Ankara und Washington stehen auf Kriegsfuß

  16 Februar 2018    Gelesen: 1606
Ankara und Washington stehen auf Kriegsfuß
Politiker und Sicherheitsexperten werden mit großer Aufmerksamkeit verfolgen, wie sich die Türkei auf der Münchener Sicherheitskonferenz präsentiert. Aus dem potenziellen geopolitischen Brückenbauer ist ein unberechenbarer Partner geworden.
 
 

Rex Tillerson und Recep Tayyip Erdogan hatten viel zu besprechen: Erst nach drei Stunden und fünfzehn Minuten verließ der US-Außenminister in der Nacht zum Freitag den türkischen Präsidentenpalast in Ankara. Seit Monaten ist von Kommentatoren immer wieder zu hören. "Die Beziehungen zwischen den USA und der Türkei erreichen einen neuen Tiefpunkt." Die Kommentatoren hatten jedes Mal Recht.

Mittlerweile ist sogar die Schwelle zur offenen Gewaltandrohung überschritten. Ankara warnte Anfang der Woche mit einer "osmanischen Ohrfeige", die USA versicherten, dass sie "aggressiv" zurückschlagen würden. Grund für diese Misstöne sind die Kurden im Norden Syriens, die Ankara als Terroristen einstuft, Washington als wichtigsten Partner im Kampf gegen den selbsternannten Islamischen Staat (IS). Es droht nicht mehr nur der diplomatische Bruch, sondern die direkte Konfrontation.

Das liegt aktuell vor allem am Ort Manbidsch. Die Türkei will nach einer Eroberung der kurdischen Region Afrin im Nordwesten Syriens (die derzeit noch nicht ansatzweise absehbar ist) weiter gen Osten vorrücken. Dort sind allerdings nicht nur Kurden, sondern auch amerikanische Soldaten und Militärberater stationiert, die mit ihnen zusammenarbeiten.

Vom nächtlichen Gesprächs Tillersons und Erdogans drangen vielleicht auch wegen der Brisanz dieses Streitpunkts keine Informationen an die Öffentlichkeit. Journalisten waren zu dem Termin nicht zugelassen. Die Augen der Beobachter werden sich deshalb auf das Treffen Tillersons mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu an diesem Vormittag richten. Eine Pressekonferenz ist diesmal angekündigt. Und danach geht es an diesem Wochenende auf der Münchener Sicherheitskonferenz weiter.

Ex-Botschafter fordert Klartext


In München wird voraussichtlich am Samstag der Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump, Herbert Raymond McMaster, auftreten. Mit viel Druck aus der Heimat, Klartext mit Ankara zu sprechen. Gerade veröffentlichte das Magazin "Politico" einen vielbeachteten Gastbeitrag des früheren US-Botschafters in der Türkei, Eric Edelmann, und des früheren nationalen Sicherheitsberaters des amerikanischen Präsidenten, Jake Sullivan. Der Titel: "Die Türkei ist außer Kontrolle. Zeit für die USA, das auch so zu sagen." Die beiden Autoren warnen in dem Text davor, dass Erdogan das Gefühl habe, Washington halte die bilateralen Beziehungen für zu wichtig, um sie ernsthaft aufs Spiel zu setzen. Washington müsste ihm bei einem Angriff auf Manbidsch eines Besseren belehren, so Edelmann und Sullivan.

Ebenfalls am Samstag wird in München ein Auftritt des türkischen Ministerpräsident Binali Yildirim erwartet. Der warf den USA zuletzt vor "Seite an Seite mit Terroristen" zu kämpfen. Am Sonntag wird der türkische Außenminister Cavusoglu dann auch in München Stellung nehmen.

Die diplomatischen Verstimmungen zwischen den USA und der Türkei haben eine lange Geschichte. Eigentlich sind die USA und die Türkei seit einem halben Jahrhundert enge Partner innerhalb der Nato. Ankara ließ sich bei Konflikten immer wieder auf einen amerikanischen Kurs einnorden, gehörte im Kalten Krieg klar dem Westen an, setzte auf einen EU-Beitritt. Doch es gab immer wieder auch Spannungen.

2003 etwa kam es zu einem schweren Vertrauensbruch. Die Amerikaner marschierten in den Irak ein. Ankara war strikt dagegen und das türkische Parlament verweigerte US-Truppen die Verlegung durch das Land. Washington war empört.

Für Ärger auf türkischer Seite sorgte in den Jahren, die auf die Invasion folgten, dass die USA die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK während ihrer Besatzung des Iraks im Norden des Landes gewähren ließ, um das Verhältnis zu den irakischen Kurden nicht zu gefährden.

Von wegen Null Probleme


Kaputt gingen die Beziehungen daran aber nicht. Den USA und der Nato galt die Türkei stets als potenzieller Brückenbauer zum Nahen Osten. Und die Türkei gefiel sich in dieser Rolle. Das klare Ziel: eine Macht in der Region werden, an der niemand vorbei kommt. Der einst einflussreichen türkischen Außenpolitiker Ahmet Davutoglu stand mit seiner Vision "Stratejik Derinlik", der strategischen Tiefe, für diesen Kurs. Dabei sollte vor allem der wirtschaftliche Aufstieg durch eine Außenpolitik getreu dem Motto "Null Probleme mit den Nachbarstaaten" helfen. Damit einher ging allerdings eine zusehende Emanzipation von den USA, die zuletzt allzu oft in Konfrontation umschlug.

Auch die Null-Probleme-Strategie mit den Nachbarstaaten scheiterte. Vor allem am syrischen Bürgerkrieg. Das Erstarken der Kurden im Norden des Nachbarlandes löste in Ankara Abwehrreflexe aus. Die Sorge, die kurdische Minderheit in der Türkei könnte ebenso nach Unabhängigkeit streben, war groß. Gepaart mit einer für Erdogan schwierigen innenpolitischen Lage ließ sich die Türkei so voll in den syrischen Konflikt und damit die großen Stellvertreterkriege des Nahen Ostens hineinziehen. Aus der Null-Probleme- ist eine Probleme-mit-allen-Außenpolitik geworden.

Im Land selbst ist schon nicht mehr klar, wo die Türkei eigentlich hingehören soll in der Welt. Während Ankara in Syrien demonstrativ mit Russland kooperiert und moderne Flugabwehrraketensysteme aus Moskau kauft, ohne im Kreml auf echte Partnerschaft hoffen zu dürfen, befeuert die türkische Regierung antiamerikanische Ressentiments. Mit Erfolg, wie Studien zeigen. Das Amerikabild in der türkischen Gesellschaft ist verheerend. Ob Erdogan sich angesichts der nahen Kommunal-, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Jahr 2019 da zu einem Kurswechsel im Umgang mit den USA einlässt, ist ungewiss. Jenseits von Manbidsch und den Kurden gibt es schließlich Streitpunkte zu Hauf. Das prominenteste Beispiel ist der im US-Exil lebende Prediger Fethullah Gülen, den Ankara für den Putschversuch 2016 verantwortlich macht. Erdogan setzt derzeit voll und ganz auf Nationalismus und eine türkische Eigenständigkeit. Wobei Eigenständigkeit in den Augen vieler Kritiker vor allem Isolationismus bedeutet. Die Türkei ist für Washington und die Nato ein unberechenbarer Partner geworden.

Quelle: n-tv.de


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