Damals wurde vereinbart, dass Hongkong für fünfzig Jahre eine Sonderverwaltungszone mit eigener Regierung und hoher innerer Autonomie bleibt. Die Formel dafür heißt "ein Land, zwei Systeme": Offiziell bestimmt die kommunistische Regierung in Peking nur die Außen- und die Verteidigungspolitik. Erst im Jahr 2047 wird dieser Sonderstatus enden.
Die Plakate in der Stadt sind bunt und fröhlich. "Hongkong war sehr erfolgreich mit der Einführung von 'ein Land, zwei Systeme'", sagt Carrie Lam im Interview mit n-tv in einer Reportage, die an diesem Sonntag ausgestrahlt wird. Lam übernimmt das Amt der Regierungschefin von Hongkong am 1. Juli. "Während wir ein Teil Chinas sind, haben wir doch eine Menge unserer eigenen Regeln behalten", sagt sie. "Eine eigene Währung, ein eigenes Rechtssystem mit eigener Gerichtsbarkeit. Und wir sind eines der wichtigsten Zentren der Welt."
Hongkongs Wirtschaft brummt zwar, doch andere Städte Chinas haben längst aufgeholt. Und unter der Bevölkerung wächst der Unmut, das Wohlstandsgefälle in der Stadt ist enorm. Jeder siebte der rund 7,5 Millionen Einwohner lebt unterhalb der Armutsgrenze. Die Hilfsorganisation "Food Angel" – vergleichbar mit der deutschen Tafel – verteilt täglich rund 6000 warme Mahlzeiten.
Die "Regenschirm-Bewegung" demonstriert gegen Lam sowie gegen den zunehmenden Einfluss Chinas auf Hongkong. Studentenführer Joshua Wong fordert ein Referendum im Jahr 2047. Die Menschen müssten über die "Zukunft der Stadt" selbst entscheiden, sagte Wong der Nachrichtenagentur AFP. Zum Jubiläum kam am Donnerstag der chinesische Präsident Xi Jinping nach Hongkong. Im Vorfeld seines Besuches waren mehr als zwanzig Demokratie-Aktivisten festgenommen worden, darunter auch Wong.
"Die Menschen glauben nicht an all die Versprechen von 'ein Land, zwei Systeme', denn die Zentralregierung in Peking mischt sich immer wieder in unsere Kommunalpolitik ein", sagt die Menschenrechtlerin Emily Lau, bis 2016 die Vorsitzende der Demokratischen Partei. "Die Leute fühlen sich unterdrückt und sind sehr frustriert."
"Dieses Gefühl von Ungerechtigkeit"
Auch aus Sicht der deutschen Wirtschaft besteht dringender Reformbedarf. "Hongkong muss sich modernisieren, und es bestehen auch Spielräume", sagt Wolfgang Niedermark, Chef der deutschen Außenhandelskammer in Hongkong. "Die Regierung sitzt auf enormen Finanzreserven, und diese Spielräume müssen genutzt werden." Niedermark zählt die Probleme auf: "Die angespannte Wohnungssituation, Bildungssystem, Umweltsituation, Abfallmanagement, Verkehr, Energieeffizienz – da liegt doch einiges an, was dringend modernisiert werden muss." Wenn die Regierung es schaffe, "eine Bewegung in Gang zu setzen durch Investment – sie muss einfach auch Geld ausgeben dafür –, dann wird es auch wieder zu größerer Zufriedenheit in der Bevölkerung kommen."
Dem stimmt Emily Lau zu. "Geld ist genug da", sagt sie. "Aber es ist bedauerlich, dass so viele Menschen nicht von diesem Reichtum profitieren."
Die neue Regierungschefin sagt, es gebe "dieses wachsende Phänomen", dass es der Wirtschaft zwar gut gehe, aber nicht jeder davon profitieren könne. "Da ist dieses Gefühl von Ungerechtigkeit und Ungleichheit – ein allgemeines Phänomen, wie ich meine, dem sich viele entwickelte kapitalistische Länder stellen müssen", sagt Carrie Lam.
Freie Wahlen gibt es in Hongkong nur bedingt: Ein Komitee bestimmt, wer sich zur Wahl stellen kann. So kam auch Lam, die als Peking-treu gilt, an die Macht. "Politisch müssen wir noch immer dahin kommen, allen Wahlberechtigten in Hongkong eine Stimme zu geben, um den Regierungschef zu wählen", sagt sie. "Wir werden diesen Punkt weiter vorantreiben." Dreißig Jahre bleiben, um aus der Finanzmetropole ein sozial befriedetes Gemeinwesen zu schaffen.
Quelle: n-tv.de
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