KZ-Überlebende im Bundestag

  01 Februar 2018    Gelesen: 976
KZ-Überlebende im Bundestag
Anita Lasker-Wallfisch hat Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt. Bei der Gedenkstunde zum Holocaust lobt sie im Bundestag die deutsche Erinnerungskultur, findet aber auch mahnende Worte. Eine Fraktion fühlt sich offenbar besonders angesprochen.  

Es ist eine besondere Ehre für das deutsche Parlament, wenn ein Gast eine Rede hält, der gleich zwei Vernichtungslager der Nazi-Diktatur überlebt hat und dennoch in der Lage war, sich mit diesem Land wieder zu versöhnen. Es besteht offenbar Einigkeit darüber, dass einem solchen Menschen Respekt gezollt wird, mit Applaus für das, was er sagt. Doch für eine Fraktion im Bundestag gibt es eine rote Linie.

Anita Lasker-Wallfisch hat bei der Gedenkstunde zum Holocaust im Bundestag von ihrem unbegreiflichen Martyrium in Auschwitz und Bergen-Belsen berichtet und auch daran erinnert, wie die Überlebenden der industriellen Vernichtung nach ihrer Befreiung durch die Allierten vor dem Nichts standen: Die Grenzen hatten sich verschoben, ein Zuhause gab es nicht mehr, "wir waren 'Displaced Persons'", erzählt Lasker-Wallfisch. "Für unsere Generation haben sich damals die Grenzen geschlossen, nicht geöffnet", sagt sie. Und bezeichnet anschließend die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung als "unglaublich generöse Geste". In so einer Situation möchten die 92 AfD-Abgeordneten der alten Dame keinen Respekt zollen. Sie sitzen da, schweigend, teils mit verschränkten Armen.

"Ich hatte mir geschworen, nie wieder deutschen Boden zu betreten", sagt Lasker-Wallfisch. Denn das, was sie in den Vernichtungslagern Auschwitz und Bergen-Belsen erlebt hat, übertrifft die Vorstellungskraft. Und doch steht sie wieder hier, auf deutschem Boden, im Plenum des Bundestages und erzählt ihre Geschichte.

"Je höher die Strafe, desto besser"


"Plötzlich war alles vorbei, das Idyll war verschwunden", erinnert sie sich an ihre Kindheit in Breslau". Der Vater Rechtsanwalt, die Mutter Musikerin - die Familie Lasker lebte ein glückliches Leben in Oberschlesien. "Plötzlich durften wir nicht mehr ins Schwimmbad und nicht mehr auf Parkbänken sitzen", erzählt sie in gefassten Worten vor dem nahezu komplett gefülltem Plenum. "Irgendwann mussten wir den gelben Stern tragen". Eines Tages wurden die Eltern deportiert. Anita Lasker-Wallfisch und ihre Schwester Renate kamen erst in ein Waisenhaus, mussten dann Zwangsarbeit leisten. Schließlich versuchten sie, sich Pässe zu fälschen und ins nicht-besetzte Frankreich zu fliehen. Doch die Gestapo war schneller.

Vor Gericht hofften die Schwestern auf ein möglichst hartes Urteil. "Je höher die Strafe, desto besser", erinnert sich Lasker-Wallfisch. Denn: "Gefängnis war besser als Konzentrationslager". Stattdessen kamen die Geschwister als verurteilte Kriminelle nach Auschwitz. Dort spielten sie im Lagerorchester, wurden schließlich getrennt und in ein anderes Lager gebracht. "In Auschwitz wurde man wegen jeder Kleinigkeit ermordet, in Bergen-Belsen ist man einfach nur krepiert", sagt die heute 92-Jährige, die nach eigener Aussage Fälle von Kannibalismus beobachtet und Wärter gesehen hat, die Menschen bei lebendigem Leibe verbrannten. Am 15. April schließlich befreiten britische Soldaten das Lager.

"Verrohung der Gesellschaft nimmt zu"


Bis heute scheint es unbegreiflich, wie ein ganzes Land, eine junge Demokratie damals derart rasant in den Abgrund stürzen konnte - in das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. In seiner Eröffnungsrede zitiert Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble den ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog, der sagte, man solle sich nicht erinnern, um das Entsetzen zu konservieren, sondern, um die Erinnerung am Leben zu halten. Und Schäuble warnt: "Die Gesellschaft braucht eine konsequente Haltung gegen jede Form von Ausgrenzung, bevor es zu spät ist". Die "Verrohung der Gesellschaft" nehme zu, nicht nur im Internet; die Hasskriminalität nehme zu; "die Zahl der Angriffe auf Ausländer hat sich in den letzten Jahren verdoppelt", mahnt Schäuble.

Auch bei diesem Thema möchte die AfD offensichtlich ein Zeichen setzen und aus dem sonst bei dieser Veranstaltung bestehenden überfraktionellem Einverständnis ausscheren. Demonstrativ klatschen die Fraktionsführer Alice Weidel und Alexander Gauland müde in die Hände. Zweimal.

Eifrig applaudiert die Fraktion ganz rechts hingegen, als Anita Lasker-Wallfisch entsetzt beschreibt, dass es immer noch Menschen gebe, die leugnen, dass das, was sie und ihre Schwester erlebt haben, eine Tatsache sei. Aber ist es nicht die AfD, die in ihren Reihen mit Wolfgang Gedeon einen Politiker duldet, der per gerichtlichem Beschluss "Holocaustleugner" genannt werden darf, weil seine Aussagen so eindeutig geschichtsrevidierend sind?

Anita Lasker-Wallfisch lobt, wie sich Deutschland nach dieser Katastrophe "exemplarisch" entwickelt habe. Sie lobt, dass der Bundestag erst vor knapp zwei Wochen einstimmig beschlossen hat - nur die Linke enthielt sich -, Antisemitismus stärker zu bekämpfen. Und doch findet sie auch mahnende Worte angesichts eines wiedererstarkenden Rassismus. "Heute sind nicht mehr unbedingt Juden die Opfer von Hass, sondern Israelis", sagt sie. Wegen eines Konfliktes, dessen volle Tiefe viele Menschen garnicht verstünden. "Und was ist es für ein Skandal, dass jüdische Schulen und Kindergärten von der Polizei bewacht werden müssen?"

Die 92-Jährige hatte sich nach  Auschwitz und Bergen-Belsen geschworen, nie wieder deutschen Boden zu betreten. So voll von Hass sei sie damals, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gewesen, sagt sie. Und sie sagt am Ende der Rede auch, warum sie ihre Meinung irgendwann geändert hat: "Hass ist ein Gift und letztendlich vergiftet man sich selbst".

Quelle: n-tv.de


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