Nach der Wahl in Venezuela

  31 Juli 2017    Gelesen: 504
Nach der Wahl in Venezuela
Gegen alle Widerstände hat Präsident Maduro seine verfassunggebende Versammlung durchgesetzt. Venezuela ist auf dem Weg in den Einparteienstaat. Es drohen internationale Ächtung und wirtschaftliches Chaos.
Nicolás Maduro hat gewonnen. Er hat seine verfassunggebende Versammlung durchgesetzt. Er hat den USA gezeigt, dass er ihre Sanktionen nicht fürchtet und auch klar gemacht, dass ihm egal ist, dass die Wahl zu dem umstrittenen Gremium am Sonntag rund ein Dutzend Menschen das Leben gekostet hat. Den Präsidenten hat auch nicht interessiert, dass mindestens zwei Drittel der Venezolaner die Schaffung der "Asamblea Nacional Constituyente" (ANC) nicht wollten und noch mehr gar nicht wissen, wozu sie eigentlich nützlich sein soll.

Die Kritiker Maduros und die Opposition wissen das umso besser: zur Verewigung seiner Macht und der endgültigen Entmachtung seiner Gegner. So hat die blutige Wahl vom Sonntag die Gräben im eigenen Land vertieft und Venezuelas internationale Isolation beschleunigt. Insofern ist Maduro auch einer der größten Verlierer des Wahltags.

Am späten Sonntagabend gab der Wahlrat CNE die ersten Zahlen bekannt. Demnach haben sich gut acht Millionen Venezolaner an der Wahl beteiligt. Das entspräche einer Beteiligung von 41,53 Prozent. Die Opposition hält die Zahlen für manipuliert. Aber Präsident Maduro rief seinen Anhängern auf der Plaza Bolívar in Caracas triumphierend zu: "Das ist eine Constituyente, um Ordnung und Gerechtigkeit zu schaffen und den Frieden zu verteidigen." Zugleich drohte er seinen Gegnern. Die Opposition werde in "ihrer Verrücktheit weitermachen" und einige "werden in einer Zelle enden".

In jedem Fall stellt der Sonntag einen Wendepunkt dar, eine Art Stunde null für den Krisenstaat. Nur ist noch nicht ganz klar, wohin das gebeutelte Land nach der Bestimmung der 545-köpfigen verfassunggebenden Versammlung steuert. Kommt nun endgültig der Bürgerkrieg?

Der Sonntag mit wütenden Protesten gegen die ANC in Teilen des Landes könnte ein Hinweis darauf sein. Freddy Guevara, Vizepräsident der Nationalversammlung und führender Oppositionspolitiker, sagt: "Gleich am Montag werden wir Aktionen, Taktik und Strategien präsentieren, um der neuen Wirklichkeit zu begegnen, in der wir leben." Zudem rief das Oppositionsbündnis MUD zu neuen landesweiten Protesten auf.

Ein-Parteien-Regierung wird zementiert

Nun hat also der Präsident, der sich und seine Regierung linksnationalistisch nennt, ein nach seinen Wünschen geformtes Gremium. Die Kompetenzen sind noch nicht wirklich klar. Aber vermutlich wird die ANC die bisherigen demokratischen Strukturen abschaffen. Wahrscheinlich ist, dass die Versammlung, die sich innerhalb von 72 Stunden konstituieren soll, ein neues sozialistisches Grundgesetz für das urkapitalistische Ölland ausarbeiten wird. Es wird eine Ein-Parteien-Regierung längst vergangener Zeiten mit abhängigen Gewalten zementiert. Venezuela wäre dann tatsächlich das, was die bürgerliche Opposition schon vor Jahren befürchtet hat: eine Kopie Kubas.

Damit werden auch die demokratischen Freiräume weiter schwinden, wie sich Experten einig sind. Maduro mit seinen Plänen durchkommen zu lassen, wäre "tragisch für Venezuela", sagt José Miguel Vivanco, Amerika-Direktor der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch". "Er wird sich an der Macht festklammern, und ein Gefolge von bedingungslosen Anhängern wird schnell dafür sorgen, dass die wenigen unabhängigen Institutionen, wie das Parlament oder die Nationalversammlung, kaltgestellt werden." Dann werde Maduro die Wahlen absagen, und die Spirale der Gewalt werde sich weiterdrehen, sagt Vivanco voraus.

International nicht anerkannt

Schon jetzt ist klar, dass das neue Venezuela von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt werden wird. Die USA haben mit weiteren Sanktionen gedroht, könnten sogar die Ölkäufe in Venezuela einstellen und damit das Ende des Regimes beschleunigen. Washington ist Hauptabnehmer des venezolanischen Rohstoffs, deckt aber selbst gerade einmal acht Prozent seines Bedarfs in dem südamerikanischen Land. Wenn die USA die künftig woanders einkaufen, droht der wirtschaftliche Kollaps.

Die Europäische Union und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) lehnen die verfassunggebende Versammlung ab, und das Nachbarland Kolumbien hat schon vor der Wahl erklärt, es werde die ANC als ungültig betrachten. Präsident Juan Manuel Santos sagte am Freitag, die Versammlung sei "illegitim" und ihre Ergebnisse und Entscheidungen daher nicht gültig. Die argentinische Regierung zog am Sonntag nach. Das Außenministerium in Buenos Aires begründete seine Entscheidung damit, dass die ANC den "Willen des venezolanischen Volkes" ignoriere. Auch Mexiko, Costa Rica, Chile und Spanien wollen die ANC nicht anerkennen.

Venezuela bewegt sich daher auf einen internationalen Pariastaat zu, was besonders schwer wiegt, da das südamerikanische Land 70 Prozent seiner Konsumgüter im Ausland erwerben muss. 95 Prozent der Staatseinnahmen erzielt Venezuela mit dem Verkauf von Erdöl. Ein breiter Boykott kann also das Ende der Regierung beschleunigen.

Auch innerhalb des Regierungslagers hat der Schritt Maduros viele Gegner. Mehrere "Chavisten", darunter Ex-Minister und die Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz haben sich in den vergangenen Wochen gegen die ANC ausgesprochen, da sie die Frontstellung im Land zwischen Opposition und Regierung vertieft. Zudem ist davon auszugehen, dass sie die Gewaltenteilung aufhebt, indem das Parlament entmachtet und die Unabhängigkeit der Justiz formell beendet wird.

Besonders eng kann es auch für die Generalstaatsanwältin selbst werden, die sich in den vergangenen Monaten als die prominenteste und profilierteste Kritikerin Maduros aus den eigenen Reihen hervorgetan hat. Ortega Díaz hat im April die Entmachtung des Parlaments kritisiert und seither fast jede der autokratischen Entscheidungen Maduros angegriffen. Die ANC bezeichnete die Juristin wiederholt als das Tor zu einem "personalistischen und autoritären" Regime.

Schon vor Sonntag hatte die Regierung gegen die mutige Juristin, die sich als treue Anhängerin des verstorbenen Staatschefs Hugo Chávez bezeichnet, ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet. Es ist anzunehmen, dass Ortega Díaz in Kürze ihren Job verliert, spätestens dann, wenn die ANC die Unabhängigkeit der Generalstaatsanwaltschaft aufhebt.

Quelle : spiegel.de

Tags:


Newsticker