Im Windschatten einer Legende

  03 Oktober 2017    Gelesen: 711
Im Windschatten einer Legende
Das war ein Einstand nach Maß: Noch bevor Mercedes den 300 SL Roadster in den Handel bringt, fährt der amerikanische Rennfahrer Paul O’Shea damit aufs Treppchen. 60 Jahre nach seiner Siegserie werden mit einem originalgetreuen Nachbau wieder Erinnerungen wach.
Es ist eines der wenigen Rätsel in der ansonsten minutiös dokumentierten Geschichte des Mercedes 300 SL: Seit Jahrzehnten sucht ein Heer von Privatdetektiven die Spur zweier Roadster, die sich vor ziemlich genau 60 Jahren irgendwo an einer Hafenmauer in Kalifornien verliert. Zwar ist bei einer Produktion von nicht einmal 4000 Autos in weniger als zehn Jahren und Auktionspreisen jenseits der Millionen-Marke mittlerweile jeder 300er ein besonderes Auto, doch die beiden zur Fahndung ausgeschriebenen Exemplare sind so etwas wie die Fehlfarben einer raren Briefmarke. Denn die Suche gilt den beiden Vorserienmodellen, mit denen der amerikanische Rennfahrer Paul O’Shea im Jahr der Roadster-Premiere 1957 die US-Sportwagen-Meisterschaft gewonnen hat.

Symbolträchtiger Sieg des 300 SL

Dieser Sieg ist gleich in doppelter Hinsicht von symbolischer Bedeutung. Weil der 300 SL zwar aus Deutschland kam, im Grunde aber ein durch und durch amerikanisches Auto war. Nicht umsonst hat der US-Importeur Max Hoffmann die Schwaben so lange in die Mangel genommen, bis sie vom erfolgreichsten Rennwagen jener Zeit auch eine Straßenversion bauten. Und nachdem der Flügeltürer schon im dritten Jahr flügellahm wurde und der Absatz stagnierte, war es erneut Hoffmann, der das Geschäft mit einem Roadster noch einmal ankurbeln wollte. Zudem wurde das 1957 vorgestellte Open-Air-Modell als komfortablere und alltagstauglichere Version des Coupés gehandelt. Wobei die Siege von O’Shea bewies, dass die sportlichen Gene dabei nicht auf der Strecke geblieben sind.

"Noch vor der offiziellen Markteinführung hat Shea zwei Autos aus der Vorserie bekommen, die für den Renneinsatz umgerüstet wurden", sagt Nate Landers aus dem amerikanischen Mercedes Classic Center in Irvine. "Und zwar mit Erfolg. Nicht umsonst hat O’Shea eine grandiose Saison hingelegt und am Ende den Meistertitel eingefahren." Bis dahin ist die Geschichte der beiden Autos also bestens dokumentiert. Doch als sie nach dem letzten Rennen wieder in O’Sheas Werkstatt oder gar zurück nach Deutschland verschifft werden sollten, verliert sich ihre Spur. Und weiter als bis zur nämlichen Hafenmauer lässt sie sich bis heute nicht verfolgen.

Fünf Jahre später

Das hat auch Bruce Iannelli mitbekommen. Der millionenschwere Gebrauchtwagen-Broker von der Ostküste gehört zu den besten Kunden des Classic Centers in Irvine und hat der Suche jetzt auf seine Weise ein Ende bereitet. Denn statt weiter vergilbte Akten zu wälzen oder verstaubte Scheunen zu durchstöbern, hat er in Irvine kurzerhand einen Nachbau der O’Shea-Roadster in Auftrag gegeben. Und jetzt, fünf Jahre und 1,5 Millionen Dollar später, könnten die Detektive ihre Suche eigentlich einstellen. Denn wenn Iannelli mit dem in einem ungewöhnlichen aber der originalen Farbkarte entnommenen Grün lackierten Roadster rund um Pebble Beach kurvt oder zur Colorado Grand durch die Rocky Mountains jagt, dann ist es fast ein bisschen so, als sei Paul O’Shea noch einmal unterwegs. Oder zumindest eines seiner Autos.

