Osteuropäer rocken den ESC

  11 Mai 2018    Gelesen: 1098
Osteuropäer rocken den ESC

Der Eurovision Song Contest ist mit dem Grand Prix Eurovision de la Chanson nicht mehr zu vergleichen. Das liegt auch an dem Schwung, den die Vertreter in den Wettbewerb bringen, die vor fast 30 Jahren östlich des Eisernen Vorhangs waren.

 

Die Stimmung im "Eurovision Village", dem großen Public-Viewing-Areal auf dem Praça do Comércio (Platz des Handels), ist prächtig. Nach dem Metal-Song "Viszlát Nyár" (Ade Sommer) der Gruppe AWS ist es besonders laut. Hunderte Menschen, die sich am unterhalb der Lissaboner Altstadt gelegenen Platz versammelt haben, jubeln, nachdem die harten Gitarrenklänge verstummt sind. Obwohl Frontmann Örs Siklósi das ziemlich düstere Lied auf Ungarisch singt, kommt es bei den ESC-Fans gut an.


Wie im vergangenen Jahr in Kiew, als der Roma Joci Pápai mit dem Folkloresong "Origo" einen hervorragenden achten Platz belegte, sind die Magyaren wieder da, wenn es darauf ankommt. In einigen Foren werden die Kerle von AWS sogar als Geheimfavoriten gehandelt. Wird auch mal wieder Zeit, dass beim ESC ein Rocksong gewinnt. Seit dem Sieg der wilden Finnen von Lordi mit "Hard Rock Hallelujah" in Athen sind immerhin schon zwölf Jahre vergangen. Tatkräftige Unterstützung für Siklósi und seine Mitstreiter gibt es: So riefen vor dem Semifinale die Veranstalter des Wacken Open Air alle Metalfans auf, ihre Stimmen den Ungarn zu geben. Sie werden es wohl auch beim Finale am Samstag tun.

Der ESC 2019 in Budapest? Es gibt unattraktivere Städte für dieses Event. Aber wollen wir mal das Fell des Bären nicht verteilen, bevor er erlegt ist. Denn noch immer werden die israelische Wuchtbrumme Netta mit "Toy" und die an Beyoncé erinnernde Eleni Foureira aus Zypern mit "Fuego" in den einschlägigen Foren als Favoriten gehandelt. Nicht zu verachten sind auch die Franzosen Madame Monsieur mit "Mercy". Überraschenderweise entwickelt sich auch die Australierin Jessica Mauboy mit ihrem eher mittelmäßigen Song "We Got Love" zu einem Liebling der in Lissabon versammelten ESC-Gemeinde.

Professionelle Bulgaren, stimmgewaltiger Albaner

Aber die ungarischen Rocker haben es auch mit einer starken Konkurrenz aus Ländern zu tun, die aus derselben Region Europas wie sie kommen. Osteuropa ist beim diesjährigen Wettbewerb erneut eine Macht. So wartet Bulgarien wie in Stockholm 2016 (Platz vier durch Poli Genowa) und Kiew 2017 (Platz zwei durch Kristian Kostow) erneut mit einem chancenreichen Song auf. Dort geht man seit geraumer Zeit den ESC sehr professionell an und hat mit Equinox eine Gruppe extra für den Wettbewerb zusammengestellt. Neben den Bulgaren Zhana Bergendorff, Georgi Simeonow und Vlado Michailow gehören zu ihr auch die US-Amerikaner Johnny Manuel und Trey Campbell. Das Lied "Bones" ist von Symphonics International produziert worden - wie auch bereits die Beiträge der vorangegangenen beiden Jahre. Düsteres und Mystisches bringt Equinox auf die Bühne. Die Fünf singen von Liebe, die buchstäblich bis unter die Knochen geht.

Überzeugend präsentiert sich auch der Albaner Eugent Bushpepa. Der 33-Jährige freute sich riesig über seinen Finaleinzug. Wie die Ungarn-Rocker singt auch er in der Landessprache. "Mall" (Sehnsucht) heißt sein Titel, in dem Rock- und Folkelemente enthalten sind. Bushpepa, dem von sogenannten Fachleuten keine Chance auf das Finale eingeräumt wurde - vielleicht ist er manchen von ihnen mit zu viel Testosteron ausgestattet -, profitiert vor allem von seiner Stimmgewalt.

Fasst man Osteuropa weit, muss auch Mikolas Josef genannt werden. Der 22-jährige Lausbub aus Prag überzeugt mit "Lie To Me". Er macht mit seiner erfrischenden Erscheinung die lahmen tschechischen Auftritte aus den beiden vorangegangenen Jahren vergessen. Josef ist mit seinem launigen Song ein würdiger Vertreter des Landes der Knödel und des Bieres.

Mélovin lässt Ukraine jubeln, Russland ist raus


Ein starkes Signal kommt aus der Ukraine. So begeistert Mélovin mit einem feurigen Auftritt die Zuschauer. Der 21-Jährige aus Odessa, der eigentlich Kostjantyn Botscharow heißt, steigt zu Beginn seines Liedes "Under The Ladder" wie Kai aus der Kiste auf. Er hält während seines gesamten Vortrages die Zuschauer in seinem Bann. Mit seiner hellen Kontaktlinse in seinem rechten Auge erinnert Mélovin auch irgendwie an Marilyn Manson. Zum Ende seines Vortrags haut er - eine brennende Treppe unter sich - noch einmal kräftig in die Klaviertasten. Ein gelungener Schlusspunkt.

Osteuropa ist auch noch mit Litauen, Estland, Serbien und Slowenien im Finale vertreten. Für Stimmung sorgt die Slowenin Lea Sirk mit "Hvala, ne!" (Danke, nein) - eine moderne Dance-Nummer, die die 28-Jährige gemeinsam mit DJ Tomy DeClerque produziert hat. Überraschend ist dagegen das Weiterkommen des Serben Sanja Ilić und der Band Balkanika mit dem Song "Nova deca" (Neue Kinder), der nur aus vier Versen besteht. Ein bisschen Folklore muss beim ESC eben doch sein.

Großer Verlierer ist Russland. Die an den Rollstuhl gefesselte Julia Samoilowa, der im vergangenen Jahr die Einreise in die Ukraine verweigert wurde, präsentiert sich dabei finalwürdig. "I Won’t Break" ist durchaus ein Lied, das den Weg in die Gehörgänge findet. Aber die 29-Jährige aus Uchta muss wohl der großen Politik Tribut zollen. Diese ist aus dem Eurovision Song Contest einfach nicht wegzubekommen.

Quelle: n-tv.de


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