Die Schweden haben dafür eine eigene Firma gegründet. Polestar war bislang die Tuning-Tochter von Volvo. Künftig soll diese aber über das reine Frisieren von Fahrzeugen hinauswachsen: Seit 1996 Kooperationspartner, 2015 in den Konzern übernommen und mittlerweile von der chinesischen Muttergesellschaft Geely mit umgerechnet über 600 Millionen Euro Startkapital ausgestattet, soll Polestar die neue Elektro-Performance-Marke von Volvo werden. Kurz gesagt: Die Antwort auf Tesla.
Verantwortlich für das Projekt ist Thomas Ingenlath. Der Deutsche ist Designchef von Volvo und wurde zugleich mit der Führung der neuen Marke betraut: Künftig muss er also in zwei unterschiedlichen Welten denken. Während Volvo seine etablierten Segmente weiter bedient und dort zum Beispiel mit einer voll elektrischen Variante des neuen XC40 den Umbruch der Kernmarke vorantreibt, will Ingenlath mit Polestar auf das obere Ende des Marktes zielen. "Dahin, wo die anspruchsvollsten und fortschrittlichsten Fahrer der Welt zu Hause sind", sagt der Designer.
Volvos 600 PS-Hybrid
Was deren Ansprüche sind, oder zumindest Volvos Annahme davon, zeigt ein 600 PS starkes Coupé, das Ingenlath jetzt in Shanghai erstmals der Weltöffentlichkeit präsentierte. Mitte 2019 soll es als Polestar 1 den Reigen der elektrifizierten Oberklassefahrzeuge eröffnen. In spätestens vier Jahren will Ingenlath dann sogar schon drei Modelle am Start haben. Volvo und Geely profitieren voneinander: "Einerseits können wir mit neuer Technik in kleinerer Auflage experimentieren", sagt Ingenlath. "Bei Design und Entwicklung können wir auf die Prozesse eines etablierten Automobilunternehmens zurückgreifen."
So eng Polestar mit Volvo verzahnt ist, will sich Ingenlath allerdings frei machen von der etablierten Formensprache der Schweden. "Wir können etwas aggressiver, egoistischer und kälter sein."
Vor dieser Aussage überrascht es, dass der in Shanghai gezeigte 2+2-Sitzer stark an eine Designstudie erinnert, mit der die Schweden im Jahr 2013 auf ihre neue 90er-Baureihe eingestimmt haben. Und nur, weil es jetzt innen dunkles Karbon statt hellem Leder gibt und sich alles ein bisschen mehr dem Fahrer zuneigt, weil der Radstand gegenüber dem S90 um 32 und der hintere Überhang um 20 Zentimeter gekürzt werden, die Karosserie mit Blick auf das Gewicht nun aus Karbon statt aus Blech ist und über dem Kühler der Polarstern strahlt, wird aus einem Volvo-Coupé noch kein radikal neuer Polestar.
Der Teufel steckt in den Details
Überhaupt muss man auch bei dieser Premiere, wie so oft, wenn Volvo in letzter Zeit große Ankündigungen gemacht hat, auch das Kleingedruckte lesen und auf die Zwischentöne lauschen. Denn so, wie der lautstarke Abschied vom Diesel nichts weiter war als die Botschaft, keine weitere Generation an Selbstzündern für die nächste Dekade mehr zu entwickeln, und die Ankündigung, künftig alle Autos zu elektrifizieren, auch den in der Oberklasse mittlerweile verbreiteten Riemenstartergenerator für mehr oder minder konventionelle Verbrenner umfasste, so ist auch Polestar erst einmal keine reine Elektromarke.
Seine imposanten 600 PS und 1000 Nm Drehmoment jedenfalls schöpft der Polestar 1 eben nicht nur aus den beiden E-Maschinen, die über ein Planetengetriebe verbunden die Hinterachse antreiben. Die volle Leistung (und die maximale Reichweite) gibt es nur im Zusammenspiel mit einem Vierzylinder-Benziner, den Ingenlath aus dem Volvo-Regal entnimmt und unter der Haube montiert. Selbst wenn die Lithium-Ionen-Akkus Strom für immerhin 150 Kilometer liefern sollen und das Coupé damit zum Reichweiten-Meister unter den Plug-in-Hybriden machen, ist das nicht einmal halb so weit, wie es die Teslas heute und Modelle wie der Jaguar i-Pace, der Audi e-tron oder der Porsche Mission E bis zur Markteinführung des Polestar 1 im Sommer 2019 auch ohne Verbrenner schaffen werden.
Ingenlath rechtfertigt diesen Zwischenschritt mit der Langstreckentauglichkeit des Konzeptes. "Wir halten diesen Performance-Hybrid mit der großen elektrischen Reichweite für einen legitimen Zwischenschritt", sagt der Polestar-Chef: Für die meisten Kunden sollten 150 Kilometer reichen.
Bestellung per Internet
Trotzdem will er sich natürlich künftig besser auf Tesla einschießen, bittet dafür aber um Geduld. Nur ein halbes Jahr nach dem Polestar 1 kommt ein zweites Modell für die Mittelklasse, das rein elektrisch fahren wird und auf Teslas Model 3 zielt. Als drittes Polestar-Modell soll dann bis spätestens 2021 noch ein ebenso großes wie sportliches SUV folgen, das in Konkurrenz zu Fahrzeugen wie Model X oder dem Mercedes GLC steht.
Beim Vertrieb will Polestar tatsächlich ganz mit den gelernten Traditionen brechen: Nur zum Anschauen und Testfahren soll es ein paar ausgewählte Polestar Spaces geben. Konfiguriert und bestellt wird das Auto im Internet, als Zündschlüssel dient eine Smartphone-App und kaufen kann man die elektrischen Eiseiligen gar nicht. Denn Polestar will die erste Marke werden, die ihre Autos nur noch über ein Abo-Modell mit Flatrate auf die Straße bringt: "Das eliminiert jeden Stress und erlaubt den Kunden, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren", sagt Ingenlaths Compagnon Jonathan Goodman: "Das Fahrerlebnis." In Ansätzen kennt man das von der bürgerlichen Polestar-Schwester Lynk & Co. und von dem zum XC40 lancierten Programm Care by Volvo. Doch so konsequent hat das bislang noch keine Marke geplant.
In Wahrheit ist dieser neue Vertriebsansatz die größte Innovation, die Ingenlath zu bieten hat. Denn in Konkurrenz zu Tesla zu treten ist, zumindest unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit, nicht besonders erstrebenswert. Kritiker bezeichnen die Fahrzeuge aus Kalifornien nicht zu Unrecht als "alten Wein in neuen Schläuchen", da sie mit ihrem großen Reichweitenversprechen nur den Tank durch eine Batterie ersetzt haben.
Quelle : spiegel.de
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