Zwar wird der Zweisitzer mit der Seriennummer 44 auch mit der besten Restaurierung nicht zum originalen Rennwagen und will es auch gar nicht sein. Und natürlich kann man so einen Umbau auch als unerlaubten Eingriff in den Lauf der Geschichte betrachten. Doch erstens hat Iannelli dafür keinen concoursfeinen SL zurück gerüstet, sondern als Basis einen völlig heruntergekommenen Scheunenfund benutzt, der 30 Jahre lang in Virginia vergessen wurde und von dem ohnehin nur noch ein paar rostige Reste erhalten waren. "Die Löcher im Wagenboden waren so groß, dass man die Füße durchstecken konnte und der Schaltknüppel ist durchgefallen, kaum dass man ihn zu bewegen versucht hat", erinnert sich Iannelli. Und zweitens wurde die Rekonstruktion ja von Mercedes selbst vorgenommen - im Prinzip also klassisches Werkstuning, genau wie vor 60 Jahren. Nur dass es damals eben die Rennabteilung war, die den Wagen flottgemacht hat, nicht die Museumsmannschaft.

Kaum Aufzeichnungen über das Original

Die Spezialisten am Stadtrand von Los Angeles haben sich dabei reichlich Mühe gegeben und vor allem viel Zeit gelassen. Allein zwei Jahre haben sie recherchiert, weil es kaum Aufzeichnungen über das Original gegeben hat, haben sie alte Fotos und Rennberichte ausgewertete und sind so zum Beispiel draufgekommen, dass es für diesen SL nie Türschlösser gegeben hat. Und wahrscheinlich ist er der einzige, bei dem sich die Tankklappe in anderer Richtung öffnet – weil dann schneller mehr Rennsprit in den Spritbehälter zu bekommen war, erzählt Landers und demonstriert stolz, dass die Mannschaft in Irvine das natürlich auch bei Iannellis 300 SL so gemacht hat. Selbst die kleine Plakette, auf der die Mechaniker beim Rennwagen ein paar Motoreinstellungen protokolliert hatten, wurde liebevoll nachgebaut. Vom flachen Windabweiser vor dem Fahrer und dem hohen Überrollbügel hinter ihm ganz zu schweigen.

Damit sieht der Roadster schon im Stand so schnell aus, dass sich Iannelli nur schwer zurückhalten kann. So gerne der Sammler das Herz seines neuen Helden schonen möchte, so laut ist der Lockruf der Leistung und so wunderbar klingen die kurzen Auspuffstumpen an der Seite, wenn aus ihnen mal wieder ein paar Fehlzündungen schießen. Deshalb ist es mit der Zurückhaltung auch schnell vorbei, als die Straße etwas freier wird und so langsam eine wohlige Wärme aus dem langen Bug aufsteigt.

Ein Quäntchen Angst bleibt

Höher und immer höher dreht Iannelli den 3,0 Liter großen Sechszylinder und freut sich, dass wenn schon die Leistung ungefähr bei den 240 PS der alten Sportversion geblieben ist, wenigstens das Gewicht gesenkt wurde. Rund drei Zentner haben die Schwaben mit der Rennausstattung gespart und kommen so zumindest in die Nähe des Originals, das mit seiner Alu-Karosserie natürlich nochmal eine Nummer leichter gewesen ist. Schneller und immer schneller schneidet Iannelli durch die Kurven. Und man weiß nicht, ob es der Wind ist oder allein die Freude am Fahren, die seine Mundwinkel bis fast zu den Ohren zieht.

Doch es ist nicht nur der Reiz des Rasens, der den Sammler antreibt, sondern auch das Wissen um die Vergänglichkeit dieses Vergnügens. Denn selbst wenn der Roadster nach der Restaurierung wahrscheinlich sogar besser ist als bei der Erstauslieferung und deshalb ewig so weiter rasen könnte, schwingt bei aller Begeisterung auch eine gewisse Sorge mit: Dass vielleicht doch noch irgendjemand das Original findet und Iannellis Nachbau dann keine Reminiszenz mehr ist, sondern nur noch eine billige Kopie. Doch so richtig tief sitzt diese Furcht natürlich nicht. Erstens, weil 60 Jahre eine verdammt lange Zeit sind und die Spur mittlerweile eiskalt sein dürfte. Und zweitens, weil ihm den Fahrspaß mit diesem Sportwagen ohnehin kein Detektiv der Welt nehmen kann.

Quelle: n-tv.de

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