Welchen Brexit die Briten wollen

  22 Juni 2017    Gelesen: 481
Welchen Brexit  die Briten wollen
Geht es nach Premierministerin Theresa May, dann müssen sich die Briten auf einen harten Brexit einstellen. Königin Elizabeth II. eröffnete die neue Sitzungsperiode des britischen Parlaments, las das Programm der konservativen Regierung vor - und damit ist klar, dass ein sanfter Brexit nicht angestrebt ist, auf den Gegner eines EU-Austritts hoffen.
Noch weiß niemand, wie der Austritt Großbritanniens aus der EU konkret aussehen wird - ob es in zwei Jahren zu einer harten Trennung kommt oder beide Seiten doch in Freundschaft eng miteinander verbunden bleiben. Die Alternativen lauten also "hard Brexit" und "soft Brexit". Und was bedeutet das genau?

Es geht hier darum, wie stark die Bindungen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union künftig sein werden. In der Ausgestaltung des Beziehungsgeflechts gibt es zahllose Optionen und Varianten. Doch im Grunde gilt: Ein harter Brexit ist eine vollständige Trennung, während bei einem weichen Brexit möglichst enge Bindungen aufrechterhalten werden.

Hinter dem harten Brexit steht der Wunsch vieler Briten, die volle Kontrolle über die Grenzen zu erlangen. Das heißt etwa, den Zuzug von EU-Bürgern zu beschränken oder Handelsvereinbarungen selbst auszuhandeln. Mit anderen Worten: Befreit von Gesetzesvorgaben und Regulierungen aus Brüssel, soll ein selbstbestimmtes "Global Britain" entstehen. Konkret heißt das, dass Großbritannien den EU-Binnenmarkt und die europäische Zollunion verlässt.

Norwegen als Vorbild

Die Alternative ist der so genannte weiche Brexit. Dieser wird vor allem von Briten favorisiert, die beim Referendum im Juni vergangenen Jahres für einen Verbleib in der EU gestimmt haben. Auch hierbei wäre Großbritannien nicht länger Mitglied der Europäischen Union. Doch das Land hätte weiterhin Zugang zum europäischen Binnenmarkt - einem Grundpfeiler der EU. Er garantiert die Freizügigkeit von EU-Bürgern, Waren, Dienstleistungen und Kapital.

Vorbild ist etwa Norwegen. Das Land ist kein Mitglied der Union, aber Teil des EU-Wirtschaftsraums. Umsonst ist das allerdings nicht: Norwegen überweist jährlich knapp 390 Millionen Euro nach Brüssel. Das IW Köln hat ausgerechnet: Legt man die Bevölkerungsgröße als Annäherung an den britischen Beitrag zugrunde, müssten die Briten fast 5 Milliarden Euro pro Jahr zahlen. Auf Grundlage des etwa siebenmal größeren Bruttoinlandsprodukts würde der Beitrag bei etwa 2,8 Milliarden Euro im Jahr liegen. Zur Einordnung: Zwischen 2010 und 2014 lag der britische Nettobeitrag zum EU-Haushalt den Angaben zufolge jährlich im Schnitt bei 8,5 Milliarden Euro.

Das Modell Norwegen wäre also deutlich billiger für die Briten. Doch ob sich die Brexit-Anhänger darauf einlassen, ist zweifelhaft. Denn zum einen müsste weiterhin viel Geld nach Brüssel überwiesen werden. Zum anderen müssten die Briten akzeptieren, dass EU-Bürger in Großbritannien weiterhin uneingeschränkt arbeiten und sich niederlassen dürfen. Und genau das wollen viele Befürworter eines EU-Austritts nicht.

Hinzu kommt: Im Gegenzug zum Zugang zum Binnenmarkt muss Norwegen zahlreiche EU-Gesetze in nationales Recht umsetzen. Obwohl es Ausnahmen - etwa bei der Fischerei - gibt, hat Norwegen rund drei Viertel der in Brüssel verabschiedeten Gesetze übernommen, freilich ohne bei der Ausgestaltung mitreden zu können. Das heißt, dass Großbritannien sich in diesem Fall weiter an die vielen längst bestehenden Regulierungen halten und neue Gesetze in nationales Recht umsetzen müsste. Für Brexit-Befürworter wäre das wohl nur sehr schwer zu akzeptieren.

Ökonomen sagen Rezession voraus

Und der harte Brexit? In diesem Falle verlässt Großbritannien die EU - ohne Handelsabkommen, ohne Zugang zum Binnenmarkt und ohne, Teil der Zollunion zu sein. Damit würden nach Regeln der Welthandelsorganisation WTO sofort Zölle auf britische Importe in die EU verhängt. Nach Angaben des Thinktanks Centre for European Reform (CER) würden diese im Schnitt bei vier Prozent liegen. Zugleich wären die Briten gezwungen, ebenfalls Zölle zu verhängen.

Außerdem würden die Briten wohl das so genannte Passporting verlieren. Dieser Begriff bezeichnet das Recht eines in einem EU-Mitgliedsland ansässigen Finanzunternehmens, in jedem anderen Land dieses Wirtschaftsraums Geschäfte zu machen. Sollte die britische Finanzindustrie dieses Recht verlieren, wäre das für den Finanzplatz London ein harter Schlag.

Das CER weist auf ein weiteres Problem hin: "Der wohl schädlichste Aspekt wäre, dass viele britische Produkte nicht mehr in der EU verkauft werden dürften. Beispielsweise wären pharmazeutische und chemische Produkte nicht sofort zugelassen." Ein weiteres Beispiel: Britische Fluggesellschaften könnten das Recht verlieren, Flüge innerhalb der EU anzubieten - etwa für Easyjet wäre das ein großes Problem.

Viele Ökonomen gehen davon aus, dass bei einem harten Brexit die britischen Exporte angesichts von Zöllen und Regulierungen zurückgehen werden. Zudem würde Großbritannien für Investoren an Attraktivität einbüßen. Das Pfund würde vor diesem Hintergrund weiter an Wert verlieren.

Da sich zugleich die Importe verteuern, würde dann die Inflation steigen - und damit das verfügbare Einkommen und der Konsum sinken. Die Vorteile eines billigeren Pfunds für Exporteure würden durch Zölle und Regulierungen mehr als wettgemacht. Viele Ökonomen rechnen vor diesem Hintergrund damit, dass ein harter Brexit zu einer Rezession in Großbritannien führen wird.

Doch das hält Premierministerin May nicht davon ab, mit einem harten Brexit zu drohen. Es sei besser, kein Abkommen abzuschließen als ein schlechtes. Viele Briten sehen das ähnlich: Der Austritt werde kurz wehtun, danach werde die britische Wirtschaft florieren.

Ryanair-Chef Michael O'Leary, der lautstark für den Verbleib in der EU geworben hat, kann dem wenig abgewinnen: "Letztlich übersteht man alles. Europa hat zwei Weltkriege überstanden", sagte er kurz vor dem Referendum n-tv.de. "Das heißt aber nicht, dass wir mit einem Weltkrieg besser dran wären."

Quelle: n-tv.de

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