Milliarden für den ICE

  10 Dezember 2015    Gelesen: 821
Milliarden für den ICE
Die Bahn eröffnet an diesem Mittwoch die teuerste ICE-Schnellstrecke Deutschlands. Sie wird sich nie lohnen.
Es sind Wohlfühltage für Bahnfahrer: Der Bahn-Vorstand verspricht pünktlichere Züge, bessere Information an den Bahnsteigen und eine intensivere Betreuung im Zug. In wenigen Tagen soll der Aufsichtsrat über diese Empfehlungen einer Arbeitsgruppe abstimmen. Schon an diesem Mittwoch hatte der ICE seinen großen Auftritt. Die Bahn lud zur Einweihungsfahrt mit dem Verkehrsminister auf der neuen Schnellstrecke zwischen Erfurt und Leipzig/Halle. Es ist die erste Neueröffnung seit dem Jahr 2006.

Die Fahrzeiten von Frankfurt und dem Südwesten nach Sachsen-Anhalt, Sachsen und Berlin verkürzen sich durch den Neubau vom kommenden Sonntag an um bis zu 50 Minuten. Künftig geht es nach Berlin schneller über Erfurt als über Kassel und Braunschweig. Und wenn in zwei Jahren auch der zweite Teil der Hochgeschwindigkeitsstrecke von Erfurt Richtung Bamberg fertig ist, kommen auch die Bayern schneller nach Ostdeutschland und in die Hauptstadt. München-Berlin in vier Stunden - das ist das Ziel.

Nur sechs Züge in zwei Stunden
Die Zugfahrer wird es freuen, den Steuerzahler nicht. Denn die neue Schnellstrecke ist die unwirtschaftlichste ICE-Verbindung, die je in Deutschland gebaut wurde. Sie ist zum einen so teuer wie keine andere. Mindestens sechseinhalb Milliarden Euro werden am Ende für die knapp 230 Kilometer von Leipzig über Erfurt nach Nordbayern verbaut sein – natürlich mehr, als bei der Planung Anfang der neunziger Jahre erwartet wurde. Der Teil von Erfurt nach Bayern ist besonders teuer, denn hier durchquert die Strecke mit vielen Tunneln den Thüringer Wald.

Zum anderen wird die Verbindung äußerst wenig genutzt. Zwischen Erfurt und Leipzig oder Halle fahren innerhalb von zwei Stunden zunächst nur drei Züge je Richtung, später zumindest fünf. Zwischen Erfurt und Bayern ist es sogar nur ein Zug pro Stunde. Das ist schön ruhig für die Anwohner, aber schlecht für die Wirtschaftlichkeit. Güterzüge sind erst einmal fast gar keine vorgesehen. Das liegt daran, dass die Strecke nicht mit ortsfesten Signalen ausgestattet ist, sondern mit dem europäischen, mobilfunkbasierten Signalsystem ETCS. Die meisten Lokomotiven sind dafür noch nicht ausgerüstet. Zudem dürfen sich ein Güterzug und ein ICE in Tunnels nicht begegnen, weil sonst die Ladung herunterfallen könnte. Das macht Güterfahrten am Tag zumindest im Abschnitt durch den Thüringer Wald schwierig. Und nachts scheint der Bedarf nicht sehr groß zu sein.

Zumindest nicht so groß wie einst angenommen. Auch die ferneren Prognosen für das Jahr 2025 sind bescheiden. Dabei half in den neunziger Jahren erst der deutlich optimistischer als heute eingeschätzte Güterverkehr, die Kosten-Nutzen-Analyse schönzurechnen. Sonst hätte die Verbindung nicht gebaut werden dürfen.

Das wollten vor allem die Thüringer verhindern: Der damalige Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) drang darauf, dass Erfurt als Landeshauptstadt gut in das ICE-Netz integriert wird. „Die Strecke hat sich noch nie gerechnet. Sie war ein politisches Projekt“, sagt Verkehrswissenschaftler Gottfried Ilgmann. Bei Wirtschaftlichkeits-Berechnungen für neue Verbindungen werde immer „gnadenlos geschönt“.

Zweifel gab es von Anfang an, sogar im Verkehrsministerium. Als die rot-grüne Bundesregierung an die Macht kam, stoppte sie 1999 erst einmal aus Geldmangel den Bau, der drei Jahre zuvor begonnen hatte. Schließlich hätte die Strecke fast den gesamten Etat für den Aus- und Neubau von Bahnstrecken aufgefressen. Die Ministerpräsidenten in Thüringen und Bayern stellte ja die Union, da brauchte man keine politische Rücksicht nehmen.

Deutsche Einheit Nr. 8
Nun standen halbfertige Brücken in der Landschaft herum. Die Arbeiten ruhten jahrelang, wurden dann mit Minibeträgen weitergeführt, um wenigstens das Baurecht zu erhalten. Der Bundesrechnungshof kritisierte diese Praxis. Eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes stellte den verkehrlichen Sinn der Verbindung in Frage. Städte wie Weimar, Jena und Saalfeld protestierten, weil sie auf der bestehenden Strecke vom ICE bedient, aber künftig abgehängt werden. Erst seit dem Jahr 2007 wurde wieder mit ausreichender Finanzierung weitergebaut.

Jetzt geht es ans Eröffnen. Mehr als 25 Jahre nach der Wiedervereinigung geht das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8 teilweise in Betrieb - als eines der letzten dieser Vorhaben, die das Zusammenwachsen der beiden Teile Deutschlands fördern sollten. Die Weiterführung nach Bayern zwei Jahre später steht nicht mehr in Zweifel, weil die Strecke weitgehend fertig ist. Zwischen Bamberg und Nürnberg wird an der Beschleunigung und dem Ausbau der bestehenden Strecke noch viele Jahre weitergebaut. Von einer Fertigstellung frühestens 2025 ist die Rede. Und von noch einmal fast zwei Milliarden Euro Kosten.

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