ZUR PERSON
Thomas Arnold, geboren 1988 in Zwickau, ist seit 2016 Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen. Er studierte Theologie in Vallendar, Bonn und Madrid, war ab 2012 Referent im katholischen Hilfswerk "Missio". Arnold ist verheiratet und Vater eines Sohnes.
SPIEGEL ONLINE: Sie diskutieren auf dem Katholikentag mit Parteivertretern über das Verhältnis von Religion und Politik. Eingeladen ist auch der kirchenpolitische Sprecher der AfD, Volker Münz. Zum Ärger Ihrer Kritiker, die das unhaltbar finden.
Thomas Arnold: Der Katholikentag war immer ein Ort, wo verschiedene politische Positionen aufeinandergetroffen sind, wo gerungen wurde. Und immer wieder mal gab es Bedenken gegen Gäste. Aber wir leben in bewegten Zeiten: Die Säkularisierung nimmt zu, die Volkskirchen werden kleiner, Traditionen und Privilegien wie etwa der Kirchensteuereinzug werden infrage gestellt. Deshalb müssen wir über die Rolle von Religion und Kirchen in der Gesellschaft sprechen - mit möglichst allen politischen Kräften.
SPIEGEL ONLINE: Wie redet man denn mit Rechtspopulisten?
Arnold: Ich rede nicht mit Rechtspopulisten, sondern mit Menschen. Und als solche muss man sie erst mal anerkennen. Ich bin nicht einer Meinung mit der AfD, aber ich muss ihren Vertretern zuhören. Und dann nachfragen, nachhaken, mögliche Unwahrheiten aufzeigen und meine eigene Meinung vertreten.
SPIEGEL ONLINE: Wo sind Ihre persönlichen Grenzen? Mit wem würden Sie niemals diskutieren?
Arnold: Mit Rechtsextremen. Als sich in Ostritz anlässlich Hitlers Geburtstag Hunderte Neonazis versammelt haben, haben wir uns als Katholische Akademie dem Friedensfest des örtlichen Klosters angeschlossen. Wir haben auf dem Marktplatz Papstbanner aufgestellt mit der Aufforderung: "Mischt euch ein!" Bei Rechtsradikalen müssen wir Haltung zeigen und ganz klar sagen: "Stopp, das dulden wir nicht in unserem Rechtsstaat." Ich habe auch eine Diskussion mit Jens Maier von der AfD abgesagt, einem Vertreter des völkisch-nationalistischen Flügels, der im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der NS-Verbrechen von einem "Schuldkult" gesprochen hat und eindeutig rassistische Positionen vertritt.
SPIEGEL ONLINE: Also: AfD-Christ Münz - ja, Geschichtsrevisionist Höcke - nein?
Arnold: Nach der Rede Björn Höckes in Dresden, in der er eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" forderte, würde mir das sehr schwer fallen. Generell befinden wir uns in einem Dilemma: Einerseits laufen wir Gefahr, menschenfeindlichen Positionen ein Podium zu geben. Andererseits setzen wir im Sinne der Aufklärung auf die Freiheit des Menschen, auf seinen Verstand und sein Gewissen, die es ihm erlauben, andere Argumente zu prüfen und sich gegebenenfalls überzeugen zu lassen.
SPIEGEL ONLINE: Muss Kirche heute politischer sein als noch vor wenigen Jahren?
Arnold: Die Kirche ist politisch seit Anbeginn. Wir bringen unsere ethische Meinung ein und beeinflussen Mehrheiten. Dazu gehört auch, dass wir uns selbst immer wieder infrage stellen und uns nicht von den Verlockungen der Macht umgarnen lassen. Im Osten Deutschlands hat die Kirche so viele Jahre nicht öffentlich reden können - das ist unsere Chance nach 1989, dass wir wieder frei über christliche Überzeugungen in der Gesellschaft sprechen können.
SPIEGEL ONLINE: Wird diese Sprache denn überhaupt noch verstanden? Weniger als vier Prozent der Sachsen sind Katholiken, mehr als 70 Prozent gehören gar keiner Konfession an. Ist Gott tot in Sachsen?
Arnold: Natürlich haben zwei Diktaturen Spuren hinterlassen. Und schon im Kaiserreich haben sich die Menschen in Sachsen von der Religion abgewandt. Heute erlebe ich Kinder, die ihre Eltern beim Betrachten eines Kruzifixes irritiert fragen, was denn das hölzerne Ding an der Wand zu bedeuten habe.
SPIEGEL ONLINE: Ernsthaft?
Arnold: Ja, die religiöse Bildsprache wird teilweise nicht mehr verstanden. Auf der einen Seite gibt es ein großes Interesse an spirituellen Themen. Auf der anderen herrscht ein Gefühl der Fremdheit gegenüber religiösen Bildern und Symbolen. Wenn sie mit Kippa oder Kopftuch durch die Straßen gehen, werden sie schief angeschaut. Aber auch, wenn sie als Christ in der Öffentlichkeit beten. Das ist ein religionsübergreifendes Phänomen.
SPIEGEL ONLINE: Leistet also die Abwesenheit von Religion in gewisser Weise Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Vorschub?
Arnold: Das ist ein Baustein von vielen. Religionslosigkeit verstärkt meiner Erfahrung nach die Angst vor anderen Kulturen und Religionen. Das Fremde verursacht Unbehagen und Furcht. Religion kann hingegen auch Heimat bedeuten.
SPIEGEL ONLINE: Auf dem Katholikentag fragen Sie Abgeordnete: "Wie halten Sie's mit der Religion?" Glauben Sie tatsächlich, dass der Glaube im politischen Alltagsgeschäft noch eine Rolle spielt?
Arnold: Ja, unbedingt. Wenn Religion einen Menschen prägt, dann wird sie auch seine Entscheidungen beeinflussen. Wenn Politiker in Parlamenten oder Ausschüssen Gewissensentscheidungen treffen und dieses Gewissen christlich-religiös geprägt ist, dann wird sich dies auch in den Entscheidungen niederschlagen. Wir wollen auch über die Diskrepanzen reden: Wie verbinden Politiker einen möglicherweise hohen moralischen Anspruch mit den Sachzwängen der Realpolitik, die nicht immer ethischen Grundprinzipien entsprechen und ihnen auch zuwiderlaufen können?
SPIEGEL ONLINE: Was ändert sich gerade im Verhältnis Staat - Kirche?
Arnold: Vieles. Wir werden darüber reden müssen, ob die Kirche überhaupt vom Staat unterstützt werden sollte. Derzeit wird die Refinanzierung der Kirchen vorausgesetzt, aber das könnte sich in Zukunft ändern. Je säkularer die Gesellschaft ist, desto mehr werden diese Dinge infrage gestellt - und es sind die Politiker, die das mit ihrem Mandat und ihrem Gewissen gestalten müssen.
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