Neue Woche, nächstes Online-Interview: Erst vor ein paar Tagen sprach sie mit YouTubern, an diesem Montag ist sie im "Bild"-Studio für das halbstündige Format "Die richtigen Fragen" zu Gast. Wähler richten sich per Video an die Kanzlerin. Moderator ist Nikolaus Blome, der stellvertretende "Bild"-Chefredakteur. Der fragt Merkel auch nach Gerhard Schröder. Der SPD-Altkanzler steht vor einem umstrittenen Engagement im Vorstand des halbstaatlichen russischen Energiekonzerns Rosneft. Merkel kritisiert ihren Vorgänger dafür. "Ich finde es nicht in Ordnung, was Schröder macht", sagt sie. "Ich beabsichtige keinen Posten in der Wirtschaft, wenn ich keine Kanzlerin mehr bin." Merkel ist es wichtig, dies so klingen zu lassen, als müsse sie sich so bald nicht mit dieser Frage auseinandersetzen.
Kümmern - aber nicht um alles
Nächstes Thema: die Diesel- und Abgasaffäre. Merkel war gerade im Urlaub in Südtirol, als sich der Konflikt in der Hauptstadt entlud. Auch beim Krisengipfel war sie nicht anwesend. Ein Mann aus Schwerte fragt, was denn nun aus seinem Touran-Diesel werde. "Das Diesel-Thema treibt mit Recht viele Menschen um", sagt Merkel. Die Automobilindustrie habe Fehler gemacht, die zum Teil auch strafrechtlich relevant seien. "Das wird noch ein hartes Stück Arbeit." Vertrauen müsse Stück für Stück wiederhergestellt werden, floskelt sie. Das Video-Format hat einen angenehmen Vorteil für Merkel. Die Fragesteller können nicht eingreifen, wenn die Kanzlerin ausweicht. Blome fragt nach der politischen Verantwortung - was Merkel jedoch wenig beeindruckt. Sie sei "sauer und verärgert", sagt sie stoisch. Ist es gerecht, dass die verantwortlichen Manager der Automobilkonzerne zum Jahresende wieder Millionenboni einstreichen? Merkel antwortet: "Nein, das finde ich nicht gerecht." Da solle sensibler vorgegangen werden, aber mehr könne sie auch nicht sagen.
Der nächste Fragesteller ist Gunter Weißmann aus Leipzig. Was Merkel gegen die maroden Schulen tun werde? Merkel bezeichnet dies als "großes Thema" und delegiert im zweiten Satz gleich die Verantwortung: "Normalerweise sind die Länder dafür verantwortlich." Sie verweist auf ein 3,5-Milliarden-Programm des Bundes und darauf, dass die Schulen bei der Digitalisierung hinterherhinkten. Die Länder schafften es nicht alleine, deshalb helfe der Bund aus. Die Kanzlerin könnte das Thema jetzt zur Chefsache und zu einem Schwerpunkt ihrer vierten Amtszeit erklären, aber sie tut es nicht. Es klingt so, als hätte sie mit den heruntergekommenen Schulen nichts zu tun. Blome fragt, was ihr wichtiger sei: ein marodes Schuldach oder mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über die Situation in der Ostukraine zu sprechen. Auf dieses Spielchen mag Merkel sich jedoch nicht einlassen. "Die Menschen erwarten von einer Bundeskanzlerin, dass ich mich, da, wo Probleme auftreten, kümmere." Mit einer entscheidenden Einschränkung: zumindest um die, die in ihre Zuständigkeit fallen.
Botschaft für Skeptiker
Brigitte Berger tritt im nächsten Video auf. Die Saarländerin hat eine Freundin, bei der zuletzt zweimal eingebrochen wurde. Was macht Merkel gegen Wohnungseinbrüche und für die Innere Sicherheit? Die Kanzlerin verweist auf die von der Regierung verschärften Strafen für Einbrecher und zeigt Verständnis. Einbrüche seien eine traumatische Erfahrung, da könne man sich "nicht hinsetzen und nichts tun". Wer kümmert sich um die Ausländer, fragt Silvia Schaarschmidt aus Leipzig und klingt ziemlich skeptisch. Merkel lässt es erst einmal ein bisschen menscheln. Lacht und bestellt "einen schönen Gruß" nach Leipzig. "Weil ich dort studiert habe und die Stadt gut kenne." Danach verweist sie auf die Sprachkurse und Förderklassen, die angebotenen Praktika für Flüchtlinge und das breite Engagement der Ehrenamtlichen. Noch etwas ist ihr wichtig: Die vielen Programme richteten sich natürlich auch an Deutsche, die ohne Job seien. Auch die Mittel für den sozialen Wohnungsbau seien erhöht worden.
Niemand kommt zu kurz, weil die vielen Menschen aufgenommen wurden - diese Botschaft ist Merkel fünf Wochen vor der Bundestagswahl wichtig. Sie richtet sich wohl vor allem an Kritiker ihrer Flüchtlingspolitik. Zu diesen zählt eigentlich auch Horst Seehofer. Der machte am Wochenende jedoch einen bedeutenden Schritt auf Merkel zu. Der CSU-Chef signalisierte in einem Interview plötzlich, dass ihm die Obergrenze, die er seit Langem so vehement fordert, vielleicht doch gar nicht mehr so wichtig ist. Seehofer mochte seine Forderung nicht wiederholen. "Die Situation hat sich verändert, der Kurs in Berlin hat sich verändert", sagte er. "Wir haben jetzt deutlich weniger Zuwanderung als zu dem Zeitpunkt, wo ich dieses Zitat gebraucht habe." Später dementierte die CSU ein Abrücken von der Obergrenze.
Das Zusammenspiel der Parteichefs von CDU und CSU ist von außen manchmal irritierend, strategisch aber nicht von Nachteil. Merkel erreicht mit ihren liberalen Positionen auch Wähler von SPD und Grünen. Der Konservative Seehofer bedient auch jene, die die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin kritisch sehen und sogar mit der AfD liebäugeln. Die beiden decken damit ein breites Spektrum mit teilweise widersprüchlichen Haltungen ab. Viele Wähler schreckt das ganz offensichtlich nicht ab. In Umfragen liegt die Union bei 40 Prozent, die SPD weit abgeschlagen dahinter.
Quelle: n-tv.de
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