Parlamentswahl im Kosovo

  11 Juni 2017    Gelesen: 526
Parlamentswahl im Kosovo
Ramush Haradinaj will neuer Premierminister des Kosovo werden. Das wäre politisch heikel. Ihm werden Kriegsverbrechen vorgeworfen - und Kontakte zum organisierten Verbrechen.
Haradinaj hat gute Aussichten. Der 48-Jährige ist der Spitzenkandidat des "Kriegsflügels". So nennt die Zeitung "Gazeta Expres" die Allianz dreier ehemaliger Kommandanten der Rebellenbewegung UCK, die im Kosovo-Krieg 1998/99 für die Abtrennung von Jugoslawien und einen eigenen Staat kämpfte. Wochenlang hat das Bündnis aus Haradinajs "Allianz für die Zukunft", der "Demokratischen Partei des Kosovo" unter dem einstigen Geheimdienstchef Kadri Veseli und der "Initiative für Kosovo" des früheren Paramilitärs Fatmir Litmaj die Meinungsumfragen mit großem Vorsprung angeführt.

Neun Jahre nach der Loslösung von Serbien herrscht Frust im Kosovo. Mehr als 80 Staaten, unter ihnen mehrere EU- und Nato-Mitglieder, erkennen die junge Nation bis heute nicht an. Der Konflikt zwischen der albanisch-kosovarischen Mehrheit und der serbischen Minderheit im Kosovo ist ungelöst. Und schlimmer noch: die Wirtschaft entwickelt sich längst nicht so wie erhofft. Korruption, Vetternwirtschaft und Arbeitslosigkeit plagen das Land. "Ein großer Teil der Bevölkerung hat das Gefühl, perspektivlos zu leben", sagt der Westbalkan-Experte Dusan Reljic, und Leiter des Brüsseler Büros der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Gerade die Jungen und gut Ausgebildeten zieht es weg zu den Arbeitsplätzen im Ausland." Und viele derer, die bleiben, setzen ihre Hoffnungen auf Radikale wie Haradinaj.

Sollte der einstige Türsteher siegen, stehen dem kleinen Balkanland neue Spannungen mit Serbien bevor. Der große Nachbar hat einen internationalen Haftbefehl gegen Haradinaj ausgestellt. Auch die anderen beiden Parteiführer des "Kriegsflügels" stehen seit langem unter Verdacht, Kriegsverbrechen begangen zu haben; alle streiten ab. Aber selbst unter ihnen ist Ramush Haradinaj ein extremer Fall. Nicht ohne Grund nennen seine Anhänger ihn "Faust Gottes".

Haradinajs Wahl wäre ein Tiefpunkt im Verhältnis zwischen Pristina und Belgrad

Zweimal musste der Ex-Guerillero, der 2004/05 schon einmal für wenige Wochen Ministerpräsident war, sich bereits vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verantworten: angeklagt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Haradinaj, so lautete der Vorwurf, soll an Vertreibungen von Serben und Roma sowie an Morden und Folterungen gefangener Zivilisten beteiligt gewesen sein. Aber beide Male sprach ihn das Gericht am Ende frei: mangels einwandfreier Beweise. Laut Anklage wurden schon im Verlauf des ersten Prozesses mindestens drei potenzielle Zeugen ermordet. Andere Zeugen zogen ihre Aussage danach zurück oder konnten sich plötzlich nicht mehr so genau erinnern.

Zudem steht Haradinaj schon seit langem im Verdacht, in organisierte Kriminalität verwickelt zu sein. So stellte der Bundesnachrichtendienst 2005 fest, dass der Politiker und sein Clan sich "mit dem gesamten Spektrum krimineller, politischer und militärischer Aktivitäten" im Kosovo befassten, unter anderem mit Drogen- und Waffenschmuggel sowie Schutzgelderpressung. Die internationale Friedenstruppe KFOR sprach 2004 von der "mächtigsten kriminellen Organisation der Region" und berichtete von Menschenhandel mit Prostituierten. Haradinaj hat alle Vorwürfe stets bestritten.

