Labbadia treibt Wolfsburg zur Leidenschaft

  18 Mai 2018    Gelesen: 1040
Labbadia treibt Wolfsburg zur Leidenschaft

Vor zwei Jahren besiegten sie Real Madrid, nun gilt es für Wolfsburg, gegen Kiel dem Abstieg aus der Fußball-Bundesliga zu entgehen. Dank engagierter Leistung könnte das gelingen. Ein Ruhmesblatt ist das letztlich aber nicht.

Das Schöne am Fußball ist, dass sich bisweilen die Wege zweier Mannschaften kreuzen, die vor Jahren noch drei Ligen trennten. Und so trafen sich an diesem Donnerstagabend die VfL Wolfsburg-Fußball GmbH und die Kieler Sportvereinigung Holstein von 1900 e. V., um vor 28.800 Zuschauern im tatsächlich ausverkauften Stadion am Mittellandkanal auszuspielen, wer in der kommenden Saison in der Bundesliga spielen darf. Definitiv entscheidet sich das erst am Pfingstmontag (ab 20.30 Uhr im Liveticker bei n-tv.de). Auch wenn die Kieler in den Schlussminuten Chancen im Minutentakt vergaben und die Messe noch nicht gelesen ist: Nach dem 3:1 (1:1) der Wolfsburger in diesem Hinspiel spricht viel dafür, dass sie nach 21 Jahren im Oberhaus zum zweiten Mal hintereinander den Abstieg vermeiden können.

Das liegt auch daran, dass die in dieser Saison so kranke Mannschaft von Rettungssanitäter Bruno Labbadia den Gegner von Anfang an ernst nahm, flexibel, dynamisch und mit extrem aggressivem Pressing so leidenschaftlich spielte wie sich ihr Trainer stets an der Seitenlinie verausgabt. Immer noch ganz der gallige Stürmer von früher durchlebt der Körper des 52-Jährigen jeden Angriff seiner Elf mit, mal euphorisch, mal wütend-frustriert wie nach einem ausbleibenden Anspiel in einschussbereiter Position. An Leidenschaft für seinen Arbeitgeber mangelt es ihm auch nach frustrierenden Chaos-Monaten in der Liga nicht, daran hat selbst der Spott der jüngsten Wochen nichts geändert. So hatte ein Teil der Wolfsburger Fans gesungen: "Wir steigen ab, wir kommen nie wieder - wir haben Bruno Labbadia."

Nun aber konnte der Trainer unwidersprochen behaupten, eine der besten Saisonleistungen seines Teams gesehen zu haben. "Wir merken, dass die Arbeit fruchtet." Das honorierte das Publikum und feierte die Mannschaft nicht nur nach dem Abpfiff. "Für die Zuschauer war es ein Wahnsinnsspiel", sagte Labbadia. "Wenn man weiß, worum es geht. Dazu haben beide Mannschaften beigetragen." Spielerisch habe der VfL überzeugt." Aber: "Wir hätten auch das eine oder andere Tor am Ende kassieren können."

Origi scheint sich informiert zu haben


In der Tat war es ein spannender Fußballabend vor stimmungsvoller Kulisse, zu der die mehr als 3000 in Rot gekleideten Fans der Kieler an ihrem Festtag einen gehörigen Teil beitrugen. Selbst der belgische Angreifer Divock Origi, der noch vor einer Woche vor den Kameras des Fernsehens zugegeben hatte, noch nie etwas von einem Team namens Holstein Kiel gehört zu haben, schien nun zu wissen, worum es geht. Sein Trainer soll ihm einen Tipp gegeben haben. Prompt erzielte Origi, mit etwas Glück in Abstaubermanier, nach 13 Minuten das 1:0. Auch an beiden anderen Wolfsburger Toren war der bullige Stürmer maßgeblich beteiligt.

