Pipeline-Poker: Wie Russland die Energie für Europa dosieren will

  04 April 2018    Gelesen: 1354
Pipeline-Poker: Wie Russland die Energie für Europa dosieren will

Die diplomatischen und militärischen Initiativen Russlands in der kaspischen Region und im Nahen Osten sind auf die Erlangung einer umfassenden Kontrolle über den Öl- und Gasexport aus den GUS-Ländern, Syrien und dem Irak gerichtet. Das berichtet die „Nesawissimaja Gaseta“ am Mittwoch.

Der Ankara-Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin hat neben der Erörterung von rein wirtschaftlichen und syrischen Fragen auch geopolitische Ziele, die weit über den Rahmen der Probleme des Nahen Ostens hinausgehen. Wie der Präsidentenberater Juri Uschakow berichtete, soll neben den dreiseitigen Verhandlungen mit den Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan und Hassan Rouhani auch ein Vier-Augen-Gespräch zwischen Putin und dem iranischen Staatschef stattfinden. Nach Kreml-Angaben wollen die beiden Präsidenten unter anderem die Vorbereitung des Kaspi-Gipfels besprechen.

Für Moskau und Teheran ist das Kaspi-Thema von sehr großer Bedeutung, weil europäische Länder zukünftig gerade von dort Kohlenwasserstoffe importieren wollen, wobei die Energiemärkte Russland und des Iran umgangen werden sollen. Das russische Außenministerium hatte zuvor erklärt, dass bei dem 5. Kaspi-Gipfel ein Übereinkommen über den Rechtsstatus des Kaspischen Meeres unterzeichnet werden soll. Die Details des Dokuments wurden offiziell nicht bekanntgegeben.

Doch es sollen darin die Hauptprinzipien der Nutzung des Meeres festgeschrieben werden, darunter territoriale, wirtschaftliche, Umwelt- und militärische Aspekte. Von besonderer Bedeutung wird dabei die Regelung der Verlegung von Öl- und Gaspipelinesauf dem Kaspischen Meeresboden sein. Bekannt ist, dass Russland offen gegen den Bau solcher Pipelines eingestellt war. Eine ähnliche Position hatte auch der Iran, der mit Aserbaidschan und Turkmenistan Kontroversen bezüglich der Zugehörigkeit mehrerer Öl- und Gasvorkommen hat. De facto ist der Status des Kaspischen Meeres wegen dieser Auseinandersetzungen bis heute ungeklärt.

Für Teheran ist diese Situation sehr vorteilhaft, weil es formell das Recht hat, das Einfrieren dieser Vorkommen zu fordern. Auch für Russland bringt die Situation Vorteile mit sich, weil es ein Veto gegen den Bau der nach Europa ausgerichteten Pipelines über den Meeresboden einlegen darf. Im Ergebnis dieser Regelungen werden die kasachischen Öl- und Gasvorkommen Tengis und Kaschgan derzeit in russische Pipelines gepumpt, die in den Westen fließen. Das restliche Öl aus Kasachstan wird mit Frachtkähnen über das Kaspische Meer nach Baku geliefert, wo es über die Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan via Georgien zum türkischen Hafen Ceyhan gebracht wird.

Dies ist die einzige Ölpipeline, die die GUS-Länder unter Umgehung Russlands mit der Außenwelt verbindet, und sie ist eine relativ kleine Pipeline. Parallel gibt es noch die südliche Gaspipeline Baku-Tiflis-Erzurum, die an die von der EU geplante transanatolische Pipeline angeschlossen werden soll. Doch sie funktioniert de facto nicht. Aserbaidschan versorgt sich selbst nur mit Mühe mit eigenem Gas. Gas aus Kasachstan und Turkmenien könnte der Pipeline Baku-Tiflis-Erzurum nur durch die am Boden des Kaspischen Meeres geplante Pipeline zugeführt werden. Diese gibt es bislang nicht und wird es wohl nach dem Willen Moskaus und Teherans auch in der nächsten Zukunft nicht geben.

Dies entspricht den wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen beider Länder. Dennoch verkündete der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu kurz vor Putins Ankara-Besuch, dass die Verlegung der Kaspischen Flottille aus Astrachan nach Kaspijsk in Dagestan, also näher an die Grenze zum Iran, beschlossen wurde. Keinem Land gefällt die Konzentration militärischer Einheiten nahe seinen Grenzen. Dennoch gab es auf Schoigus Ankündigung bislang keine bedeutenden Reaktionen in Teheran und Baku.

„Die Bildung einer großen Militärgarnison in Kaspijsk ist im Hinblick auf die Gewährleistung des Kampfes gegen islamische Extremisten gerechtfertigt“, meint der Militärexperte General Juri Netkatschew. 1996 wurde in Kaspijsk ein Haus von Terroristen in die Luft gesprengt, in dem Familien von Grenzsoldaten wohnten. „Danach wurden ein Bataillon der Marineinfanterie und weitere Einheiten der Kaspischen Flottille dorthin verlegt. In der Bucht von Kaspijsk soll die Sicherheit für die Schiffe der Flotte gewährleistet werden. Deswegen wird dort eine Garnison eingerichtet, die die bedeutendsten Kräfte der Kriegsflotte in der Region konzentriert“, sagte Netkatschew.

Der Bericht über einen neuen Stationierungsort der Kaspischen Flottille hat auch eine große außenpolitische Bedeutung, weil er sich auf den Bau der Pipeline Turkish Stream auswirkt. „Die Meldung war ein Signal an europäische Länder und auch an die Türkei, dass sie keine überambitionierten Wünsche hegen sollten“, so Netkatschew. Für den Iran sei dies ein Anlass, in Verhandlungen mit Putin Vereinbarungen zu erreichen, um die gemeinsamen geopolitischen Ziele bei dem künftigen Kaspischen Gipfel auch gemeinsam umzusetzen.

Während des kommenden Dreier-Gipfels sind zudem Überraschungen zu erwarten, die mit der Umverteilung der Einflussbereiche dieser Länder nicht nur in Syrien und im Nahen Osten, sondern auch in den benachbarten Regionen zusammenhängen. Damit entfernt sich der Gipfel natürlich weit von dem eigentlichen syrischen Interesse, die territoriale Integrität des Landes zu gewährleisten. Doch anscheinend spielt das keine große Rolle für seine wichtigsten Verbündeten. Es entsteht der Eindruck, dass Russland am syrischen Konflikt nicht nur beteiligt ist, um die Interessen von Damaskus wahrzunehmen, sondern auch, um die eigenen Energieprojekte voranzutreiben.

sputnik.de


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