„Ruhige Schadenfreude“: Ob Incirlik-Abzug Deutschland und Türkei endgültig entzweit

  10 Juli 2017    Gelesen: 577
„Ruhige Schadenfreude“: Ob Incirlik-Abzug Deutschland und Türkei endgültig entzweit
Auf den beschlossenen Abzug der Bundeswehrsoldaten vom türkischen Stützpunkt Incirlik reagiert die Türkei betont gelassen. Ein Tauwetter zwischen den beiden Ländern ist demnächst kaum zu erwarten. Trotzdem scheint keines von ihnen einen endgültigen Bruch zu wollen, wie die russische Onlinezeitung vz.ru in ihrem Kommentar schreibt.
„Der Abzug der deutschen Soldaten ist ein neuer kritischer Punkt im deutsch-türkischen Verhältnis. Die Entscheidung wurde getroffen, weil sich die Türkei in letzter Zeit resolut weigert, deutsche Parlamentarier auf den Stützpunkt zu lassen“, stellt vz.ru fest.

Die türkische Reaktion auf den Bundeswehr-Abzug lasse sich als „ruhige Schadenfreude“ bezeichnen. Dortige Politiker hätten sich offensichtlich Mühe gegeben, die absolute Unbedeutsamkeit des Ereignisses für die Türkei zu unterstreichen, schreibt die russische Onlinezeitung und zitiert Recep Tayyip Erdogan mit den Worten:

„Wenn Deutschland einen Abzug von Incirlik beschlossen hat, können wir nun auf Wiedersehen sagen.“

Sie kommentiert, es habe mittlerweile mehrere Rückschläge für die Beziehungen der beiden Länder gegeben. Einer davon sei die vom Bundestag verabschiedete und von der Türkei heftig kritisierte Resolution zum Armenier-Genozid gewesen. Dann habe Erdogan dem Westen vorgeworfen, die mutmaßlichen Drahtzieher des gescheiterten türkischen Militärputsches zu begünstigen. Seinerseits habe Deutschland neben den weiteren westlichen Ländern den Vorwurf erhoben, wonach Erdogan seine politischen Opponenten unterdrücke. Zur weiteren Verschlechterung der Beziehungen habe das Verbot von Wahlkampfauftritten für türkische Politiker in Deutschland beigetraten, aber auch Deutschlands Kritik am Ausbau der türkischen Präsidenten-Befugnisse nach dem entsprechenden Referendum.

Trotzdem geht es laut vz.ru vorerst um keinen endgültigen Bruch der Türkei mit Deutschland und erst recht mit der Nato: „Erstens sind türkische Politiker berühmt durch markige Sprüche. Zweitens versuchen sie offensichtlich, ihre Entschlossenheit, Stärke und Unnachgiebigkeit zu demonstrieren, um Berlin und weitere europäische Hauptstädte zu Zugeständnissen und zu einer Kursrevision gegenüber Ankara zu bewegen. Die Türken betonen außerdem ihre Selbständigkeit und Bedeutung in internationalen Angelegenheiten.“

„Eine solche Politik von abwechselnder Annäherung und Distanzierung betreibt Erdogan derzeit praktisch in allen Richtungen. Mit Europa arbeitet er in vielen Bereichen zusammen – etwa im Sinne des Migrationsabkommens mit der EU. Trotz der merklichen Abkühlung in den Beziehungen mit den Vereinigten Staaten unterstützt Ankara nach wie vor viele Entscheidungen der US-Führung, wie beispielsweise jenen Raketenangriff auf die syrische Luftwaffenbasis Schairat; auch generell geht die Kooperation zwischen den beiden Ländern weiter. Die Beziehungen der Türkei zu Russland erleben ebenfalls regelmäßig Berg- und Talfahrten“, kommentiert vz.ru.

Auch Deutschland wolle zwar die Türkei beeinflussen, strebe aber keinen vollständigen Bruch an: „Ausgerechnet deshalb sind deutsche Politiker deutlich zurückhaltender in ihren Äußerungen (…) Die deutsche Verteidigungsministerin rief bei ihrem türkischen Amtskollegen an, um über die Entscheidung zu informieren und dafür zu danken, dass der Stützpunkt zur Verfügung gestellt worden war.“
„Man kann aber auch mit Sicherheit sagen, dass die Beziehungen mit Ankara in nächster Zeit eine sehr ernst- und schmerzhafte Herausforderung an den außenpolitischen Kurs Berlins sein werden. Ein Tauwetter im Dialog ist noch lange nicht zu erwarten“, prognostiziert vz.ru.

Tags:


Newsticker