Die Debatte über einen möglichen Stopp der Beitrittsverhandlungen war zuvor durch eine überraschende Kehrtwende der Bundesregierung neu entfacht worden. Kanzlerin Angela Merkel hatte am Sonntag im Wahlkampf-Duell mit ihrem Herausforderer Martin Schulz angekündigt, beim nächsten EU-Gipfeltreffen darüber beraten zu wollen. Schulz hatte sich zuvor klar für einen Abbruch der Gespräche ausgesprochen. Ein solcher Schritt setzt allerdings eine einstimmige Entscheidung aller EU-Mitgliedstaaten voraus.
Der irische Außenminister Simon Coveney sagte, es sei "wichtig für die EU, nah an der Türkei zu bleiben und den Dialog fortzusetzen." Aus seiner Sicht solle dem Land jetzt nicht die Beitrittsperspektive genommen werden. Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto verwies auf das Abkommen mit der Türkei zur Eindämmung des Flüchtlingszuzugs nach Europa und auf die ökonomische Stärke. "Die Türkei ist ein Land mit einer schnell wachsenden Wirtschaft", sagte er. "Es ist für uns von zentralem Interesse, dass wir mit der Türkei irgendeine Art von strategischer Partnerschaft eingehen."
Gespräche liegen schon auf Eis
Eine Absage an einen Abbruch kam auch aus Litauen: "Nein, nein, nein", sagte Minister Linas Linkevicius. "Wir sollten den Prozess fortsetzen - es ist nicht einfach, aber wir müssen zu Vereinbarungen stehen." Belgiens Minister Didier Reynders sah derzeit keinen Handlungsbedarf. "De facto" seien die Verhandlungen schon "gestoppt" und "eingefroren". "Es kommt nicht in Frage, irgendetwas anderes ins Auge zu fassen." Bundesaußenminister Sigmar Gabriel nahm am zweiten Tag des EU-Treffens in Tallinn nicht mehr teil.
Die Beitrittsgespräche mit Ankara laufen seit 2005 und waren immer wieder von langen Phasen des Stillstands geprägt. Zuletzt hatte die Europäische Union 2015 und 2016 im Zuge der Zusammenarbeit mit Ankara in der Flüchtlingskrise die Verhandlungen auf zwei neue Kapitel ausgedehnt. Nach den Massenverhaftungen in der Türkei beschlossen die EU-Staaten jedoch im vergangenen Dezember, die Gespräche bis auf weiteres nicht mehr auszuweiten.
Quelle: n-tv.de
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