Vergesst Ramos! Freut euch auf die WM!

  29 Mai 2018    Gelesen: 1066
Vergesst Ramos! Freut euch auf die WM!

Schwarz-rot-goldene Fahnenmeere, süße Sammelbildchen-Dialoge an Supermarktkassen und die Aussicht auf endlich gerechten Fußball heizen die Vorfreude auf die WM in Russland an - wie die Glosse unseres Kolumnisten beweist.

Noch kriegen sich einige Fußballfreunde in die Köppe, ob denn der Sportskamerad Ramos nun den aggressiven Klammeraffen gegeben habe oder Salah einfach selbst Schuld an seiner Verletzung sei, weil er sich überhaupt in die Nähe des rassigen spanischen Stiers begeben habe - doch schon bald sind all diese emotional aufwühlenden Ereignisse nur noch ferne Erinnerungen an eine längst vergangene Saison. Durch die Pyro-Nebelschwaden von Mannheim suppt langsam aber sicher etwas durch, dass sich selbst unter den weißen Ku-Klux-Klan-Kapuzen von Cottbus nicht länger verstecken lassen will: Die Vorfreude auf die WM in Russland!

Von Tag zu Tag wird sie nun immer offensichtlicher. In Herner Brennpunkt-Stadtteilen kann man bereits beobachten, wie ganze Fensterfronten und Balkone im schwarz-rot-goldenen Fahnenmeer erstrahlen. Es müssen wahre Schmückorgien gewesen sein, die nun für Wochen den Blick hinaus auf die Straße und hinüber zum türkischen Nachbarn erschweren. Doch die freudsame Ungeduld auf das große Fest der Völker im Land des russischen Bären lässt sich einfach nicht länger zähmen.

Erquickliche Supermarkt-Gespräche


Wer jetzt noch kein Deutschland-Trikot erworben hat, spürt unaufhörlich den steigenden Druck, sich rasch in Bewegung zu setzen und den Kauf nicht länger aufzuschieben. Schon morgens beim Kaffee erinnern einen die Prospekte der großen Warenhausketten daran, dass manche Dinge endlich sind: "Nur solange der Vorrat reicht!" steht unter den farbenfrohen Anzeigen. Und es wäre ja wahrhaft zu irre, wenn am Ende die Kollegen beim ersten Spiel "Der Mannschaft" ausgerechnet einen legendären Satz des Dolmetschers des ehemaligen Staatspräsidenten der Sowjetunion, Michail Sergejewitsch Gorbatschow, zitieren müssten: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben".

Herumlungernde Kinder an Supermarktkassen sorgen für etwas, das viele im normalen Nicht-WM-Alltag so häufig vermissen: Die Jungs und Mädels treten aktiv in Kontakt zu Menschen aller Altersklassen. Toll zu beobachten, wie sie selbst Rentner, die es eben noch so eilig hatten, für einen Moment in ein Gespräch verwickeln. "Brauchste die?", fragen diese aufgeweckten Kinder die Kunden. Dabei deuten sie mit ausgestrecktem Zeigefinger im Augenblick der Übergabe auf kleine silbrig-glänzende Päckchen. "Kannste haben!" oder "Nee, brauche ich selbst!" antworten die Supermarkt-Besucher, ohne vom Einsammeln der erworbenen Waren aufzublicken. Ohne die WM hätte es diesen wichtigen Generationen-Austausch nie gegeben.

Vorfreude auf brillanten Videobeweis


Und auf noch etwas freut sich der geneigte Fußballfan: Den Videobeweis! Nach einer mühsamen, aber am Ende sehr erfolgreichen Testphase in der vergangenen Bundesliga-Saison können es die Freunde des runden Ledersports kaum erwarten, die bahnbrechende Technologie endlich auf der großen Bühne im Einsatz zu sehen. Traurig nehmen es die Fußballanhänger zur Kenntnis, dass ein alternder Ex-Funktionär wie Sepp Blatter aus der fernen Schweiz immer noch etwas an der weltverbessernden Errungenschaft des Videobeweises zu kritisieren hat. Die Ewiggestrigen sterben leider nie aus.

Dabei hat niemand Geringeres als die Fifa-Schiedsrichterlegende Pierluigi Collina die Führung über die Videoreferees übernommen. 13 Video-Assistenten hat er in einer engeren Vorauswahl selektiert. Zwei deutsche, drei italienische, ein niederländischer, ein portugiesischer und mehrere polnische Videoreferees werden schon wie in der abgelaufenen Bundesliga-Saison dafür sorgen, dass endlich auch auf internationaler Ebene mehr Gerechtigkeit Einzug hält. Deshalb werden gleich drei Videoassistenten und ein Linienrichter auf mehreren Bildschirmen in einem Raum in Moskau die Spiele verfolgen. So viel geballter Sachverstand wird sicherlich in Sekundenschnelle gemeinsam die wichtigen und so nötigen Entscheidungen zum Wohle des Sports treffen. Deshalb wird man auch nichts dem Zufall überlassen und vor Ort in Russland Teams bilden, die sich nach "Sprachgruppen" zusammensetzen. Das sollte ja bei der Vorauswahl - noch einmal zur Erinnerung - aus zwei deutschen, drei italienischen, einem niederländischen, einem portugiesischen und mehrere polnischen Videoreferees kein allzu großes Problem sein.

Und weil die wundersame Vorfreude auch tüchtig durstig macht, freuen sich die Brauereien jetzt schon auf steigende Absatzzahlen. Wie man sieht, auch das ist ein weiterer Nutzen einer WM: Die Wirtschaft brummt. Wenigstens so lange nicht am Tage nach einem Sieg der deutschen Elf noch etwas ganz anderes brummt ... Prost und Glück auf!

Quelle: n-tv.de


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