Aber die Gäste blieben wohl auch aus einem Grund zu Hause, den man auf keinen Fall gelten lassen darf: Russland ist entgegen mancher Vorbehalte sehr wohl eine Reise wert.
Da ist Sankt Petersburg, die funkelnde Pracht am Finnischen Meerbusen, das Venedig des Nordens, eine der schönsten Städte der Welt. Die Blutskirche mit ihren bunten Zwiebeltürmen versetzt den Touri in eine Zauberwelt. In der Eremitage häufen sich Picassos, van Goghs und Leonardos. In den vielen Bars endet die Nacht nie. Am Himmel auch nicht, denn im Juni und Juli gibt's hier Weiße Nächte. Im Mariinsky-Theater dirigiert Valery Gergiev. Viel schönere Musik kann's nicht geben. Von Gergievs politischen Äußerungen wird man in diesen vier Stunden verschont.
Moskau ist einerseits ein Megapolis, andererseits in manchen Vierteln so schnucklig wie die Lower East Side. Auf dem Roten Platz muss man eh mal gewesen sein. Auch Kasan, wo Moschee und Kirche friedliche Nachbarn sind, sollte man gesehen haben.
Ja, man braucht ein Visum für Russland. Und ob die Fan-ID, die Fans das Visum ersetzen soll, immer mit dem Datenschutzstandard der EU einhergeht, darauf möchte man nicht wetten. Aber innerhalb des Landes reist es sich sehr einfach. Es gibt Flüge, es gibt Züge. Die Metrostationen in Moskau sind Paläste fürs Volk. Wer einsteigt und das Schneckentempo der Berliner U-Bahn gewöhnt ist, sollte sich gut festhalten. Die Metro in Moskau macht Meter.
Die Taxifahrer bescheißen einen schon mal. In Moskau soll einer einem Mexikaner 50.000 Rubel, also mehr als 800 Euro, abverlangt haben. Am Besten eine russische SIM-Karte besorgen und Uber oder andere Online-Beförderungsdienste nutzen. Sie sind in Russland erlaubt, populär und billig. Die Hotels sind okay, man kann aber auch mit AirBnB nächtigen.
Wer Stereotype über Russland hat, sollte sie überdenken. Man trifft keine Bären auf der Straße, auch kaum Betrunkene oder Hooligans. Russland ist ein sicheres Land. Auf den Tragflächen der Flugzeuge sind keine Maschinengewehre montiert.
Nicht alle Klischees sind falsch. Eine dicke Jacke sollte man einpacken, vielleicht auch einen Schal. St. Petersburg liegt nördlicher als Oslo. Badesachen nimmt mit, wer nach Sotschi ans Schwarze Meer reist, das liegt auf demselben Breitengrad wie Florenz. In der Nähe kann man auch Bergwandern. In manchen Gegenden Russlands kann der Deutsche eine Reise in die musikalische Vergangenheit antreten, kann dort Modern Talking, C.C. Catch und die Scorpions hören. Im Übrigen lassen die Kasaner ausrichten, Herr Meine, dass der Trick, stets das aktuelle als das allerletzte Konzert in ihrer Stadt anzukündigen, durchschaut ist.
Borschtsch und Soljanka sollte man mal probieren, auch Pilmeni, so was wie osteuropäische Ravioli. Etwas feiner ist die georgische und tatarische Küche. In Moskau findet man Bars mit Biolimonade und überteuertem Kaffee, alles, was das Hipsterherz begehrt. Man fährt nicht nach Hause, ohne einen Wodka getrunken zu haben. Aber nicht auf der Straße oder in einem Park. Wir sind schließlich nicht in Berlin, sondern in der Zivilisation.
Und dann sind da die Menschen. Russen sind gastfreundlich, hilfsbereit, zuvorkommend. Das sagt man über viele, aber auf sie trifft es besonders zu. Ein neuseeländischer Fan erzählte, er fühlte sich wie ein Hollywoodstar, so oft wurde er auf der Straße fotografiert. Das mit der Sprache ist nicht ganz einfach, ein bisschen Kyrillisch sollte man lesen können (note to myself). Doch die meisten der Jüngeren sprechen Englisch, manche Deutsch. Man wird schon irgendwie klarkommen, Russen und Deutsche sind sich nicht unähnlich.
Ein wichtiger Punkt: Viele Russen fühlen sich gerade von der Welt missverstanden, umgekehrt verhält es sich ähnlich. Die WM wäre eine hervorragende Gelegenheit, sich mal gegenseitig zuzuhören, miteinander zu trinken und feiern. Die Russen freuen sich jedenfalls riesig, die ganze Welt zu begrüßen, das konnte man beim Confed Cup sehr gut spüren. Jetzt muss sie nur noch hinfahren.
Quelle: zeit
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