Botschafter Ramin Hasanov hob die zentrale Bedeutung der Energiekooperation für die deutsch-aserbaidschanischen Beziehungen hervor. Ab voraussichtlich 2020, so der Botschafter, werden die Pipeline-Projekte im Rahmen des Südlichen Gaskorridors (Südkaukasus-Pipeline, TANAP, TAP) einen weiteren Beitrag zur Diversifizierung der europäischen Energieversorgung und deren Sicherheit beitragen. Zugleich entstehen dadurch zusätzliche Perspektiven der regionalen Entwicklung. Ein weiterer Motor der bilateralen Beziehungen findet sich in der wissenschaftlichen Zusammenarbeit: Derzeit befinden sich ca. 400 junge und hochqualifizierte Aserbaidschaner im Rahmen staatlicher Stipendienprogramme an Deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
Das Auswärtige Amt wurde an diesem Abend von Botschafter Andreas Peschke vertreten, der als Beauftragter für Osteuropa, Kaukasus und Zentralasien fungiert. In seinem Grußwort hob er die besondere Rolle Aserbaidschans für die interreligiöse Toleranz hervor, die insbesondere im regionalen Kontext nicht geringzuschätzen ist. So leben Muslime, Juden und Christen weitgehend friedlich zusammen, was wiederum zur kontinuierlichen Entwicklung Aserbaidschans als stabilem und verlässlichem Wirtschaftspartner im Südkaukasus beiträgt. So betrug das bilaterale Handelsvolumen im Jahr 2015 ca. zwei Milliarden € - in Anbetracht der Größe des Landes eine beeindruckende Bilanz. Im Bereich des Erdölimports der Bundesrepublik ist Aserbaidschan im Jahr 2016 auf Platz fünf für Deutschland gerückt. Mit der Gründung der Deutsch-Aserbaidschanischen Außenhandelskammer wurde 2012 ein wichtiger Schritt zur Institutionalisierung der Wirtschaftsbeziehungen initiiert. Die am 30. Oktober durch den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew und den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan eröffnete Eisenbahnstrecke Baku-Tiflis-Kars bildet zudem einen wichtigen Transportweg zwischen Europa und Asien. Mit der Gründung eines Goethe-Zentrums aus Mitteln des Deutschen Bundestages am 6. Dezember in Baku wird zudem ein wichtiger Impuls zur Intensivierung der Kulturbeziehungen geleistet.
Auch auf multilateraler Ebene engagiert sich das rohstoffreiche Land am Kaspischen Meer in vielfältigem Umfang. So ist Aserbaidschan Mitglied der OSZE und des Europarates, als auch Stakeholder im EU-Projekt der Östlichen Partnerschaften. Die Teilnahme von Präsident Alijew am jüngsten Gipfel dieser Initiative am 24. November in Brüssel unterstreicht den hohen Stellenwert der Beziehungen zu Europa in der aserbaidschanischen Außenpolitik. Auch die Kooperation mit der NATO ist Bestandteil dieser Strategie. Farhad Mammadov, Direktor des SAM in Baku, bekräftigte ebenfalls den Willen, die Effizienz der bilateralen Beziehungen weiter zu erhöhen. Die Eigenständigkeit des Landes unterstrich er dabei als zentrale Grundlage der außenpolitischen Orientierung. Zugleich kritisierte er die Doppelstandards der internationalen Gemeinschaft in Bezug auf Territorialkonflikte – so sei Russland mit Sanktionen aufgrund der Krim-Krise konfrontiert, Armenien jedoch bleibe trotz der Okkupation von ca. 20% des aserbaidschanischen Territoriums sanktionsfrei.
In einem historischen Abriss stellte Diplom-Politologe und Diplomatie-Experte Enrico Seewald vom Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin die Entwicklung der diplomatischen Beziehungen dar. Beginnend von der ersten diplomatischen Vertretung Preußens von 1890 und dem Engagement von Siemens im Kaukasus, entwickelte sich Baku rasch zu einem zentralen Knotenpunkt des Handels zwischen Europa, Russland und Persien. Zur Zeit des Stalinismus liege ein profunder Forschungsstand von Jörg Baberowski vor, für die Zeit der deutsch-deutschen Teilung von 1949-1990 seien die Beziehungen Aserbaidschans zu den beiden deutschen Staaten von einer Quellenarmut gekennzeichnet, so Seewald in seinen Ausführungen.
