Das schwierige Verhältnis zu Ankara hänge, so das Blatt, mit dem Flüchtlingsdeal zusammen; die EU-Länder hätten unterschiedliche Standpunkte zum Grenzschutz und der Verteilung von Migranten; zudem habe die Krise eine ganze Reihe völkerrechtlicher Abkommen in Europa in Frage gestellt.
Die Beziehungen zu Russland seien als Wahlkampfthema hingegen unberechtigterweise vernachlässigt worden, sagte Mirko Hempel, Leiter des Moskauer Büros der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, der russischen Zeitung.
„Wenn über Russland geredet wurde, dann bei der „Wahlbeeinflussung aus dem Ausland – da kommt Russland als Thema sofort auf. Dabei müssen wir überlegen, wie wir die strategischen Beziehungen zum Ostnachbarn in den kommenden Jahren gestalten wollen. Es waren ja die berühmten Sozialdemokraten Willy Brandt und Egon Bahr, die die Grundlagen für die neue deutsche Ostpolitik gelegt haben“, so der Experte.
Doch: Eine Änderung im Verhältnis zu Russland sei auch nach dieser Wahl nicht in Sicht, sagte Julius von Freytag-Loringhoven von der Naumann-Stiftung gegenüber dem russischen Blatt. Möglich wären Veränderungen laut dem Experten nur, wenn ein Politiker der Grünen, der Linken oder der AfD das Amt des Außenministers übernommen hätte – nur diese Parteien unterscheiden sich in ihrer Außenpolitik wesentlich vom Mainstream.
In der Jamaika-Koalition haben die Grünen zwar die Chance, das Außenressort zu übernehmen. Doch bliebe auch dann Merkel und nicht der neue Außenminister in der Außenpolitik führend, betont der Analyst: „In Schlüsselfragen wird Merkel persönlich die Entscheidungen treffen“, ist der Experte überzeugt. Dies sei eben das Phänomen einer starken Kanzlerin, die länger als nur eine Amtszeit die Regierung führe und durchaus verstehe, wie man außenpolitisch agiere.
Das Phänomen sei auch nicht neu: Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Kohl hätten diese Rolle auch einst auf sich genommen. Ob nun die Flüchtlingskrise oder die Minsker Abkommen – Kanzlerin Merkel sei bei allen für Deutschland wichtigen internationalen Krisen federführend gewesen. Auch wenn bei den Minsker Abkommen unklar sei, was damit geschehe: „Es gibt kein Ergebnis“, so Julius von Freytag-Loringhoven laut der Zeitung.
Und die Russland-Versteher?
Offen für eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland treten im Bundestag nur zwei Parteien auf: Die Linke und die rechtspopulistische AfD, wie die Zeitung schreibt. Allein sind sie programmatisch derart voneinander entfernt, dass eine gemeinsame Position in dieser Frage höchst unwahrscheinlich ist.
Eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei sei aus ideologischen Gründen in der Tat unmöglich, betont der AfD-Politiker Albert Breininger laut dem Blatt. Auf vernünftige Vorschläge könne die Partei aber durchaus eingehen, sagt er. Als Pro-Putin-Partei sei die AfD aber sicherlich nicht zu bezeichnen: „Putin ist Russlands Präsident und löst dessen Probleme. Und wir lösen deutsche Probleme“ – die Sanktionen beispielsweise: Diese würden der deutschen Wirtschaft schaden, weshalb die AfD sie aufheben wolle.
Diese „Freundschaft des Kremls mit der AfD“ sei indes keineswegs förderlich bei der Vermittlung eines Konzepts zur Verbesserung der Beziehungen zu Russland, bemerkt Kerstin Kaiser von der linksgerichteten Rosa-Luxemburg-Stiftung. Der Kreml habe mit Le Pen und der AfD zusammengearbeitet, als es sie im Parlament noch gar nicht gegeben habe. Dies sei ein Störfaktor, so die Expertin.
Die Wähler der Linkspartei würden sagen: „Eure Auffassung zur Nato teilen wir gänzlich, aber Moskau ist mit euren Gegnern befreundet, und das ist ein Argument dafür, dass man mit Moskau nicht zusammenarbeiten sollte.“ Überhaupt würde der Kreml nach der Krim und der Ukraine Werte vermitteln, die eher den Konservativen nahelägen als den Linken.
Der Medienwissenschaftler Dr. Johannes Gerstner, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Leipzig, geht beim Verhältnis zu Russland in die Tiefe: Wie die AfD so auch die Linke seien ja nicht ohne Grund gut auf Moskau zu sprechen. Die Linken seien historisch mit Russland verbunden – viele ihrer Mitglieder hätten dort studiert –, die AfD wolle damit die Stimmen der Russlanddeutschen einfangen, einer der drei größten Minderheit in der Bundesrepublik.
„Die beiden Parteien werden hart kämpfen um einen Platz in der Sonne in der Opposition. Um sich auf eine gemeinsame Position in irgendeiner Frage zu einigen, werden sie enorme Zugeständnisse machen müssen. Des Russland-Themas wegen werden sie sich darauf nicht einlassen“, betont er laut der Zeitung.
Auch aus einem anderen Grund seien von den beiden Parteien keine Änderungen zu erwarten: Beide hätten wenig bis keine Erfahrungen in der Außenpolitik, erklärt der Wissenschaftler. „Die Linken sind seit ihrer Gründung in der Opposition, die AfD ist zum ersten Mal in den Bundestag eingezogen.“ Die beiden anderen kleinen Parteien hätten hingegen in den letzten 15 Jahren je einen Außenminister gestellt: Guido Westerwelle von der FDP und Joschka Fischer von den Grünen.
Dass in der deutschen Außenpolitik keine Verschiebungen zu erwarten sind, stellte wenige Tage vor dem Wahlsonntag auch der „Tagesspiegel“ fest“: Merkels Dominanz in der deutschen Außenpolitik stehe überhaupt nicht zur Disposition, schrieb die deutsche Zeitung laut dem russischen Blatt.
Dies aus drei Gründen, so der „Tagesspiegel“: Die Kanzlerin sei es, die die Bundesrepublik international verkörpere. Auch habe ihre Kontinuität und Verlässlichkeit – in Deutschland vielerorts als Langweile verkannt – gegenüber einem Donald Trump in den USA schon ihren Charme, wie auch gegenüber einer Marine Le Pen in Frankreich, dem Brexit in England, den Rechtskonservativen in Polen und den Raketentests in Nordkorea.
Und drittens würden die Schlüsselfiguren im Ausland keine Überraschungen von Frau Merkel erwarten: „Sie kennen mich“ – ihr altes Wahlmotto aus dem Jahr 2013 stehe sinnbildlich für Merkels Devise in der Außenpolitik.
„Selbst für Wladimir Putin wäre die Aussicht auf ein Ende der Merkel-Kanzlerschaft zumindest zwiespältig. Es heißt zwar, dass die SPD, die Linke und auch die CSU die Sanktionen gern lockern würden, aber die Erfahrung mit Trump hat gezeigt, wie leicht solche Spekulationen sich ins Gegenteil verkehren können“. resümiert der „Tagesspiegel“, den die russische Zeitung zitiert.
Quelle:sputnik.de
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