Mit auf dem Rücken zusammengebunden Händen steht Ngyen Van Lem im karierten Hemd auf einer Straße von Saigon. Sein Gesicht ist verzerrt, die Unterlippe blutverschmiert. Auf seine rechte Schläfe ist eine Pistole gerichtet. Nur wenig später ist der Vietcong-Kämpfer tot. Erschossen von Nguyen Ngoc Loan, dem Polizeichef in Saigon.
Es ist eine der Szenen, die für die unzähligen Greuel des Vietnamkriegs steht und weithin bekannt geworden ist. Eine kurze Filmaufnahme, die die Erschießung vom 1. Februar 1968 zeigt, flimmert schon bald über Millionen Bildschirme in aller Welt. Das Bild, das der AP-Fotograf Eddie Adams schießt, erscheint auf den Titelblättern vieler Zeitungen. Noch im selben Jahr wird es zum Pressefoto des Jahres gewählt. Unverhohlen offenbart es die ganze Brutalität des schon seit Jahren andauernden Krieges. Viele Amerikaner stellen ihn danach infrage und zweifeln an der Mission der USA, den Kommunismus in Südostasien zu bekämpfen.
Adams Foto entsteht an einem Wendepunkt des Krieges inmitten der sogenannten Tet-Offensive. Am vietnamesischen Neujahrstag Ende Januar 1968 greifen mehr als 80.000 Guerillakämpfer des Vietcong und nordvietnamesische Soldaten US-Militärbasen und die größten Städte Südvietnams an. Ho Chi Minh, der Führer des kommunistischen Nordens, wollte damit einen Volksaufstand gegen die südvietnamesische Regierung auslösen und die Amerikaner, die hier inzwischen mehr als 500.000 Soldaten stationiert hatten, verjagen.
"Buddha wird mir verzeihen"
Der Angriff der Kommunisten kommt völlig überraschend. Am Neujahrsfest, dem höchsten Feiertag des Landes, herrscht normalerweise ein inoffizieller Waffenstillstand. Viele GIs und südvietnamesische Truppen sind im Fronturlaub, als die Offensive den Süden überrollt. Auch in der Hauptstadt Saigon, die eigentlich als sicher gilt, bricht Chaos aus: Rauchwolken ziehen über die Stadt, Selbstmordattentäter attackieren stundenlang den Präsidentenpalast, Vietcong-Einheiten besetzen Radio Saigon und dringen sogar auf das Gelände der US-Botschaft vor. Mordkommandos des Nordens durchkämmen die Straßen mit Schwarzen Listen nach Beamten und südvietnamesischen Armeeangehörigen, viele werden niedergemetzelt.
Angeblich schlachtete auch Lem die Familie eines Polizisten ab. So zumindest verteidigte sich Polizeichef Loan später. Der Vietcong sei dann am Ort eines Massengrabs überwältigt worden. "Sie haben viele meiner Leute ermordet und deine auch", sagt der Polizeichef nach der Tat zum Fotografen, als er beiläufig seine Pistole einsteckt und geht. "Ich glaube, Buddha wird mir verzeihen."
War die Erschießung also ein Akt der Rache? Laut "New York Times" galt des General als Hitzkopf. Oder wollte er sich vor laufenden Kameras beweisen? Der Zeitung zufolge glaubten manche, die ihn kannten, dass er ohne die anwesenden Reporter den Mord auf offener Straße an dem 34-Jährigen nicht begangen hätte. In jedem Fall dürfte er es später bitter bereut haben.
"Der General tötete den Vietcong, ich tötete den General mit meiner Kamera", sagte Adams später. "Standfotos sind die mächtigste Waffe der Welt." Adams, der 1969 für das Bild den Pulitzer-Preis erhielt, entschuldigte sich später persönlich bei Loan und bedauerte die Veröffentlichung: "Was hätten Sie getan, wären Sie der General gewesen, zu dieser Zeit und an diesem Ort, an diesem heißen Tag, und Sie hätten den sogenannten Schurken gefangen, nachdem er einen, zwei oder drei amerikanische Soldaten weggepustet hatte?"
Für den Polizeichef wird das Foto, das den Protest gegen den Vietnamkrieg weiter befeuert und die vermeintliche moralische Überlegenheit der USA und ihrer Verbündeten untergräbt, jedenfalls zum Problem. Die US-Behörden tadeln die öffentliche Exekution. Australien verweigert ihm, als er wenig später schwer verwundet wird, die Behandlung. Erst ein Krankenhaus in Washington nimmt den General auf.
"Wir wissen, wer du bist"
Als er nach Saigon zurückkehrt, ist er angeblich ein ausgewechselter Mann und kümmert sich inzwischen um Kriegswaisen. Kurz vor dem Einmarsch der nordvietnamesischen Truppen 1975 in der Stadt weigern sich die USA, ihm bei der Flucht zu helfen. Immerhin schafft er es noch, an Bord eines Passagierflugzeugs mit seiner Familie vor den Kommunisten zu fliehen und lässt sich in den USA nieder.
In Virginia eröffnet er unter falschem Namen schließlich eine Pizzeria. Doch 1991 ist auch damit Schluss. Als seine Identität bekannt wird, bleiben die Kunden aus, jemand schmiert an eine Toilettenwand des Restaurants: "Wir wissen, wer du bist."
Juristische Folgen hat sein tödlicher Schuss für ihn allerdings nie. Alle Versuche, ihn anzuklagen, scheitern. Für die Tat in Südvietnam könne er in den USA nicht zur Rechenschaft gezogen werden, heißt es zur Begründung.
Als Loan 1998 an Krebs stirbt, würdigt ihn besonders einer: Eddie Adams. "Der Mann war ein Held", sagt der Fotograf und schickt Loans Witwe Blumen. "Amerika sollte um ihn weinen."
Quelle: n-tv.de
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