26 Schattenmänner

  15 Mai 2018    Gelesen: 993
26 Schattenmänner

Am Mittag wird Bundestrainer Joachim Löw den erweiterten WM-Kader für das Turnier in Russland bekanntgeben. Alle Augen richten sich auf die Torwartfrage. Ansonsten sind große Überraschungen ausgeschlossen.

Am Dortmunder Fußballmuseum hängen sie schon, draußen an der Fassade als großformatige Porträts. Allerdings sind die 26 WM-Kandidaten bisher nur als Schattenriss dargestellt. Erst am Mittag, wenn der Bundestrainer die Namen bekannt gibt, werden die Bilder der Profis, die für Deutschland zur Weltmeisterschaft fahren wollen, sichtbar gemacht. Als wäre es ein Panini-Album.

Ein kleiner dramaturgischer Trick des DFB, der am Tag vor der Kader-Bekanntgabe noch einmal zum Spekulieren einlud. Wobei sich die Spekulation fast nur auf einen Namen konzentriert: Das ist Manuel Neuer, der Torwart. Der Weltmeister, der seit neun Monaten kein einziges Fußballspiel mehr bestritten hat.

Löw hat immer gesagt, dass er mit seiner Nummer eins plane, dass er davon ausgehe, Neuer werde seinen Fußbruch rechtzeitig zur WM auskurieren. Das ist zu so einer Art Mantra über die Monate geworden. Je näher das Turnier in Russland (14. Juni bis 15. Juli) heranrückt, desto dünner werden die Treuebekenntnisse allerdings gestreut.

Eiertanz um Neuer

Der FC Bayern, Neuers Verein, hat über Wochen immer wieder vermeintliche Fortschritte bei der Genesung vermeldet und mögliche Comeback-Terminegenannt. Neuer werde die wichtigen Spiele am Ende der Saison bestreiten, hieß es. Bisher hat Neuer all diese Termine gerissen, das Pokalendspiel am Wochenende ist als letztes wichtiges Spiel übrig geblieben. Es wird wohl auch ohne ihn stattfinden.

So geht der Eiertanz um die Gesundung des deutschen Torwarts Woche für Woche weiter. Was auch daran liegt, dass Neuer zu den Unverzichtbaren im Team gehört. Marc-André ter Stegen hat beim FC Barcelona eine glänzende Spielzeit hinter sich, er hat alles Vertrauen dieser Welt verdient. Aber er ist kein Neuer. Diese einschüchternde Präsenz des Bayern-Torwarts, die Stürmer in aller Welt in Nervosität versetzen kann, wenn sie auf ihn zulaufen, hat der Barça-Torwart (noch) nicht.

Neuer hat bei der WM in Brasilien vor vier Jahren der Mannschaft mindestens zweimal das Weiterkommen gerettet, im Achtelfinale gegen Algerien und dann eine Runde weiter gegen Frankreich. Sein wagemutiges, gar tollkühnes Spiel gegen die Algerier war fast eine Neuerfindung des Torwartspiels, sein Reflex gegen Frankreichs Karim Benzema war so schnell, dass man mehrere Zeitlupen braucht, um ihn angemessen zu würdigen.

Der Versuch, Neuer ein Plätzchen freizuhalten

Vor allem aber ist Neuer stets ein Mann für die großen Spiele gewesen. Er ist am besten, wenn es so richtig auf ihn ankommt. Und bei der WM wird es auf den Torwart ankommen.

Daher wird Löw alles versuchen, Neuer ein Plätzchen freizuhalten. Wenn er am Dienstag wirklich bereits auf ihn verzichtet, dann muss die Verletzung noch ernsthafter sein, als es bisher bekannt ist. Wahrscheinlicher ist, dass Neuer am Dienstag zu den Nominierten gehört. Löw hat Zeit bis zum 4. Juni, erst dann muss das offizielle endgültige 23er-Aufgebot benannt sein.

Zeit, die der Bundestrainer brauchen wird. Nicht nur Neuer ist rekonvaleszent, auch Jérôme Boateng, Mesut Özil und Mats Hummels schleppen Blessuren in die Vorbereitung hinein. Löw wird drei Kreuze machen, wenn sich im Pokalfinale nicht noch einer seiner Bayernspieler verletzt. Ein Ausfall von Hummels, Thomas Müller oder Joshua Kimmich - man kann schlecht sagen, wer von den dreien dringender benötigt wird.

Keine Überraschung in Sicht

So ist diese Nominierung mit Fragezeichen verbunden. Fragezeichen um die Form und Fitness der Stammkräfte, weniger um die Zusammensetzung des Personals. Löw wird, davon kann man ausgehen, 26 oder 27 bekannte Namen nennen. Der große Unbekannte, er wird diesmal nicht dabei sein. Den Odonkor-Joker, auf den immer alle warten, gibt es nicht. Zu groß ist die Auswahl, aus der Löw sich bedienen kann. Jemanden zu nominieren, der bis jetzt gar nicht im Dunstkreis der Mannschaft aufgetaucht ist, würde mit Recht diejenigen desavouieren, die DFB-Erfahrung aufweisen. Von denen hat Löw genug zur Verfügung.

Löw wird gerne vorgeworfen, dass er Experimente scheut, dass Veränderung nicht sein Gemüse ist, dass er immer an den gleichen Spielern festhält, weil er weiß, was er an ihnen hat. Der ewige Sami Khedira, und immer wieder Bernd Leno als Ersatztorwart.

Dennoch: Der Kader 2018 wird deutlich anders aussehen als der Kader 2014. Vor vier Jahren waren Christoph Kramer, Roman Weidenfeller, Shkodran Mustafi, Benedikt Höwedes, Erik Durm, Kevin Großkreutz, André Schürrle, Ron Robert Zieler, Philipp Lahm, Miroslav Klose, Per Mertesacker, Lukas Podolski, Bastian Schweinsteiger, Marcel Schmelzer und Lars Bender fürs vorläufige Aufgebot benannt. 15 von 27 Spielern, die man aus den unterschiedlichsten Gründen jetzt nicht mehr erleben wird. Man könnte das fast einen Umbruch nennen.

spiegel


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