EU-Wirtschaft: Osteuropäische Tiger drängen nach vorn

  26 Januar 2018    Gelesen: 828
EU-Wirtschaft: Osteuropäische Tiger drängen nach vorn

Beim Wirtschaftswachstum in der EU sind die Länder Mittel- und Osteuropas führend. Der Grund für die hohen Wachstumsraten sind vor allem Investitionen in Infrastruktur und Soziales, schreibt die Zeitschrift „Expert“. Doch mit dem Erfolg werde in Warschau, Budapest und Prag auch der Wunsch nach Macht größer.

Was Rechtsstaatlichkeit und Demokratie angeht, haben die mittel- und osteuropäischen Länder in Brüssel keinen guten Ruf, so „Expert“. Bei der wirtschaftlichen Entwicklung aber lassen Polen, Ungarn und Tschechien ihre westlichen Nachbarn hinter sich: Wer nach Osteuropa reist, sieht neue Straßen, Brücken, Häuser – überall hat das Ausland kräftig investiert, so das Blatt.

 

Von den zwölf EU-Ländern, deren Wirtschaft im vergangenen Jahr um mindestens drei Prozent gewachsen ist, befinden sich neun im Osten der Gemeinschaft, wie laut dem Blatt aus einer Statistik der EU-Kommission hervorgeht. Der Spitzenreiter war letztes Jahr Rumänien mit einem BIP-Wachstum von 6,4 Prozent.

 

Am deutlichsten macht sich der wirtschaftliche Aufschwung in der niedrigen Arbeitslosigkeit bemerkbar, schreibt „Expert“. Für manches Ost-EU-Land wird das sogar zum Problem.

 

In Ungarn etwa herrscht akuter Fachkräftemangel: Zu hoch ist laut dem Blatt die Nachfrage, zu viele qualifizierte Arbeitskräfte sind in den Westen abgewandert. Polen, die größte Volkswirtschaft der Region, kann das Problem bislang erfolgreich managen, vor allem durch den Zuzug ukrainischer Fachkräfte.

 

Die niedrige Arbeitslosigkeit stützt die Zuversicht der Bürger und stimuliert den Konsum auf dem Binnenmarkt. Auch mit den Staatsfinanzen ist laut dem Blatt alles im Lot: Brüssel schickt regelmäßig ordentliche Subventionen.

 

Aber: Diese sichtbaren Wirtschaftserfolge verbessern nicht nur die Kauflaune der osteuropäischen Bevölkerung – sie befeuern auch die Machtambitionen der Staats- und Regierungschef in den osteuropäischen Hauptstädten, schreibt die Zeitschrift. Die Osteuropäer streben nach mehr politischem Gewicht, nach einer größeren Rolle bei der Lösung entscheidender EU-Fragen in Brüssel.

 

Als die acht Länder Mittel- und Osteuropas 2004 der EU beigetreten seien, habe sich bestimmt niemand vorstellen können, welch wichtigen Beitrag zur Größe des vereinten Europas sie einmal leisten würden, sagte unlängst Ungarns Premierminister Viktor Orban laut dem Blatt.

 

Ohne diese Region könne von einer ernsthaften wirtschaftlichen Entwicklung des gesamten europäischen Kontinents überhaupt keine Rede sein. Dementsprechend müsse der Region auch eine angemessene Rolle bei der Diskussion der Zukunft dieses Kontinents zukommen, betonte der ungarische Regierungschef.

 

Natürlich könnte man entgegnen, so die Zeitschrift, dass das wirtschaftliche Gewicht dieser Länder in der gesamteuropäischen Wirtschaft trotz schnellen Wachstums zu gering sei. Warschau aber ist laut dem Blatt davon überzeugt, gerade wegen des Wirtschaftserfolges einen größeren Stellenwert innerhalb der EU erlangt zu haben. „Auf Polens Situation innerhalb der EU nehmen sicherlich auch die wirtschaftlichen Erfolge ihren Einfluss“, sagte der für die europäischen Angelegenheiten zuständige Minister Konrad Schimanski laut dem Blatt.

 

Berlin, Paris und Brüssel kritisieren Warschau und Budapest indes dafür, gegen gesamteuropäische Werte und Normen zu verstoßen. Doch den Umstand berücksichtigen, dass Wirtschaftserfolge den Rückhalt osteuropäischer Regierungen in der Bevölkerung stärken, müssen sie: Zu großer Druck auf die Staats- und Regierungschefs Polens, Ungarns und ihrer Nachbarländer könnte Gegeneffekte verursachen – einen Anstieg europakritischer Stimmungen nämlich, schreibt die Zeitschrift.

 

Wenn nicht Brüssel, dann PekingMitten in dieser Euphorie sind natürlich auch kritische Stimmen zu hören, wenn auch leise. Mittelfristig werde die Region dieses Wachstumstempo nicht halten können – von langfristigen Aussichten ganz zu schweigen, sagen Kritiker. Im Investitionsbereich zeichnen sich die Probleme schon ab, schreibt „Expert“.

 

Die Regierungen Polens, Ungarns und Rumäniens investieren vor allem in prestigeträchtige Großprojekte, die bei den Wählern gut ankommen, aber auf lange Sicht den Staatshaushalt sehr belasten können. Häufig genug greifen die osteuropäischen Regierungen auch zu offensichtlich populistischen Maßnahmen, schreibt die Zeitschrift.

 

Demnach hat Warschau unlängst das Renteneintrittsalter gesenkt und neue Zahlungen an Familien beschlossen. Budapest verteilt Geldgeschenke an die Rentner, erhöht das Kindergeld und vergibt Kredite für den Hausbau. Und Bukarest hat den Beamten gerade erst eine üppige Gehaltserhöhung gegönnt.

 

Die Infrastrukturprojekte im Osten der EU wirken sich indes auf das gesamteuropäische Finanzsystem aus, schreibt das Blatt. In Polen zum Beispiel wurden zwischen 2014 und 2017 mehr als die Hälfte aller öffentlichen Investitionen von Brüssel finanziert. Und in Rumänien liegt der Anteil der EU-Mittel an Investitionen sogar bei über 60 Prozent.

 

Dabei zahlen die osteuropäischen Länder in den EU-Haushalt weiterhin deutlich weniger ein als sie rausbekommen: Für jeden Cent, den ein Ungar an die EU abgibt, bekommt er drei wieder zurück, schreibt „Expert“.

 

In den osteuropäischen Hauptstädten will man die Bedeutung der EU-Mittel laut dem Blatt nicht überbewerten. Verzichten will man auf die Subventionen aber auch nicht. Doch was ist, wenn Brüssel nicht zahlen will? „Wenn die Europäische Union unsere Infrastruktur nicht finanzieren können  wird, bitten wir China um Hilfe“, sagte Orban kürzlich in aller Offenheit.

 

sputniknews.com


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