Was hat die AfD aus diesem Land gemacht?

  13 April 2018    Gelesen: 1834
Was hat die AfD aus diesem Land gemacht?

2013 hält die AfD ihren ersten Parteitag ab. Es ist der Ausgangspunkt für eine beispiellose politische Erfolgsgeschichte. Deutschland hat sich durch die Partei verändert. Oder hat etwa Deutschland die AfD verändert?

 

Beim ersten Parteitag der AfD spielt sich eine Szene ab, die sich heute nicht mehr wiederholen würde. Gerade hat Parteichef Bernd Lucke im Saal des Berliner Hotels Intercontinental seine Eröffnungsrede gehalten und das Publikum tobt vor Begeisterung. Der Raum ist viel zu klein für die rund 1500 Gäste. Sie stehen, klatschen, skandieren: "Jetzt geht's los!". Ein älterer Herr klettert auf einen Stuhl und will eine Deutschlandfahne schwenken. Sie wird ihm weggerissen und er setzt sich danach wieder hin. Mit Nationalismus will die AfD damals nichts zu tun haben. Ärgerlich genug, dass in der Nähe des Hotels die NPD demonstriert, ausgerechnet unter dem Motto "Raus aus dem Euro! Es gibt nur eine Alternative – die NPD".

Die AfD war damals noch die "Anti-Euro-Partei". Die "Euro-Gegner" wurden dafür belächelt, dass sie sich die Deutsche Mark zurückwünschten. Bernd Lucke tourte durchs Land und erklärte in vielen Interviews, warum die Euro-Rettungspolitik gescheitert sei. Das ist jetzt genau fünf Jahre her. Und seitdem hat sich die AfD stark verändert. Der Euro-Austritt ist zum absoluten Randaspekt geworden, das Markenzeichen der Partei bilden inzwischen andere Themen: Zuwanderung und der Islam. Verändert hat sich jedoch nicht nur die AfD selbst. Sie hat auch die Politik in Deutschland verändert.

Das lässt sich im Parlament ablesen. Im Bundestag, wo per demokratischer Definition die gesamtgesellschaftliche Debatte gewissermaßen in konzentrierter Form abläuft, ist der Ton rauer, die Diskussion härter, aber auch vielfältiger geworden. Die mitunter schläfrigen Aussprachen der vergangenen Legislaturperiode mit Großer Koalition und winziger Opposition sind verschwunden. Doch die 92 AfD-Abgeordneten nutzen die Bühne des Parlaments nicht bloß für zugespitzte Reden. Sie provozieren ihre politischen Gegner. Die Anträge, Vorträge und Zwischenfragen lösen bei den anderen Parlamentariern teils heftige Reaktionen aus.

Exemplarisch dafür steht etwa die Rede des Grünen-Politikers Cem Özdemir, als er Ende Februar auf einen Antrag der AfD antwortet, in dem die Partei von der Regierung verlangt, die Texte des Journalisten Deniz Yücel zu missbilligen. Özdemir stand mit rotem Kopf und bebender Stimme am Rednerpult. Mehrfach zeigte er mit ausgestrecktem Zeigefinger in Richtung der AfD-Fraktion und warf der Partei Rassismus und Verachtung des demokratischen Systems vor. Özdemirs Rede wurde bei Youtube millionenfach geklickt, verbreitete sich rasant in den sozialen Medien. Hitzig wurde diskutiert, ob die Rede zu leidenschaftlich oder gar aggressiv war. Aber vor allem wurde eben diskutiert – über demokratische Prozesse im Parlament.

Die AfD hinterlässt Spuren in der Gesellschaft


Özdemir ist nicht das einzige Beispiel. FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki, die SPD-Abgeordnete Kerstin Griese, Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt oder die Linken-Abgeordnete Petra Pau – sie und noch viele weitere standen bereits am Rednerpult des Bundestages und hielten leidenschaftliche Reden als Reaktion auf die AfD.

Als eine der "blutärmsten Wahlperioden in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus" bezeichnete der Kasseler Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder die vergangene Legislaturperiode. Diese Zeit ist vorbei.

Fast 6 Millionen von 46 Millionen Wählern in Deutschland haben bei der Bundestagswahl 2017 ihre Stimme der AfD gegeben. Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik hat eine Partei viereinhalb Jahre nach ihrer Gründung derart großen Rückhalt genossen. Die neue Fraktion mit ihren 92 Abgeordneten hat den Bundestag verändert, zweifellos. Schon zuvor hat das politische Phänomen AfD jedoch deutliche Spuren in der Gesellschaft hinterlassen.

Für die AfD konnten sich plötzlich Menschen begeistern, die mit der Politik eigentlich schon abgeschlossen hatten, die sogenannten Politikverdrossenen. Die neue Partei erschloss sich einen Wählerkreis, auf den die anderen keinen Zugriff mehr hatten. Mit Positionen rechts von der Union, doch noch in halbwegs sicherer Entfernung zu rechtsextremen Parteien wie der NPD, gab es ein erhebliches Potenzial. Bei der Bundestagswahl 2017 hat die Partei fast 1,5 Millionen Nichtwähler mobilisiert. Fast zweieinhalb Millionen kamen – offensichtlich enttäuscht – von Union, SPD, Linken, Grünen und FDP. Dazu fast eine halbe Million von Kleinparteien.

