, für das es eine bestimmte Disposition braucht, daran können alle Traditionserlasse nichts ändern. Dass wir gelegentlich daran erinnert werden, ist der eigentliche Skandal in einer Gesellschaft, die schon bei der Wegnahme eines Handys zu Erziehungszwecken richterlich klären lässt, inwieweit es sich dabei um eine Grundrechtsverletzung handelt. Kein Witz: Vorige Woche hatte ein Berliner Gericht die Frage zu entscheiden, ob der Lehrer einem Schüler über das Wochenende das Telefon entziehen darf.
Reinhard Müller hat in der "FAZ" darauf hingewiesen, dass es heute schon als unzumutbar gilt, wenn Menschen an ihre Belastungsgrenzen geführt werden: "Wenn aber schon ein bisweilen rauer Umgangston in der Ausbildung als Schikane oder ein Marsch bis zur Erschöpfung als unmenschlich gilt, dann könnte es bald mit Frieden und Freiheit vorbei sein."
Vielleicht entscheiden wir uns, nicht nur die Wehrpflicht abzuschaffen, sondern auch die Ausbildung zum Töten. Das wäre zweifellos ein Beitrag zur inneren Führung, der auch in der bundeswehrkritischen Öffentlichkeit goutiert würde. Ob man dann noch von Armee sprechen kann, steht auf einem anderen Blatt.
Quelle : spiegel.de
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