Gentechnik und Ethik: Das Unantastbare ist antastbar geworden

  05 Dezember 2015    Gelesen: 716
Gentechnik und Ethik: Das Unantastbare ist antastbar geworden
Konsens beim Gen-Gipfel in Washington: Führende Forscher haben sich geeinigt, eine neue Methode zum Verändern des Erbguts vorerst nicht bei menschlichen Keimzellen anzuwenden. Dennoch wirft allein die Möglichkeit viele Fragen auf.
"Dies ist ein wichtiger Moment in der menschlichen Geschichte", verkündete Ralph Cicerone, der Präsident der U.S. Academy of Sciences. Das ist wahrlich ein großes Wort zu einem Anlass, der erstaunlich unscheinbar anmutet: Ein Komitee von zwölf hochkarätigen Wissenschaftlern hat sich auf die Empfehlung geeinigt, die Forscher sollten vorerst unterlassen, was derzeit ohnehin niemand ernsthaft versucht: in die menschliche Keimbahn einzugreifen. Also etwa Eizellen und Spermien genetisch zu verändern, so dass die Veränderungen an die Nachkommen weitergegeben werden.


Nobelpreisträger David Baltimore verlas die Erklärung im Namen des Zwölfer-Gremiums zum Abschluss eines Keimbahn-Gipfels in Washington, zu dem Wissenschaftsakademien in den USA, China und Großbritannien eingeladen hatten. Das Ziel der Konferenz war es, sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob und - falls ja - wann der erste Eingriff ins Erbgut des Menschen gewagt werden könne.
Vor drei Jahren hatten zwei Forscherinnen im kalifornischen Berkeley und im schwedischen Umea die revolutionäre CRISPR-Cas9-Methode entwickelt. Einfach, schnell, billig und präzise wie nie zuvor lassen sich mit ihr Gene jedweder Art manipulieren. Das hat die Gemeinde der Gentechniker in Schaffensrausch versetzt. Zugleich aber fühlen sich viele beklommen: Denn nicht nur die Gene von Fruchtfliegen und Zebrafischen lassen sich mit dem neuen Verfahren verändern, sondern auch die des Menschen. Das Unantastbare ist antastbar geworden. Bereits im April hatten chinesische Forscher nach eigenen Angaben versucht, 86 Embryonen zu manipulieren.



Medizinisch besteht kein Bedarf
Der Eingriff in die Keimbahn, so erklärte Francis Collins, der Chef der amerikanischen National Institutes of Health, sei eine Grenze, die nicht überschritten werden dürfe. Seine Behörde werde deshalb keinerlei diesbezügliche Forschung an menschlichen Embryonen fördern. Zu so viel Enthaltsamkeit ist ein Großteil der internationalen Forschergemeinde nicht bereit. Drei Tage lang diskutierten in Washington nicht nur Genetiker und Molekularbiologen, sondern auch Ethiker, Philosophen, Juristen und Sozialwissenschaftler, ob Keimbahneingriffe nicht doch zulässig sein sollten.

Eines wurde dabei sehr schnell deutlich: Medizinisch besteht gar kein Bedarf. Denn um Erbkrankheiten wie Mukoviszidose, Sichelzellanämie oder Muskeldystrophie zu vermeiden, ist die sogenannte Präimplantationsdiagnostik (PID) die bessere Alternative. Statt den Gendefekt im Embryo zu korrigieren, wird dabei einfach ein Embryo zur Implantation ausgewählt, der diesen Defekt nicht im Erbgut trägt.

Fast verzweifelt mutete in Washington das Bemühen einiger Experten an, extrem seltene Ausnahmefälle herbeizuzitieren, in denen die PID versagt. Wenn zum Beispiel Vater und Mutter an derselben Erbkrankheit leiden, werden sie diese an sämtliche ihrer Nachkommen vererben. Per PID gesunde Embryonen auszuwählen, ist in diesem Sonderfall in der Tat nicht möglich.

Mehr Intelligenz ins Erbgut schleusen

George Daley vom Boston Childern`s Hospital führte einen anderen Fall ins Feld: Was, so fragte er, wenn Eltern ein erbkrankes Kind haben und sich nun ein zweites, gesundes wünschen, das zugleich als Knochenmarkspender für sein krankes Geschwister taugt? Dann könne die PID an Grenzen stoßen. "Wenn ich da Patienten mittels Keimbahneingriff helfen kann, habe ich eine moralische Pflicht, es zu tun", meint der Forscher.

Aber sind es solche extrem seltenen Fälle wirklich wert, ein Verfahren zu entwickeln, das später auch weitaus zweifelhafteren Zwecken dienen wird? Die meisten der in Washington versammelten Wissenschaftler waren sich einig: Schon bald wird sich das Interesse regen, Kindern auch Eigenschaften wie größere Intelligenz oder eine höhere Lebenserwartung ins Erbgut zu schleusen. Zwar ist mehr als zweifelhaft, ob so etwas je möglich sein wird, doch der Glaube daran ist weit verbreitet. Wenn erst einmal ein Embryo mit erblicher Muskelschwäche durch einen gentechnischen Eingriff kuriert sei, meinte etwa der Harvard-Genetiker George Church, dann würden sich bald auch Eltern finden, die mit Hilfe desselben muskelstärkenden Gens einen kleinen Olympioniken heranzüchten wollen.

Auch wegen solcher Bedenken seien Eingriffe in die Keimbahn zum gegenwärtigen Zeitpunkt "unverantwortlich", heißt es in der in Washington verkündeten Erklärung. Ein Moratorium jedoch geht den Forschern zu weit. Stattdessen zeichnen sie den Weg vor, auf dem irgendwann Keimbahntherapien eben doch zulässig sein könnten.

Falls irgendwann die Sicherheitsbedenken ausgeräumt sind, und falls sich außerdem für solche Eingriffe breite gesellschaftliche Akzeptanz findet, dann gelte es die Sache neu zu überdenken. Der Gipfel in Washington ließ wenig Zweifel: Der Eingriff in die Keimbahn wird kommen. Vorerst hat sich die Wissenschaft eine Denkpause verordnet, doch diese dauert nur so lange, bis die genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

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