Im ersten Panel, das vom Energie- und Zentralasienexperten Matthias Dornfeldt moderiert wurde, betonte Seewald die anhaltende Vernachlässigung des Themenbereichs Diplomatie im Lehrangebot der deutschen Universitäten. Eva-Maria Auch, Professorin für Geschichte Aserbaidschans an der Humboldt-Universität zu Berlin, betonte die Vielseitigkeit von Aserbaidschan als Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen sowohl im internationalen, als auch im regionalen, kaukasischen Kontext. Gerade auch wirtschaftliche Archive bieten einen reichhaltigen Bestand zur Erforschung der bilateralen Beziehungen, wie sie am Beispiel des deutschen Unternehmertums im Kaukasus verdeutlichte. Für die heutige Situation ergeben sich daraus Perspektiven zur touristischen Instandsetzung des deutschen Erbes, so beispielsweise in Helenendorf. Daraus könnten Impulse für die wirtschaftliche und kommunale Entwicklung folgen. Professorin Auch schlug den Podiumsteilnehmern vor, auf die Etablierung eines Freundeskreises zur Wahrung des deutschen Erbes im Kaukasus hinzuwirken. Im Sommersemester wird vom Lehrstuhl für Geschichte Aserbaidschans zudem eine Ringvorlesung zu den deutsch-aserbaidschanischen Wirtschaftsbeziehungen angeboten, in deren Fokus Aserbaidschan als Laboratorium der Moderne und Beispiel für erfolgreiche internationale Kooperationsprozesse analysiert werden soll. Der frühere Landtagsabgeordnete in Rheinland-Pfalz Dr. Dr. Rahim Schmidt betonte auf dem Podium die fundamentale Bedeutung Aserbaidschans als einziges islamisches Land, in dem Antisemitismus kein zentrales Problem sei, was er durch die gesellschaftliche Akzeptanz der Bergjuden aus eigenem Erleben unterstrich. Die beiden Synagogen dieser jüdischen Gemeinde hätten – ganz im Gegensatz zu denjenigen in Deutschland – keinen Polizeischutz in Aserbaidschan nötig. Auch Moderator Dornfeldt konnte auf der Grundlage eigener Forschungen zum Leben der Bergjuden diese Einschätzung bestätigen. Vugar Gafarov, der als Stipendiat in Deutschland studierte und aktuell als Dritter Sekretär in der Botschaft tätig ist, hob die Bedeutung der bilateralen Bildungskooperation in Form von Austausch- und Stipendienprogrammen hervor. Eine besondere Rolle als wichtiger Baustein der Kontaktförderung zwischen jungen Akademikern nimmt hierbei das Programm des DAAD an der Katholischen Hochschule Eichstätt-Ingolstadt ein. Auch die Humboldt-Universität hatte im Jahr 2017 erstmalig eine Erasmus-Kooperation mit Aserbaidschan etabliert.
Im Lichte der Beziehungen Aserbaidschans zur Europäischen Union betonte Ilgar Gurbanov, SAM-Experte für EU-Angelegenheiten die Rolle der Energiezusammenarbeit mit dem Kaspischen Raum. Besondere Potenziale für die Wirtschaftsentwicklung im Südkaukasus und Zentralasien sind in naher Zukunft für die Bereiche Infrastrukturausbau und Logistik zu erwarten. Die konkreten Anknüpfungspunkte für Zusammenarbeit in diesem Wirtschaftssektor erläuterte Mahir Humbatov, SAM-Logistikexperte, im Rahmen des von „Business & Diplomacy“-Herausgeber Frank Schüttig moderierten zweiten Panels. Professor Wilfried Fuhrmann, der an der Universität Potsdam makroökonomische Theorie und Politik lehrte, hob die Rolle Aserbaidschans als Energielieferant hervor – diese Ölimporte decken 3-6% des deutschen Energiebedarfs. Auch die strategische Bedeutung der aserbaidschanischen Pipelines für die Diversifizierung der europäischen Energieversorgung ist keineswegs geringzuschätzen. Auf Aspekte der völkerrechtlichen Argumentationen ging Professor Hans-Joachim Heintze ein, der Turkologe Dr. Michael Reinhard Heß ergänzte einige Aspekte zur kulturellen Besonderheit Aserbaidschans im Kontext der regionalen Vielfalt der Turkvölker.
Das Symposium stellt lediglich eine Momentaufnahme des in seiner historischen Kontinuität einzigartigen deutsch-aserbaidschanischen Beziehungsgeflechtes dar. Die Impulse aus den Gesprächen dieser Tagung bieten auch in den kommenden Monaten und Jahren zahlreiche Gestaltungsräume für die bilateralen Beziehungen. Als stärkste Volkswirtschaft innerhalb der EU wird Deutschland zudem der zentrale Ansprechpartner Aserbaidschans für weitere Initiativen im Rahmen der Östlichen Partnerschaft sein. Und je mehr aserbaidschanische Studenten sich für Berlin bzw. deutsche Studenten für Baku entscheiden, umso substanzieller wird sich auch in der nächsten Generation die Grundlage der bilateralen Beziehungen verstetigen: Begegnung, Austausch und Dialog.
Quelle: alumniportal-aserbaidschan
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