Anfang dieses Jahres wurde es knapp für ihn. Am Flughafen Basel-Mulhouse, wo er sich versehentlich auf französisches Territorium begeben hatte, verhaftete ihn die französische Polizei auf Grundlage des serbischen Haftbefehls. Doch Ende April lehnte ein Berufungsgericht in Colmar seine Auslieferung ab und ließ ihn zurück in sein Heimatland. Dort feierten sie Haradinaj. Serbiens damaliger Staatspräsident Tomislav Nikolic indes beschimpfte ihn als "Hund, der den Geschmack menschlichen Fleisches gespürt hat und der bestraft werden muss, damit ihm der tollwütige Schaum nicht weiter im Mund zusammenläuft."

Haradinajs Wahl wäre ein neuer Tiefpunkt im Verhältnis zwischen Pristina und Belgrad, das den Kosovo bis heute als abtrünnige Provinz betrachtet. Vor vier Jahren haben die Regierungen beider Staaten, die beide der EU beitreten wollen, auf Druck Brüssels und der USA begonnen, ihre Beziehung zu normalisieren. Seither treffen sich ihre Spitzenpolitiker und Diplomaten einander immer wieder, oft gemeinsam mit EU-Vertretern. Doch in jüngster Zeit häufen sich die Eklats.

Haradinaj droht mit einer harten Gangart gegen die serbische Minderheit

So schickte Belgrad im Januar einen Propagandazug nach Nord-Mitrovica: den serbischen Teil der geteilten kosovarischen Stadt, in deren Süden albanische Kosovaren leben. Er trug die Aufschrift "Kosovo ist Serbien." Und erst als die Regierung in Pristina Spezialeinheiten an die Grenze beorderte, ließ Belgrad den Zug kurz davor stoppen. Im März kündigte dann der kosovarische Staatspräsident Hashim Thaci den Aufbau einer eigenen Armee an - notfalls auch gegen den Willen der serbischen Minderheit. Erst auf Druck der Schutzmächte USA und EU legte er den Plan vorerst auf Eis. Bislang garantiert die mehrere Tausend Mann starke, von der Nato geführte Kosovo-Schutztruppe Kfor die Sicherheit des jungen Staates.

Es brodelt wieder auf dem Balkan: im Kosovo, aber auch in Nachbarstaaten wie Mazedonien, Bosnien oder Montenegro. Ein Grund hierfür dürften die Verschiebungen in der Geopolitik sein: Serbiens alter Bruderstaat Russland versucht seinen Einfluss auf dem Balkan auszuweiten. Die Position der USA zum Westbalkan unter Donald Trump ist noch immer nicht endgültig klar. Und die EU? Nach dem Brexit-Referendum ist ein Beitritt weiterer Staaten in die Ferne gerückt. All das trägt nicht zur Befriedung der Region bei.

Mit Haradinaj würde alles wohl noch schlimmer. Der Ex-Freischärler hat angekündigt, als Premier eine harte Gangart gegen die serbische Minderheit im Land einzuschlagen. Und er fordert die Belgrader Führung auf, sich für serbische Kriegsverbrechen zu entschuldigen. "Vor ein paar Jahren hat der Westen noch auf Leute wie Haradinaj gesetzt", sagt Balkankenner Reljic, der selbst einen serbischen Hintergrund hat. "Jetzt weiß man nicht, wie man sie loswerden soll."

Aber noch haben die Radikalen nicht gewonnen. Laut einer neuen Umfrage ist der Abstand zur noch regierenden Demokratischen Liga in den vergangenen Tagen zusammengeschmolzen. Und auch die linksnationalistische Partei "Vetëvendosje" ("Selbstbestimmung"), die den Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft propagiert, liegt nur noch knapp dahinter. Womöglich entscheiden am Ende ein paar Tausend Stimmen darüber, ob der Westbalkan wieder zum Pulverfass wird.

Quelle : spiegel.de

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