Vier Jahre nach den Maidan-Protesten: Was ist geblieben – Expertenrunde

  07 März 2018    Gelesen: 1842
Vier Jahre nach den Maidan-Protesten: Was ist geblieben – Expertenrunde

Vier Jahre nach dem Maidan-Umsturz ist die Ukraine laut Andrej Susdalzew, Vize-Dekan der Fakultät für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Wirtschaftshochschule Moskau, wirtschaftlich gesehen eine Kolonie. Aber die Illusion, dass die EU kommt und sich der Lebensstandard verbessert, lebt im ukrainischen Volk immer noch fort.

Während einer Diskussionsrunde in der Nachrichtenagentur „Rossija Segodnja“ erklärte dies der Experte mit einem „ukrainischen Syndrom“: „Die Bevölkerung hat eingesehen, dass seit der Erlangung der Unabhängigkeit gut 20 Jahre verflossen sind, ihr Leben aber schlechter als bei den Nachbarn geworden ist. In der Auffassung der Ukrainer ist es eine Katastrophe, schlechter als Russland zu leben.“

Sie seien sich dabei darüber im Klaren, so Susdalzew, „dass Russland ihnen nichts mehr geben können wird. Folglich müssen sie sich nach einem Sponsor umsehen. Bei der Hinwendung zur EU handelte es sich um die Suche nach so einem Sponsor. Als die Ukrainer begriffen, dass auch Europa sie nicht haben will, beschlossen sie, die Politik in die Wirtschaft umzumünzen. Sie begannen, von einer Gefahr von Russland zu sprechen und forderten auf:,Helft dem Vorposten des Westens! Uns mangelt es an allen Ressourcen!‘.“

Der Wirtschaftsexperte bemerkte: „Der Appetit der ukrainischen Elite ist fabelhaft. Das Land ist bettelarm, doch rangieren seine Oligarchen unter den ersten Zehn auf der Forbes-Liste. Wie viele Rohstoffe wurde aus dem Lande abgezogen! Nun ist das aber ihre Entscheidung.“

Susdalzew wies auch darauf hin, dass es Russland vorläufig an Hebeln fehle, um die Ukraine hinsichtlich ihrer europäischen Orientierung zu beeinflussen. „Natürlich ist jetzt die europäische Ausrichtung nichts als ein politischer Slogan, der keine Grundlage hat. Den Ukrainern wurde die visafreie Einreise in den Schengen-Raum gewährt. Und dies wird in der Ukraine als die Lösung aller Wirtschaftsprobleme aufgefasst, da das Land keine überflüssigen Menschen braucht.“

Er rechnet auch nicht damit, dass die Ukraine sich zu Russland hinwenden würde. „Das politische Feld dieses Landes ist so formatiert worden, dass darin hauptsächlich diejenigen Parteien präsent sind, die von der EU-Integration und dem Nato-Beitritt reden, aber auch davon, dass die Krim zurückgewonnen und der Donbass im ukrainischen Staatsverband sein wird. Politische Kräfte, die dies nicht sagen, sind im politischen Feld nicht vertreten, abgesehen von einem kleinen Oppositionsblock in der Rada. Das ist auch alles.“

Während der Expertenrunde stellte man mit Bedauern ein Abdriften der heutigen Ukraine von Russland weg und hin zur EU fest, obwohl der Traum vieler Ukrainer von dem EU-Beitritt und ihre Hoffnung auf Sicherheit, Geld und Perspektiven sich nicht bewahrheiten wollen. Auch löse die schwere wirtschaftliche Lage im Lande Proteste aus. Allerdings keine aktiven, sondern eher passiven. Etwa in der Form, wenn in einem Mietshaus zuerst ein und dann alle Einwohner aufhören würden, die kommunalen Dienstleistungen zu bezahlen. Die Zahlungsweigerungen, besonders beim Gas, nähmen zu, was man als einen wahren sozialen Protest einstufen könne.

Andrej Susdalzew fügte hinzu: „Der soziale Protest erfolgt auch durch Auswanderung. Dabei sind es die Besten, die abreisen. Dies behindert zukunftsträchtige Investitionen, da dafür qualifizierte Arbeitskräfte erforderlich sind, Ingenieure und Manager, die jetzt schon weg sind. Dadurch entsteht ein wirtschaftliches Schwarzes Loch. Selbst die Importe aus Russland dienen vorwiegend dem Überleben: Aus dem Nachbarland wird Kohle importiert, um sich gerade noch wärmen zu können und nicht am Hunger zu sterben.“

Die Experten verwundert gleichzeitig die erstaunliche wirtschaftliche Flexibilität der ukrainischen Bevölkerung, die sich innerhalb der eigenen Familie verkapselt und mit ihr gemeinsam zu überleben versucht. „Hauptsache, es gibt keinen Krieg. Dies ist den Minsker Vereinbarungen zu verdanken. Die Züge fahren, der Verkehr rollt. Man wird entlohnt, wenn auch jämmerlich. Und das funktioniert.“

Laut Susdalzew profitierte Russland von der Annäherung der Ukraine an die EU, „die es dem Land erlaubt, die Unterstützung für die Ukraine zu kürzen und die Finanzmittel zu sparen. Nach Russland ist ein Teil der Unternehmerschicht ausgewandert, die Mittelklasse, Leute mit Ingenieurabschluss. Es vollzieht sich eine slawische Migration nach Russland. Das Land zieht um: Man bringt alte Menschen und Kinder rüber und wandert mit Frau und Kind aus.“

Bei der Expertenrunde ging es auch um das Normandie-Format, das sich totgelaufen hat. Allerdings würde laut Juri Nagernjak, Generaldirektor einer der internationalen Stiftungen für Kulturförderung, der Verzicht darauf die führenden Länder Europas aufs Abstellgleis schieben, eine Situation, die für alle ungünstig wäre.

Durch die Entstehung der aktuellen Situation seien die USA im Vorteil, ist der Experte sicher, „während die Europäer mehr eingebüßt als gewonnen haben. Mit der Ukraine haben sie ein ständiges Problem in allernächster Nähe bekommen, welches Geld und Aufmerksamkeit erfordert sowie in eine unberechenbare Entwicklung einmünden kann.“

Der Experte meint, das Normandie-Quartett sei aufrechtzuerhalten, um neue Wege zur Problemlösung aufzuspüren, damit der Konflikt nicht für Jahrzehnte eingefroren bleibe. Sein Kollege Andrei Susdalzew gab zu bedenken, dass „die Ukraine während dieser vier Jahre die Aufnahme der USA ins Normandie-Format immer wieder angeregt hat, in der Absicht, mit Amerikas Hilfe den Druck auf Russland zu erhöhen.“

Wladimir Putin hat aber im vergangenen Herbst bekräftigt, dass er nichts dagegen habe. Es ist eine weitere Verbindungslinie zwischen Washington und Moskau entstanden, nämlich die Surkow-Walker-Kommission. Es geht dabei nicht einmal um die Ukraine. Russland spiele mit hohen Einsätzen – darin waren alle Experten einig, wobei es eine zusätzliche Plattform für die Beziehungen zwischen Washington und Moskau schafft, vor dem Hintergrund des nicht gerade guten Verhältnisses der Außenminister Lawrow und Tillerson. Dies ist ein Beweis dafür, dass die wichtigsten Entscheidungen zur Ukraine an der Konfrontationslinie zwischen Russland und dem Westen, zwischen Washington und Moskau, getroffen werden sollen.

sputniknews


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