Nach einem langen Ball von Robin Knoche verwickelte er Holsteins Innenverteidiger Dominik Schmidt in einen Luftzweikampf an der Strafraumkante, der Kieler gewann das Duell zwar, legte aber aus seiner Sicht ungünstig für Josip Brekalo auf, der den Ball nach 40 Minuten volley aus 17 Metern zum 2:1 in den Winkel hämmerte. Wie schon zuletzt am 34. Spieltag beim Relegationsplatzverteidigungssieg gegen den 1. FC Köln (4:1) gehörte der 19 Jahre alte Kroate zu den Besten in der Mannschaft des VfL. Beim 3:1 (56.) wehrte sich Origi hartnäckig gegen zwei Attacken, steckte dann ganz fein auf den ständig chefigen und cool abschließenden Yunus Malli durch - er hatte das 1:0 von Origi übrigens vorbereitet.

Vor zwei Jahren noch im Bernabéu


Vielleicht hatte Labbadia dem Genossen Origi und seinen Kollegen vor dem Spiel erzählt, dass die Kieler unter der Anleitung seines Kollegen Markus Anfang mit erfrischendem Offensivfußball auf Platz drei der zweiten Liga gestürmt waren und dabei 71 Tore schossen, mehr als jede andere Mannschaft und fast doppelt so viele wie der VfL eine Etage höher. Was die Störche können, zeigte sich dann nach dem verdienten Rückstand in der 34. Minute, als Dominick Drexler bei einem feinen Konter zwei Wolfsburger auf der Torauslinie austanzte und den Ball dann so fein dem Torjäger Kingsley Schindler servierte, dass der ihn nur noch zum 1:1 ins Wolfsburger Tor schieben musste. Vielleicht aber hatte Labbadia auch erzählt, das Holstein vor fünf Jahren noch in der Regionalliga kickte. In zwei Aufstiegsspielen gegen Kasseler Sport-Verein Hessen gelang im Juni 2013 der Sprung in Liga drei, im vergangenen Jahr stieg der Kiel in die zweite Liga auf - und träumt noch von der ersten.

Der VfL Wolfsburg hingegen spielte bis vor gar nicht so langer Zeit mit den ganz Großen in der Champions League. Gut zwei Jahre ist es her, dass der VfL am 6. April 2016 Real Madrid im Viertelfinale mit 2:0 besiegte. Das war aber nur der letzte Höhenpunkt einer Mannschaft, die längst keine mehr war. Nicht nur, dass der VfL das Rückspiel in Bernabéu mit 0:3 verlor und Real schließlich die europäische Königsklasse gewann. Am Ende der Saison belegte Wolfsburg in der Bundesliga Platz acht und verpasste den Europapokal.

Danach ging's weiter abwärts. Im Oktober 2016 wurde Trainer Dieter Hecking entlassen, mit dem der Klub 2015 den DFB-Pokal gewonnen hatte. Es folgte Valérien Ismaël, der im Februar 2017 gehen musste. Mit Andries Jonker landeten die Wolfsburger nach der Saison 2016/2017 dort, wo sie nun auch stehen: auf dem drittletzten Tabellenplatz, sprich in der Relegation. Gegen die Braunschweiger Eintracht, die just in die dritte Liga abgestiegen ist, gelang in beiden Spielen ein 1:0. Jonker wurde im September gefeuert, Martin Schmidt kam - und musste am 18. Februar gehen. Labbadia übernahm als dritter Übungsleiter in dieser Saison. Sein Auftrag ist es, zu retten, was noch zu retten ist.

Und es sieht so aus, als würde es ihm gelingen, die immer noch mit bis zu 70 Millionen Euro im Jahr alimentierte und hundertprozentige VW-Tochter in der Bundesliga zu halten. Labbadia aber ist relegationserfahren genug, um den Mahner zu geben und zu monieren: "Wir haben am Ende die Kontrolle abgegeben und den Gegner nicht mehr genügend beschäftigt." Und auch Kapitän Maximilian Arnold konstatierte: "In den letzten 15 Minuten kamen wir noch einmal richtig ins Schwimmen. Wenn wir das vierte Tor gemacht hätten, hätten wir Kiel nicht mehr atmen lassen." So aber könnte es am Montag noch einmal spannend werden - auch wenn viel für den VfL Wolfsburg spricht.

Quelle: n-tv.de


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