Wie aus Euro-Kritikern rechte Nationalisten wurden


Die AfD hat ein extrem heterogenes Publikum an sich gebunden: einfache Konservative, denen die Union "zu links" geworden war; nationalkonservative EU-Kritiker; Nationalisten und Völkische, die um das "Deutschtum" fürchten; Verschwörungstheoretiker mit fließenden Übergängen zur "Reichsbürgerszene"; Rechtsextremisten, die in der Zeit zwischen 1933 und 1945 "nicht alles schlecht finden"; Holocaustrelativierer und Xenophobiker. Sie alle mussten einst fürchten, mit ihren Äußerungen in die rechte Ecke, die Nazi- und Spinner-Ecke gestellt zu werden. Sie haben nun ein Forum, eine Partei, die inzwischen in 14 Landesparlamenten, im EU-Parlament und im Bundestag vertreten ist. Und sie müssen sich mit ihrer Meinung nicht mehr verstecken. Sie sind nicht mehr isoliert.

Durch die AfD ist der Ton im Bundestag rauer geworden. Aber er hat sich auch gesamtgesellschaftlich deutlich verschärft. Einwanderer wurden im Jargon der Partei zu "Invasoren", Muslime zu Terrorverdächtigen, die Kanzlerin zu einer "Diktatorin" und Autokraten wie der russische Staatspräsident Wladimir Putin oder der ungarische Staatschef Victor Orban zu glänzenden Vorbildern. Ein Millionenpublikum hält die deutschen Medien inzwischen für eine "Lügenpresse", ein Begriff aus dem Nationalsozialismus, oder für "Systempresse" wie in der DDR. Rechtskonservative Medien wie die "Junge Freiheit" oder offen rechtsradikale Hetzblätter wie das Magazin "Compact" feiern Auflagenrekorde.

Die Pegida-Bewegung, die ab Ende 2014 vor allem in Dresden Zehntausende auf die Straßen lockte, bewies, wie groß das fremden- und islamfeindliche Potenzial im Osten der Republik ist. Teile der AfD näherten sich der mitunter rechtsextremen Straßenbewegung bereits kurz nach deren Entstehung an. Die "Willkommenspolitik" des Jahres 2015, Merkels Grenzöffnung im September schließlich war vermutlich der größte Glücksfall in der bisherigen Geschichte der AfD. Wer die mehr oder weniger unkontrollierte Einwanderung in dieser Zeit kritisiert, ist mit Sicherheit kein Ausländerfeind. Die AfD jedoch schärfte an diesem Thema ihr zuweilen rassistisches und ausländerfeindliches Profil. Und legte damit in Umfragen beständig zu.

Eine Wahrheit zeigt die AfD in jedem Fall

Letztlich hat die AfD sogar die Parteiprogramme ihrer Konkurrenten verändert. Keine andere Partei nutzte das Thema Migration und Integration so erfolgreich für sich wie die AfD. Ihre Erfolge verdeutlichten, wie wichtig vielen Menschen das offenbar ist und wie stark die übrigen Parteien diese Themen vernachlässigt haben. Und so versuchten bereits im Bundestagswahlkampf 2017 vor allem Union und FDP, Migrations- und Innenpolitik mit möglichst klaren Positionen zu besetzen. Der AfD mit möglichst konservativen Positionen Stimmen abzuringen, scheint bis heute zumindest bei CSU und FDP immer noch ein erklärtes Ziel zu sein.

Die AfD hat den Bundestag verändert, die Gesellschaft verändert. Sie gehört mit 92 Bundestagsmandaten und 157 Sitzen in Landesparlamenten, einem Millionenbudget und einer eigenen parteinahen Stiftung inzwischen zum politischen Alltagsgeschäft. Möglich war diese Erfolgsgeschichte jedoch nur, weil sich die Partei selbst einer drastischen Metamorphose unterzogen hat. Und da schließt sich der Kreis. Denn heute würde sich niemand mehr über eine schwenkende Deutschlandfahne auf einem Parteitag wundern. Nein, inzwischen wird sie großformatig auf Leinwände geworfen. Denn auch die AfD hat sich in den vergangenen fünf Jahren erheblich verändert.

Die Frage ist dabei: Hat die AfD auf eine rechter werdende Gesellschaft reagiert, hat sie sich einen Trend zunutze gemacht und ist deshalb so erfolgreich? Oder hat eine rechter werdende AfD die Gesellschaft beeinflusst und so in beeindruckend kurzer Zeit ihre Machtbasis geschaffen? Vermutlich ist es am Ende ein dauerndes Wechselspiel aus beiden Richtungen. Eine Wahrheit hat der rasante Aufstieg der Partei in jedem Fall zutage gefördert: Deutschland in seiner Gesamtheit ist rechter und konservativer, als viele Menschen das für möglich gehalten haben – ob einem diese Erkenntnis nun gefällt oder nicht.

Quelle: n-tv.de


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